Von Peter Hossli
Es ist ein Problem, das kaum zu tränen rührt. Wallstreet-Banker werden die Boni nicht los. «Wir können die Nachfrage nicht decken», klagt der Immobilienhändler David Enloe. Er verkauft in Manhattan Wohnungen, die mehr als 20 Millionen Dollar kosten. Und die sind rar. Gerade 29 Wohnungen und 15 Häuser im Wert zwischen 20 und 100 Millionen Dollar seien auf dem Markt, sagt Enloe. «New York ist ein Zentrum mit fabelhaftem Reichtum, es gibt eine riesige Anzahl sehr reicher Menschen, die hier leben wollen, sie brauchen Platz, viele Schlafzimmer und viele Badezimmer.» Zu wenige Wohnungen existierten, die all das bieten.
New York – noch in den achtziger Jahren verschrien als dreckiger und gefährlicher Sündenpfuhl – erlebt nach der Renaissance eine weitere Wandlung, hinzu zur Superstarstadt. Es ist eine Metropole mit niedriger Kriminalitätsrate geworden, die vermögende Familien anzieht. Es wird so viel gebaut wie seit 30 Jahren nicht mehr. An mancher Ecke spriessen gläserne Türme, die Luxusgemächer beherbergen. Einst heruntergekommene Viertel blühen auf, nicht nur in Manhattan. Selbst Brooklyn ist eine bevorzugte Wohngegend der Wohlhabenden. Über Jahre hinaus sind die Anlegeplätze in den Jachthafen vergeben.
Als «Luxusgut» umschrieb Bürgermeister Michael Bloomberg jüngst die Stadt, die er regiert. Luxusgüter sind nicht für alle. «Die Mittelklasse schrumpft, in populären amerikanischen Städten wächst dagegen der Anteil der Reichen und der Armen», sagt Alan Berube von der Denkfabrik Brookings Institute. Gehörten 1970 noch fast 60 Prozent der Stadtbewohner zur Mittelklasse, sind es nun 40 Prozent, Tendenz fallend, hat Berube jüngst in einer Studie aufgezeigt. Evident ist dieser Trend in Städten mit lukrativen Branchen, die begabte Berufsleute anziehen. So lockt New York vornehmlich kluge Geldjongleure, San Francisco die technisch Begabten, Los Angeles die Kreativen, nach San Diego gehen die Biotechniker.
Sie gründen grosse Familien. «Reiche Leute haben wieder drei oder vier Kinder», stellt der Immobilienhändler David Enloe fest. Tatsächlich überquellen in Manhattan die Spielplätze mit schick gekleideten Buben und Mädchen. Nannys stehen sich im Weg. Nur: Wer den Kids dereinst das ABC beibringen soll, ist ungewiss. Zunehmend können es sich Leute in traditionellen und tragenden Mittelklasseberufen – Lehrerinnen und Beamte, Polizistinnen und Feuerwehrleute – nicht mehr leisten, in Superstarstädten zu wohnen. 200’000 jährlich kostet etwa in New York das Mittelklasse-Leben. In San Diego ist es üblich, auswärtige Bauarbeiter vorübergehend in Hotels einzuquartieren.
«Viele amerikanische Städte haben grosse Probleme, offene Stellen in der Pflege oder im Schutzdienst zu besetzen», sagt Alan Berube vom Brookings Institute, der in den Super-Cities einen «Trend zur Segregation» feststellt. Wohnten in Städten mit hohem Mittelklasse-Anteil die verschiedenen sozialen Schichten einst beieinander, so werden viele Quartiere nun zu klar reichen oder klar armen Wohngegenden. Noch ist New York zwar ein Melting Pot, Menschen aus 200 Ländern leben hier. Erstmals seit dem amerikanischen Bürgerkrieg – der begann 1860 – steigt jedoch der Anteil der Weissen wieder, der Anteil der Schwarzen fällt.
New York – wie San Francisco oder Los Angeles – reift zu einem Ort, von wo aus die Wohlhabenden ihre globalen Netzwerke spannen. Verliessen 2002 und 2003 viele Firmen infolge von 9/11 die Stadt, so haben seither etliche Konzerne ihre Hauptsitze zurück nach Manhattan verlegt. Allerdings hat dort hauptsächlich die Führungsgarde Büroplätze. Die anderen wohnen in Vororten und kommunizieren per E-Mail und über das Intranet mit der Zentrale. «Es bildet sich eine urbane Wirtschaft aus gut bezahlten Jobs in der Hochfinanz und schlecht bezahlten Jobs im Dienstleistungssektor mit wenig Raum in der Mitte», schreibt der Princeton-Ökonom Paul Krugman. Das kreiere ökonomische Unterschiede, die «grösser sind als in den zwanziger Jahren». So zahlen in New York knapp 13000 Haushalte einen Drittel der Einkommenssteuer aller acht Millionen Einwohner. Hatten in San Francisco 1970 erst sieben Prozent der Bewohner pro Jahr mehr als 100’000 Dollar verdient, sind es nun über 30 Prozent.
Mit Folgen für das Spiel der innerstädtischen Marktkräfte. Bereits jetzt seien in vielen Super-Cities Parallel-Ökonomien anzutreffen, sagt Städteforscher Berube. Es gibt Luxus-Läden mit biologischem Arugula für die Reichen und Tante-Emma-Läden mit Büchsen-Bohnen für die Armen.
Die Bewohner der Super-Cities sind nicht nur reich, sie sind bestens geschult. Ein Drittel der erwachsenen Bewohner Manhattans hat studiert, in den USA ist das Bildungsniveau nur in den Superstädten San Francisco, San Diego und San Jose höher. Und doch gerät dort das Schulwesen aus den Fugen. Reiche schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Das Prestige der öffentlichen Schulen, traditionell von der Mittelklasse gestützt, sinkt derweil rapide.
Noch seien die Super-Cities keine Reichen-Ghettos, entwarnt Berube. «New York wie San Francisco oder Los Angeles haben das Problem erkannt.» Sie entlöhnten Angestellte im öffentlichen Dienst nun besser und errichteten günstige Wohnungen für die Mittelklasse. Immobilienmakler Enloe widerspricht. «Was derzeit in New York gebaut wird, geht an meine Kunden.» An die Betuchten.
Gratis-Land in der Prärie
Das Städtchen Ellsworth hat 2900 Einwohner und liegt im Herzen von Kansas. Kansas liegt im Herzen der USA. Wer dorthin zieht und binnen 24 Monaten ein neues Haus errichtet, kriegt das Bauland kostenlos. Wer drei schulpflichtige Kinder mitbringt, kriegt 3000 Dollar an den Hausbau. Zudem vermittelt die Stadt Hypotheken, gibt Wasser gratis ab und lässt Neuankömmlingen den Golfplatz kostenlos benutzen. Ein Sonderfall ist Ellsworth nicht. Über dreissig amerikanische Städte im Mittleren Westen buhlen mit Gratisland um Neulinge. Boomte die Region einst dank einem Pool an günstigen Arbeitern, entvölkerte die Auslagerung von Jobs nach Mexiko oder China Staaten wie Kansas, Nebraska, die beiden Dakotas oder Oklahoma. Fabriken schlossen, Schulen ebenso. Nun scheint die Aktion mit dem Gratis-Land zu fruchten. Einige Städte, etwa Marquette in Kansas, haben schon gegen hundert Parzellen verschenkt.