Höhenflüge nur noch im Traum

Hinter den grössten Zeitungsverlagen in den USA stehen viele einflussreiche Familien. Doch nun geht ihre Ära zu Ende. Sinkende Einnahmen, dürftige Gewinne und mickrige Renditen: Unter den arrivierten US-Medien herrscht Endzeitstimmung. Selbst bei der «New York Times» revoltieren Aktionäre. Der Branche stehen Übernahmen bevor.

Von Peter Hossli

Grund zur Freude wäre reichlich vorhanden gewesen. Eben hatte die «New York Times» drei Pulitzer-Preise gewonnen. Sie sind der höchste Qualitätsausweis in der amerikanischen Presse. Und doch war die Stimmung bei der Aktionärsversammlung vergiftet. 28 Prozent der Eigner der New York Times Company enthielten sich der Stimme.

Einer davon, der Vertreter der Investmentbank Morgan Stanley, bekräftigte seinen Unmut. Die 1896 festgeschriebene Aufteilung in so genannte A- und B-Aktien sei keineswegs im Sinn der Anleger. Wer die an der Börse gehandelten A-Aktien erwerbe, so Hassan Elmasry von Morgan Stanley, habe weniger zu sagen als die Besitzerfamilie Ochs-Sulzberger, die die B-Aktien verwalte. Neun der dreizehn Räte werden von den B-Aktionären bestimmt, obwohl diese nicht einmal ein Prozent des Kapitals und somit des Risikos halten. Erst «die Abschaffung der Klassen kreiert ein Klima der Verantwortung» gegenüber Investoren, so Elmasry in einer Verlautbarung. «Davon profitieren schliesslich alle Aktionäre.»

Genau das ist ihnen seit langem nicht mehr vergönnt. Allein in den letzten 12 Monaten sind die Aktien um knapp ein Drittel auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren gefallen. Die Umsatzrendite verringert sich seit drei Jahren stetig. Im Jahr 2005 lag sie bei 5,6 Prozent, im ersten Quartal von 2006 sank sie gar auf 4,2 Prozent.

Die Berichterstattung über die Terroranschläge in den USA und später über die Kriege in Afghanistan und im Irak kam die «New York Times» teuer zu stehen. Gleichzeitig stagnierten die Auflagen. Die Werbedollars fliessen ins Fernsehen. Kleinanzeigen wandern ins Internet. Junge Leser, von der Werbebranche umgarnt, informieren sich hauptsächlich online. Skandale haben überdies der Reputation der weltweit führenden Zeitung zugesetzt. Ein Reporter der «New York Times» erfand für seine Artikel die Inhalte. Die Zeitung gab vor dem Irak-Krieg unkritisch Behauptungen der Regierung als Fakten wieder. Die internen Grabenkriege und kostspielige Wechsel in der Chefredaktion trübten die Stimmung.

Die Zeitungsverlage bringen eine zu geringe Rendite

Die New York Times Company ist längst nicht das einzige Zeitungsunternehmen in den USA, auf das die Investoren Druck machen. Die Aktien der Zeitungsmacher hinken der gesamten Börsenentwicklung seit Jahren kräftig hinterher. Anleger stufen deren Renditen – meist unter zehn Prozent – als zu niedrig ein. Dem entgegnen Medienanalysten, die seriöse Beschaffung und Aufarbeitung von News sei sehr kostspielig. Zudem verteilten sich die Augenpaare auf immer mehr Kanäle, was das Publikum in verschiedene Grüppchen aufsplitterte. Das Resultat: Spezialmagazine boomen, die Tageszeitungen darben.

Gelingt es den putschenden «New York Times»-Aktionären, die Aktienstruktur tatsächlich zu verändern, droht der Firma die Übernahme oder die Zerschlagung.

Vorbild dieses Szenarios ist die letztjährige Revolte bei der Knight-Ridder-Gruppe, der Herausgeberin des «Miami Herald» oder des «Philadelphia Inquirer». Die Investmentfirma Legg Mason drängte den Verwaltungsrat erfolgreich dazu, den Konzern mit 3,3 Milliarden Umsatz an die weit kleinere McClatchy Company zu verkaufen. Deren darauf verordnetes Sparprogramm trieb die Aktien in die Höhe. Letzte Woche begann McClatchy, die ersten Zeitungen zu verkaufen.

Anderen Verlegern droht Ähnliches. Wie die «New York Times» gehören nämlich die «Washington Post» und das «Wall Street Journal» alteingesessenen Familien, die jeweils Vorzugsaktien besitzen – und bei allen fallen Aktienkurse, Gewinn und Rendite.

New York Times
Die New York Times Company gibt 18 Tageszeitungen heraus, darunter den «Boston Globe» und die «International Herald Tribune» und die «New York Times». Der Konzern besitzt neun lokale TV-Stationen, zwei Radiosender und betreibt über 35 Websites. Letztes Jahr erzielte die Firma bei einem Umsatz von 3,4 Milliarden Dollar einen Gewinn von 260 Millionen Dollar. 144,3 Millionen A-Aktien werden öffentlich gehandelt. Auf sie ist das Recht verteilt, vier Sitze im Verwaltungsrat zu bestimmen. Neun Sitze fallen den bloss 834 242 nicht gehandelten B-Aktien zu. Die Familie Ochs-Sulzberger besitzt 88,6 Prozent der B-Aktien. Mit einem Anteil von 0,0057 Prozent kontrollieren die Ochs-Sulzbergers 70 Prozent des Verwaltungsrates. Arthur Sulzberger jr. amtet als Herausgeber der «New York Times» und als Verwaltungsratspräsident der Firma.
Auflage 2005 der «New York Times»: 1 136 433, ein Plus von 0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Washington Post
Neben der «Washington Post» publiziert der Medienkonzern zwei weitere grosse Tageszeitungen, dazu in zahlreichen Sprachen das bekannte und einflussreiche Wochenmagazin «Newsweek». Die Firma besitzt sechs Fernsehstationen und Anteile an Agenturdiensten. Letztes Jahr lag der Umsatz bei 3,55 Milliarden Dollar, der Gewinn betrug 314 Millionen. Die Familie Graham besitzt 1,7 Millionen A-Aktien, die jedoch nicht gehandelt werden. Sie haben aber das Recht, sechs der neun Verwaltungsräte zu wählen und so den Gang der Dinge bei der Washington Post zu bestimmen. Die Besitzer der 7,88 Millionen öffentlich gehandelten B-Aktien können nur über die restlichen drei Verwaltungsräte bestimmen. 18 Prozent des Umlaufkapitals wählen 67 Prozent des Verwaltungsrates. Donald Graham amtet derzeit als Verwaltungsratspräsident und Konzernchef.
Auflage 2005 der «Washington Post»: 751 871, ein Rückgang von 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Dow & Jones
Dow & Jones Co führt den Index der New Yorker Börse. Er publiziert in den USA, in Europa und in Asien das «Wall Street Journal». Hinzu kommen die wöchentliche Anlegerzeitung «Barron’s», die Nachrichtenagentur Dow Jones und etliche Websites. Der Konzern besitzt 15 regionale Tages- und 18 Wochenzeitungen. 2005 lag der Umsatz bei 1,77 Milliarden Dollar, es resultierte jedoch lediglich ein Gewinn von 60 Millionen. 2002 waren es noch 1,56 Milliarden Dollar Umsatz und 201 Millionen Gewinn. Von Dow Jones sind 63 Millionen A-Aktien im Umlauf. Auf ihnen ist das Recht verteilt, sieben der sechzehn Verwaltungsräte zu wählen. Die Familie Bancroft besitzt 20,2 Millionen B-Aktien, die pro Aktie zehn Stimmen enthalten. Das ermöglicht es der Familie, die restlichen neun Sitze zu besetzen. Christopher Bancroft hat einen Sitz im Verwaltungsrat, ins Tagesgeschäft mischt er sich nicht ein.
Auflage 2005 «Wall Street Journal»: 2 070 498 (-0,8 Prozent).