«Gott brachte mich zu den Bulls»

Thabo Sefolosha ist der erste Schweizer Basketballprofi, der in der Weltliga NBA spielt. Ein Besuch im Training bei den Chicago Bulls.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Foto)

thabo1.jpgGemächlich kullert der orange Ball entlang des glänzenden Parkettbodens. Mit einem gezielten Kick jagt ihn Thabo Sefolosha an die weisse Wand, von wo er just in dessen Hand springt. «Wow!», freut sich der schlaksige Kerl. «Hast Du das gesehen?», ruft er einem Trainingspartner zu. Der übt, unbeeindruckt, Freiwürfe. «You’re just showing off for the Swiss photographer», für den Schweizer Fotografen würde er bluffen, foppt er. Es ist gegen Mittag in Deerfield, einem von achtspurigen Autobahnen und freudlosen Einkaufszentren zerfurchten Vorort von Chicago. Hier trainieren die Bulls, das Basketball-Team, das einst der legendäre Michael Jordan angeführt hatte.

Und hier trainiert seit letztem Sommer Thabo Sefolosha, 22, der erste Schweizer in der famosen National Basketball Association (NBA). Er keucht, Schweiss perlt von der Stirn. Längst hat der Coach das Training beendet, doch der Romand hastet unaufhörlich weiter, verteidigt, wirft, greift an. «Hey, yo, T», ruft ihm Ben Wallace zu, ein bissiger Verteidiger und der neue Star der Bulls. «Spreiz die Finger, der Ball fliegt ja ständig an Dir vorbei.» Thabo, den viele T rufen, dreht sich um, lässt den Angreifer kommen – und öffnet die Hände. Prompt klatscht der Ball ab, verfehlt den Korb. «Yo T, da wird schon noch was», ermutigt ihn Wallace und trottet weg. «Es ist grossartig, von solchen Typen Tipps zu kriegen», sagt später der wortkarge Westschweizer, auf dessen Englisch ein weicher welscher Akzent liegt. «Sie helfen mir auf und neben dem Court.»

Einfach sei es nicht, das Leben in Amerika, sagt Sefolosha, der zuvor in Frankreich und Italien spielte. «Es ist eine Kultur mit ganz anderen Menschen, grösseren Distanzen – und schlechterem Essen», sagt er. Zeit, die kulturellen Merkmale zu verstehen, bleibt wenig. Sieben Tage die Woche arbeitet er. Täglich um halb zehn beginnt das Training, dauert bis Mittag, danach wird massiert, verarztet, der Gegner studiert, gegessen. Steht abends kein Spiel an, jagen sich nachmittags die Pressetermine. Heute besucht der Schweizer mit einem lokalen Fernsehteam eine lokale Schokoladenfabrik. Vor laufender Kamera giesst er einen Schoggi-Ball. Heim kommt er selten vor sechs. Trat er in Europa einmal die Woche an, sind es hier drei oder vier Spiele wöchentlich. Bestens kenne er das Innere Amerikas, «im Bus, im Flugzeug, im Hotel».

Er zupft einen Pappbecher aus dem Halter, füllt ihn mit Gatorade und setzt sich trinkend auf einen Klappstuhl. Dreissig Minuten hat er für die Reporter, dann kümmert er sich wieder um seinen Körper, «sein Werkzeug», wie er sagt. «Ich trainiere ihn, schone ihn, pflege ihn», nur so sei ihm eine lange Karriere sicher. Eher hager sieht der 2-Meter-Mann neben den anderen aus, schmaler wirken die Schultern, nicht ganz ausgebildet die Muskeln an Armen und Beinen. Er weiss, die Spieler, gegen die er um einen Stammplatz fightet, sind stärker als er. Um sechs Kilogramm will er in der Sommerpause sein Gewicht erhöhen, auf insgesamt 103. «Ich werde gesund essen und viele Hanteln stemmen.»

Die Muskeln sollen ihn aggressiver machen. Noch ist er zu nett, scheint gut erzogen, strahlt eine schweizerische Anständigkeit aus. Doch Sefolosha ist nicht einfach Schweizer, das ist ihm wichtig. «Ich bin genauso Südafrikaner», sagt er. «Klar, ich habe in der Schweiz Basketball gespielt, aber das war Zufall, es hätte genauso gut Südafrika sein können.» Dort haben sich seine Eltern – eine Künstlerin aus Montreux, ein Saxophonist aus Johannesburg – kennen gelernt, dort wurde er gezeugt. Da gemischte Ehen im Apartheid-Staat der achtziger Jahre verboten waren, heiratete das Paar im Königreich Lesotho, in dessen Sprache der Name Thabo so viel wie Hoffnung bedeutet. Die Rassentrennung trieb die Familie 1984 zurück an den Genfersee, wo Thabo kurz darauf zur Welt kam.

Mit seinem Bruder begann er Basketball zu spielen, ein Sport, den er «regelrecht liebt», sagt er. «Es gibt nichts Schöneres als über einen Court zu dribbeln, hochzusteigen und den Ball zu versenken.» Ein Jahr spielte er in der Schweiz. Mit 17 zog er ins Burgund, nach Chalon-sur-Saône, verteidigte drei Jahre für Elan Sportif Chalonnais. Mit zwanzig fühlte er sich reif für die NBA, bewarb sich – und scheiterte. Er ging zu Angelico Biella, einem italienischen Spitzenverein im Piemont. Letzten Sommer meldete er sich erneut für den Draft an, das theatralische Auswahlverfahren, bei dem die Teams der NBA jeweils ihre neuen Spieler auslesen. Die 76ers aus Philadelphia zogen Sefolosha, reichten ihn aber gleich nach Chicago weiter, zu den Bulls, einer Equipe, die nach der Ära Jordan nun neu aufblühen soll. Nicht zuletzt mit Schweizer Qualitäten, wie er hofft. «Meine Pässe kommen so präzise an wie Uhrwerke ticken.»

Vorerst zwei Jahre steht Sefolosha unter Vertrag, dafür kriegt er drei Millionen Dollar. In Italien verdiente er monatlich 3000 Euro. Was bedeutet ihm Geld? Er stockt, überlegt, die Frage ist ihm unangenehm, er sucht nach einer rettenden Floskel – und findet sie. «Es ist grossartig zu tun, was ich gerne tue und damit Geld zu verdienen.» Ein Auto hat er gekauft, einen Volkswagen Touareg, ein Haus für sich und seine Freundin, er postet Lebensmittel, hilft südafrikanischen Kindern und seiner Familie. Den Rest spart er. «Ich kann jederzeit das Bein brechen, dann ist Schluss.»

Motiviert ihn Geld? «Klar, das gebe ich zu, spiele ich gut, kriege ich einen besseren Vertrag und mehr Geld.» Diese Gleichung hebe die NBA zur besten Liga der Welt. «In den USA ist alles Show, eine Show braucht Stars, tolle Spieler, sie kommen, weil sie nirgends mehr verdienen.»

Noch ist er kein Star, das ist klar. «Das erste Jahr ist mein Lehrjahr, danach kommt der Durchbruch.» Darüber entscheidet nicht nur sein Können, sondern auch sein Image. Er, der Schüchterne und Leise, verkauft sich als unverhoffter Underdog. «Ich bin der junge Kerl aus der Schweiz, der es in die NBA geschafft hat, obwohl mir das niemand zutraute.» Schweizerisch sei, wie er dorthin kam. «Dafür habe ich hart gearbeitet.» Nicht Genialität, Fleiss zeichnet ihn aus.

Dass er kein junger Wilder ist, belegen die beiden Tätowierungen auf der hellbraunen Haut. «The Game Chose Me» steht auf der linken Schulter, Basketball wählte ihn. «God Guides My Steps» und ein nackter Fuss sind im rechten Unterarm eingeritzt, Gotte führe ihn. «Ohne Gott wäre ich nirgends», sagt er. «Wenn ich auf den Arm blicke, erinnere ich mich, dass Gott mich zu den Bulls gebracht hat.»