Von Peter Hossli und Stefan Falke (Foto)
Ein kleines Büro im Weissen Haus. Eine Autorin und ein Autor ringen nach den passenden Worten. «Wir schreiben Geschichte», gemahnt er. Ihre Augen funkeln. «Wir verfassen die Antrittsrede für die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten.» Die Szene ist dramatisch gut – und erfunden. Sie stammt aus der Fernsehserie «Commander in Chief». Darin rutscht Geena Davis ins Amt des mächtigsten Mannes der Welt nach.
Jahrelang hatte sich Marie Wilson für die Serie stark gemacht. Immer wieder reiste die Präsidentin der Organisation «The White House Project» nach Hollywood, um dort Produzenten für eine Film-Präsidentin zu gewinnen. «Das Theater verleiht der Fantasie den Hauch der Realität», sagt Wilson, 66. An den Wänden ihres Büros an der Wall Street in New York hängen Fotos, die politisch aktive Frauen abbilden. «Da viele eine standhafte Madame Präsident am Bildschirm erlebt haben, halten sie das tatsächlich für möglich.»
Das ist ihr Ziel, «ihre Berufung», wie sie sagt. Ihr dunkler Hosenanzug ist modisch geschnitten, das Foulard in weiss-rot-blau gehalten, den Farben Amerikas. Eine Präsidentin will Wilson im Weissen Haus, dazu viele andere Frauen in führenden Posten, in Chefetagen globaler Konzerne, in Parlamenten, in Gouverneurshäusern. Gerade 16 Prozent der Sitze im US-Kongress belegen Frauen, weit weniger als in vielen europäischen Ländern. Schon Alexis de Tocqueville bemerkte nach einer USA-Reise die vornehmlich häusliche Rolle amerikanischer Frauen. Wilson, die in den vierziger Jahren im segregierten Süden aufwuchs, hält es nicht nur für fair, dass Frauen mindestens die Hälfte aller Ämter besetzen. «Es ist unsere beste Hoffnung für die Zukunft.»
Seit Jahren würden sich Frauen ausserhalb der politischen Institutionen für wirklich Relevantes einsetzen, für den Umweltschutz, gerechtere Löhne, ein gutes Gesundheitswesen. «Diese Exilregierung soll endlich mitregieren.» Nicht verdrängen will die Mutter von fünf Kindern die Männer. «Wir wollen an deren Seite führen.»
Marie Wilson führt ein Team von 25 Angestellten, Frauen wie Männern. Zum Interviewtermin kommt sie zu spät, eine Sitzung zu einer geplanten Spendenaktion dauert länger. 3,2 Millionen Dollar will sie nächstes Jahr zusammenbringen. Geld, das sie ausgibt, «um Frauen zu inspirieren und sie mit Wissen zu bestücken». Jedes Jahr trimmt «The White House Project» in mehrtägigen Kursen rund 400 Frauen für politische Kampagnen. «Wir brauchen eine kritische Masse an Kandidatinnen», sagt sie. «Es muss normal werden, dass Frauen regieren.» Nicht über das Geschlecht will sie dann reden, sondern nur noch über Inhalte.
Deshalb drängt sie Frauen in die einflussreichen politischen Sonntags-Shows der Fernsehsender. Dorthin, «wo die Meinungen geformt werden», sagt sie. Täglich schlägt eine Kommunikationsfirma den TV-Produzenten geeignete Expertinnen vor. Auf der Website SheSource.org finden Journalisten rasch kluge Frauen, die sie zu aktuellen Ereignissen befragen können.
Zuvorderst in einem Ablagegestell steckt ein Foto, das Maria Wilson neben Hillary Clinton zeigt. Clinton, die einstige First Lady und jetzige Senatorin von New York, füllt den Raum ohne wirklich da zu sein. «Falls sie kandidiert, wird 2008 zu einem wichtigen Jahr für uns», sagt Wilson. Mit «uns» meint sie die Frauen Amerikas. Eine landesweite Debatte will sie lostreten, wenn sie antritt. «Hillary ist eine wirklich gescheite Frau», stapelt Wilson bewusst tief. «Vielleicht bewirbt sie sich um das Präsidentenamt.» Soll sie es denn tun? «Well», sagt sie und hält inne. Fünf Kandidatinnen hätte sie gerne, nicht nur eine. Dann würden sie nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden. «Wenn nur Hillary kandidiert, wird alles, was Wähler über Frauen denken, auf sie projiziert.» Hat sie eine Chance? «Ja, natürlich.» Die Frage, die US-Medien vermehrt stellen, nervt Wilson. «Hillary liegt in allen Umfragen mindestens 15 Prozentpunkte vorne, hätte ein Mann einen derart deutlichen Vorsprung, würde ihn niemand anzweifeln.»
Als Kind im Bundesstaat Georgia hatte Marie Wilson realisiert, «dass Amerika nicht gerecht ist», nicht zu den Schwarzen, nicht zur Arbeiterklasse, der ihre Eltern angehörten. Sie trat der Bürgerrechtsbewegung bei, demonstrierte gegen den Vietnamkrieg. An der Drake University in Des Moines, Iowa, baute die Philosophin ein Institut für Frauenforschung auf. Nebenher gebar sie vier Kinder und adoptierte ein fünftes. Schliesslich zog sie nach New York und übernahm die «Ms. Foundation», eine Stiftung, die Frauen und Mädchen nachhaltig zu stärken versucht. Besonders erfolgreich geriet ihre 1993 gestartete «Take Our Daughters To Work»-Initiative. Sie ermutigt Väter und Mütter, ihren Töchtern den Berufsalltag zu zeigen.
Was sie jetzt macht, überragt alles, sagt sie. «Das ist eine Mission, eine historische Aufgabe, die jemand erledigen muss.» Löst sie das «White House Project» auf, wenn eine Frau die USA regiert? «Oh nein, damit die Präsidentin erfolgreich sein kann, braucht sie viele Frauen, die mit ihr führen.»