Ein Sohn der Bronx im Dollarregen

Unscheinbar und «ein Paranoiker»:Wer hinter dem Top-Boni-Banker der Wall Street steckt. Der Finanzkoloss Goldman Sachs überschüttet ihren Chef mit einem Rekordbonus. Dabei entspricht der kahle und schüchterne Lloyd Blankfein keineswegs dem klassischen Image eines Wallstreet-Titanen.

Von Peter Hossli

Eine kalte Nacht am Weltwirtschaftsforum in Davos, dem Stelldichein
der mächtigen Wirtschaftsleute dieser Welt. Lloyd Blankfein, damals Geschäftsführer von Goldman Sachs, hält mit einer Dinner-Party Hof. Statt mit den Reichen und Guten zu palavern, verzieht er sich in eine Ecke und klaubt nervös am Blackberry.

Blankfein, seit Juni Chef von Goldman Sachs, wirkt zuweilen verloren in der Nadelstreifen-Welt der Hochfinanz. Er ist klein, kahl und noch immer etwas übergewichtig, obwohl er jüngst 25 Kilo abgespeckt hat. Bringen die Geldjongleure meist riesige Egos mit an die Wallstreet, steht er offen zu Hemmungen. «Wenn ich nicht Angst hätte, überzeugt etwas festzuhalten, würde ich sagen, ich sei die unsicherste Person der Welt», sagt er und bezeichnet sich als «Paranoiker». Nicht auf dem Golfplatz pflegt er sein Hobby, er bekämpft mit einer Stiftung Armut in New York City.

Üben sich andere Banker bei der Bekanntgabe ihrer jährlichen Boni in Unmässigkeit, rief Blankfein, 52, Mitte Dezember zu Demut auf. Es fiel ihm leicht. Mit 53,4 Millionen Dollar kriegte er den bis anhin üppigsten Wallstreet-Bonus. Goldman-Aktien im Wert von 500 Millionen Dollar liegen in seinem Portfolio.

Nicht schlecht für den Sohn eines Pöstlers, der in der Bronx zu Welt kam und in einer Sozialsiedlung in Brooklyn aufwuchs. Lloyd war smart und zielstrebig genug, ein Stipendium fürs College an der Harvard University zu kriegen. Durch die Hintertür kam er zu Goldman Sachs. Eine erste Bewerbung schlug fehl. Blankfein heuerte bei J. Aron an, ein Goldhandelshaus, das Goldman Sachs 1982 übernahm. Blankfein war, wo er hinwollte – und wurde als Händler von den noblen Investmentbanker jahrelang gering geschätzt.

Es beeindruckte ihn nicht. Mit Vehemenz baute er das vermeintlich schmähliche Handelsgeschäft mit Obligationen, Währungen und Rohstoffen aus – eine Abteilung, die bei Goldman mittlerweile rund 75 Prozent des Gewinns einfährt und die renommiertere Investmentbank in den Schatten stellt. «Trading ist das grösste Geschäft der Welt», sagt Analyst Richard Bové von Punk, Ziegel. «Goldman Sachs ist dabei die beste Firma» – dank Lloyd Blankfein, der in den letzen Jahren oft höhere Boni nach Hause trug als der CEO.

Folgerichtig erklomm er den Chefsessel, als Nachfolger des legendären Hank Paulson, den US-Präsident George W. Bush zu seinem Finanzminister kürte. Im ersten Jahr schon lieferte Blankfein ein Rekordergebnis ab, um 70 Prozent stieg der Gewinn, auf 9,5 Milliarden Dollar. Als Grund werteten Analysten die von Blankfein entwickelte risikoreiche Strategie, nicht nur Gelder der Kunden, sondern vermehrt Goldman-Geld lukrativ zu investieren.

Ein Paradigma-Wechsel, der Blankfein nicht nur Freunde schuf. Galt Goldman Sachs unter Paulson als verschworne Gemeinschaft mit 26500 Personen, sondert sich Blankfein schon mal mit Auserlesenen ab. Das vertrieb jüngst Scott Kapnick, einer der drei Direktoren der Investmentbank – und ein Star-Banker. Kurz darauf quittierte mit der Investmentbankerin Suzanne Nora Johnson die höchste Frau im Haus. Analysten legten die Abgänge als Zwist zwischen der Investment-Abteilung und Blankfein aus.
Bereits 2003 verdrängte er John Thain als Präsident und leitender Geschäftsführer. Thain, ein Hüne mit kräftigem Kinn und tiefer Stimme, galt als logischer Erbe von Paulson. Nun führt er den New York Stock Exchange. Thain wie Blankfein verneinen, Feinde zu sein. Keiner sagt aber, sie seien Freunde.

Ob Blankfein den Finanzkoloss zu weiteren Höhenflügen treiben kann, hängt nicht zuletzt vom Asien-Geschäft ab. Siebzig Mal war sein Vorgänger in den letzten 16 Jahren nach China gereist, im Wissen, wie wichtig persönliche Kontakte sind. Blankfein, ein zäher New Yorker Bursche, ist international unerfahren und geht mit dem Blackberry sicherer um als mit Menschen.

Von 38 Millionen zu 183000 Dollar�

Kein anderes US-Finanzinstitut bildet mehr Beamte aus als Goldman Sachs. Es gehört zur Geschäftskultur, dass reich gewordene Partner den Konzern verlassen, um dem Staat zu dienen – für ein Butterbrot.�

Der amerikanische Präsident rief an, der CEO sagte ja. Ohne mit den Wimpern zu zucken, wechselte Hank Paulson, 60, letzten Mai vom schicken New Yorker Chefbüro in die muffige Beamtenstube nach Washington. Hatte er als CEO von Goldman Sachs einen Jahreslohn von 38 Millionen Dollar garniert, kriegt er nun als Finanzminister 183’000 Dollar. «Paulson hat mehr Geld als er je ausgeben kann, jetzt will er seinem Leben anderswie Sinn geben», erklärt der Harvard-Ökonomie-Professor Robert Kaplan den unökonomischen Jobwechsel.

Paulson führt fort, was bei Goldman Sachs zum guten Ton gehört. Keine andere Firma an der Wallstreet stellt derart viele Top-Leute, die öffentlich Dienst leisten und zuweilen auf ihre alljährlichen Millionen-Boni und Sonderzulagen verzichten. Die Liste ist lang und renommiert. Robert Rubin, unter Bill Clinton Finanzminister, kam von Goldman Sachs, ebenso der jetzige Stabschef von George W. Bush, Joshua Bolton, oder dessen einstiger Wirtschaftsberater Stephen Friedman. Partner bei Goldman Sachs war auch Jon Corzine, der den Staat New Jersey zuerst als Senator vertrat und nun als dessen Gouverneur amtetet. «Jene, die viel erhalten, müssen viel geben», sagte famos der einstige Goldman-Sachs-Partner John Whitehead, unter Ronald Reagan Vizeaussenminister. Nach den Terrorattacken von 2001 übernahm Whitehead die verschleissende Aufgabe, den Wiederaufbau von Lower Manhattan zu koordinieren.

Die Tradition reicht zurück in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Damals nahm der Senior Partner Sidney Weinberg eine Auszeit. Statt Geld zu vermehren führte er das War Production Board, ein Amt, das die Produktion und Rationierung von strategisch wichtigen Produkten wie Erdöl, Metall oder Gummi koordinierte. Eine Erfahrung, die Weinberg zu einer Einsicht trieb, die noch heute prominent auf der Firmen-Website verbreitet wird. «Es ist die Pflicht von Geschäftsleuten, ihre Zeit und ihr Talent dem öffentlichen Dienst zur Verfügung zu stellen, vor wie nach der Pensionierung.» Das gilt nicht nur für das Top-Management. Seit zwei Jahren ermutigt Goldman weltweit das gesamte Personal, auf Zeit in den Staatsdienst zu wechseln.

Solche Beamtenschaft erlaubt nicht zuletzt der enorme Reichtum, den die Bank für ihre Partner generiert. Ein Vermögen von 233 Millionen baute Jon Corzine auf – und gab 1999 hundert Millionen davon aus, um den Wahlkampf für einen Sitz im US-Senat zu finanzieren. Als Senator verdiente er noch 150’000 Dollar pro Jahr.