Von Peter Hossli
Der amerikanische Arzt Jeffrey Steinberg, 52, verhilft seit über 20 Jahren unfruchtbaren Paaren mittels In-vitro-Fertilisation zu Kindern. Er lebt und praktiziert in Los Angeles. Seit sieben Jahren testet er Embryonen vor deren Einpflanzung auf genetische Krankheiten, dabei bestimmt er jeweils das Geschlecht der Embryonen. Die Geschlechtsselektion gelang Steinberg stets mit 100-prozentiger Sicherheit. Wegen der hohen Trefferquote folgten Anfragen, ohne medizinische Indikation eine Geschlechtswahl vorzunehmen. Damit begann er vor vier Jahren. Mittlerweile ist Steinberg weltweit die erste Adresse für die umstrittene Praxis.
Haben Sie Kinder?
Jeffrey Steinberg: Drei, zwei Mädchen und einen Jungen.
Wer hat deren Geschlecht bestimmt?
Steinberg: Wir gingen altmodisch vor und überließen das dem Zufall. Über drei Mädchen hätten wir uns auch sehr gefreut.
Das sieht bei Ihren Kunden aber ganz anders aus. Zu Ihnen kommen Paare, die unbedingt ein Mädchen oder unbedingt einen Jungen wollen. Wie hoch ist Ihre Trefferquote?
Steinberg: 100 Prozent. Ein Fehler ist mir noch nie unterlaufen.
Wie schaffen Sie das?
Steinberg: Bevor wir eine befruchtete Eizelle in die Mutter einpflanzen, überprüfen wir ihre genetische Zusammensetzung auf das weibliche X- und das männliche Y-Chromosom. So lässt sich mit absoluter Sicherheit sagen, ob aus dem Embryo ein Knabe oder ein Mädchen wird. Unter dem Neonlicht-Mikroskop leuchten weibliche Zellen rosarot, männliche hellblau.
Diese Präimplantationsdiagnostik ist umstritten und in vielen europäischen Ländern verboten. Wie lange arbeiten Sie schon damit?
Steinberg: Die Technologie ist seit rund sieben Jahren auf dem Markt. Ursprünglich habe ich Embryonen ausschließlich auf genetische Krankheiten untersucht. Seit drei Jahren biete ich die Geschlechtswahl an.
Wie viele Embryonen selektieren Sie nach dem Geschlecht?
Steinberg: Es sind täglich etwa drei, pro Jahr sind es sicher 1000 Kinder. Die Wartezeit beträgt vier Monate. Die Nachfrage hat alle Erwartungen übertroffen. Weltweit selektiert niemand mehr Embryonen nach dem Geschlecht als ich.
Sie werden damit ein reicher Mann. Pro Selektion verlangen Sie 18 480 Dollar, erzielen also einen Jahresumsatz von rund 18 Millionen Dollar. Was bedeutet Ihnen Geld?
Steinberg: Als ich mich für eine Karriere in der Fortpflanzungsmedizin entschieden habe, war Geld nebensächlich. Es wurde wichtig, da ich meine Angestellten bezahlen musste. Jetzt hat es wieder an Bedeutung verloren. Ich habe genug zum Leben.
Sie sind Multimillionär geworden, indem Sie Gott spielen.
Steinberg: Ich spiele nicht Gott. Ich studiere, wie Gott arbeitet. Ich lerne von Gott. Ich greife nicht mehr in Gottes Werk ein als ein Chirurg, der einen geplatzten Blinddarm entfernt. Ohne chirurgische Hilfe würde der Patient sterben. Der Chirurg macht kleine Eingriffe, damit der Mensch weiterleben kann. Ich greife nie ein, ich wähle nur aus.
Ein geplatzter Blinddarm ist lebensgefährlich. Ob jemand einen Jungen oder ein Mädchen bekommt, hingegen nicht.
Steinberg: Richtig. Genauso wenig wie zu kleine Brüste, die vergrößert werden, oder krumme Nasen, die man begradigt. Es sind Dinge, die das Leben besser machen. Ich lebe in Los Angeles. Hier wollen die Leute ihr Leben ständig verbessern. Sie wollen besser aussehen, sich besser fühlen.
Dann offerieren Sie einen bestimmten Lifestyle?
Steinberg: Ja. Für viele Patienten gehört es zum Lifestyle, die Familie geschlechtlich auszubalancieren. Zu mir kommen Frauen, die fünf Söhne haben und sich sehnlichst wünschen, die eigene Tochter modisch einzukleiden. Sollen wir diesen Frauen den Wunsch verweigern, obwohl es technisch möglich ist, ihn zu erfüllen? Die Ethikkommission der Amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin kam zu dem Schluss: Nein, diesen Wunsch verweigern wir nicht. Zwar unterstützt sie die Praxis nicht, aber sie hält Patienten für erwachsene Menschen, die eigene Entscheidungen für ihre Familie treffen können. Ich verstehe Kritiker, die sagen, wir sollten nur Krankheiten testen, nie das Geschlecht. Dann sollten wir aber auch keine Brüste vergrößern, Zähne bleichen oder Augen operieren.
Fragen Sie Paare nach ihren Beweggründen?
Steinberg: Nie. Aber alle geben die in der ersten Sitzung freiwillig preis. Damit wollen sie ihre Schuldgefühle loswerden.
Warum will jemand denn unbedingt einen Jungen oder unbedingt ein Mädchen?
Steinberg: Eine Frau, die fünf Söhne hat, will mit einer Tochter dieselbe innige Beziehung haben, wie sie sie mit ihrer Mutter hatte. Das kann ich gut nachvollziehen. Für viele Kulturen ist zudem die Weitergabe des Namens wichtig. Wer also nur Mädchen hat, will einen Jungen, um den Nachnamen weiterzugeben.
Das sind reichlich banale Gründe.
Steinberg: Mag sein. Darüber urteile ich nicht.
Sind Sie religiös?
Steinberg: Ich bin Jude, meine Kinder besuchen den Religionsunterricht.
Was hält Ihr Rabbi von der Geschlechtswahl?
Steinberg: Er akzeptiert sie. Der jüdische Glaube hat kein Problem damit. Der Rabbi sagt nur: »Geht und vermehret euch.« Er sagt nicht, wie wir das machen sollen.
Es gibt jedoch Paare, die das genetische Material eines Jungen oder eines Mädchens brauchen, um einem bereits lebenden kranken Kind zu helfen. Unterstützen Sie diese Paare?
Steinberg: Auf jeden Fall.
Dann fabrizieren Sie Designerbabys?
Steinberg: Ich fabriziere keine Babys. Ich beobachte den Prozess und wähle aus. Ich lasse bloß Sperma auf eine Eizelle fallen und schaue, was die Natur daraus macht. Am genetischen Material ändere ich nichts.
Es gibt noch eine andere Methode für Geschlechtswahl als die Präimplantationsdiagnostik, nämlich die Geschlechtsabtreibung. Es ist in den USA legal, einen Embryo im Mutterleib auf das Geschlecht zu testen und je nach Resultat abzutreiben. Bieten Sie das auch an?
Steinberg: Auf keinen Fall. Ich halte das für Genozid. Ich habe Patienten, die das gemacht haben. Ihnen offeriere ich eine viel bessere und ethisch weniger problematische Methode.
Warum ist die Selektion von achtzelligen Embryonen weniger problematisch als die Selektion eines zwei oder drei Monate alten Embryos im Mutterleib?
Steinberg: Ich unternehme alles, damit Embryonen nicht einfach zerstört werden. Wir ermutigen unsere Patienten, überzählige Embryonen an die Forschung oder an unfruchtbare Paare abzutreten. Bei einer Abtreibung ist das nicht möglich.
Wann beginnt für Sie menschliches Leben?
Steinberg: Es beginnt mit der Lebensfähigkeit. Sie definiert letztlich das Leben. Die Lebensfähigkeit tritt zwischen der 23. und der 25. Schwangerschaftswoche ein, nicht früher.
Was bekommen Ihre Kunden für 18 000 Dollar?
Steinberg: Einen vollen In-vitro-Fertilisations-Zyklus. Wir testen die Frau, ob sie schwanger werden kann, wir behandeln sie mit Hormonen, entnehmen ihr Eizellen und untersuchen jede einzelne. Wir befruchten die Eizellen und separieren die Embryonen nach deren Geschlecht. Schließlich pflanzen wir weibliche oder männliche Eizellen ein.
Sie beschreiben In-vitro-Fertilisation wie den Gang zum Zahnarzt. Für viele unfruchtbare Paare ist es die letzte Möglichkeit, ein eigenes Kind zu bekommen. Wie viele Ihrer Patientinnen könnten auf natürliche Weise schwanger werden?
Steinberg: Mehr als 80 Prozent.
Wie wirkt sich das auf die Erfolgsrate aus, schwanger zu werden? Bei der In-vitro-Fertilisation liegt sie normalerweise bei oder unter 30 Prozent.
Steinberg: Ich erreiche 78 Prozent, meine Erfolgsquote ist sogar besser als die einer natürlichen Befruchtung.
Wenn Sie Ihre Dienste in Europa anbieten würden, müssten Sie ins Gefängnis.
Steinberg: Für vieles, was wir hier tun, müsste ich in Europa hinter Gitter.
Die Zurückhaltung der Europäer ist auch historisch zu deuten. Eugenik ist ein trübes Kapitel aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Steinberg: Es war damals der faschistische Staat, der über »wertes« und »unwertes« Leben entschied. Wir aber überlassen alle Entscheidungen allein dem Paar. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen. Darin liegt der Unterschied. Und der ist markant.
Wie viele Ihrer Kunden kommen aus dem Ausland?
Steinberg: Mehr als 60 Prozent. Ich arbeite weltweit mit Fruchtbarkeitskliniken zusammen. Meistens lassen sich die Frauen zu Hause testen und hormonell behandeln. Sie kommen zu mir für jenen Teil der In-vitro-Behandlung, der in ihren Heimatländern verboten ist. Ich befruchte die Eizellen, teste sie und pflanze sie ein. Nach fünf Tagen fliegen die Patientinnen wieder nach Hause. Viele sind wütend, dass sie dafür ins Ausland reisen müssen.
Woher kommen Ihre Kunden?
Steinberg: Die meisten aus Asien, aus Japan, Korea, Singapur, sehr viele aus China. An zweiter Stelle stehen die Europäer. Ich habe viele Briten, viele Deutsche und Franzosen. Hinzu kommen viele Australier und Kanadier.
Sie haben viele chinesische Kunden…?
Steinberg: Sehr viele.
Welches Geschlecht wollen Ihre chinesischen Kunden?
Steinberg: Jungen.
China hat wegen der Ein-Kind-Familie ein großes Problem mit der Balance der Geschlechter. In manchen ländlichen Regionen gibt es 140 Jungen auf 100 Mädchen.
Steinberg: Ich war in China. Dort habe ich viele Schauergeschichten gehört, wie neugeborene Mädchen am Straßenrand ausgesetzt werden. Auf dem Rückflug traf ich auf eine große Gruppe von New Yorkerinnen. Alle hatten ein eben adoptiertes chinesisches Mädchen dabei. Da wurde mir klar: Die Schauergeschichten sind wahr. Wenn ich die Wahl habe, einer Familie direkt zu einem Jungen zu verhelfen, oder deren Tochter wird ausgesetzt, dann ist für mich der Fall klar – ich verhelfe der Familie zum Jungen.
Obwohl Sie damit den Sexismus in China stärken?
Steinberg: Das gebe ich zu. Allerdings ist der Sexismus ein Problem, das die Chinesen lösen müssen.
Für Sie ist Geschlechtswahl also nur ein gutes Geschäft?
Steinberg: Natürlich nicht. Es ist eine glücklich machende Medizin. Ich könnte auch Krebsarzt sein, das ist aber traurige Medizin. Es gibt nichts Schöneres, als einem unfruchtbaren Paar zu helfen, ein Kind zu bekommen.
Als die Präimplantationsdiagnostik zugelassen wurde, sagten viele Ärzte, sie würden sie nicht für Geschlechterselektion anwenden. Mittlerweile ist das akzeptiert. Warum der Wandel?
Steinberg: Die gesellschaftliche Akzeptanz folgt jeweils der technologischen Machbarkeit. Vor 20 Jahren war ich einer der ersten Ärzte, der In-vitro-Fertilisationen vornahm. Damals hieß der Slogan »Reagenzglas-Babys haben keine Seele«. Gehe ich heute auf eine Cocktailparty, hat die Hälfte aller Gäste Reagenzglas-Babys. Darüber wird nicht mal mehr geredet.
Mit Präimplantationsdiagnostik lässt sich nicht nur das Geschlecht eruieren.
Steinberg: Wir können mittlerweile auf rund 200 teilweise sehr schlimme genetische Krankheiten testen.
Was wünschen sich Ihre Kunden?
Steinberg: Ich bekomme Anfragen nach der Augen- oder Haarfarbe, aber auch nach der sexuellen Orientierung. Ich muss die Leute vertrösten. Das ist derzeit nicht möglich. Wird es eines Tages möglich sein? Ja. Werde ich es anbieten? Nur wenn es die Ethikkommission zulässt.
Die Eltern geben für ihr Wunschkind 18 000 Dollar aus. Der Erwartungsdruck muss enorm sein. Was passiert, wenn das selektierte Kind nicht den Erwartungen entspricht?
Steinberg: Alle Eltern haben Erwartungen, setzen Hoffnungen in ihre Kinder, auch jene, die sie auf natürliche Weise bekommen. Die Erwartungen sind je nach Geschlecht stets unterschiedlich – egal, ob es im Voraus ausgewählt wurde oder nicht.
Sie haben Ihre Kinder altmodisch gezeugt. Warum haben Sie keine Geschlechtswahl vorgenommen?
Steinberg: Hätten wir statt unserem Sohn eine dritte Tochter bekommen, hätte uns das auch sehr glücklich gemacht. Doch hätte ich bei einem vierten Kind einen Jungen selektiert.