Ein müder Koloss sucht den Weg in die Zukunft

Die neue Internet-Welt bringt Microsoft in Bedrängnis. Das alte Geschäftsmodell taugt nicht mehr viel. Mit Vista wird Microsoft ein letztes Mal mit einem Betriebssystem Milliarden umsetzen. Die Zukunft liegt woanders. Der Softwaregigant steht vor einem grundlegenden Wandel. Es ist offen, ob ihm dies gelingt.

Von Peter Hossli

Es ist fertig – endlich. Nach zahlreichen Fehltritten und fünfjähriger Wartefrist lanciert Microsoft das Betriebssystem Windows Vista. Diesen Monat erhalten es Grosskunden, Ende Januar kann es jeder im Laden kaufen. Gleichzeitig gelangt der zweite Blockbuster in den Verkauf: die neue Version von Office. Beide Programme werden 2007 rund 30 Milliarden Dollar Umsatz und den Grossteil des Gewinns des Konzerns erzielen.

Ein letztes Mal kassiert Microsoft mit traditionell entwickelten und vertriebenen Softwarepaketen richtig ab. «Maximal fünf Jahre ist Windows noch ein Goldesel», sagt Finanzanalyst Christopher Hickey von der Researchfirma Atlantic Equities. «Dann muss ein neues Geschäftsmodell her.» Denn die Software verlege sich zunehmend vom PC ins Internet. Ein Modell läuft aus, das für Microsoft lange höchst lukra- tiv war. Windows betreibt neunzig Prozent aller PC. Die Office-Suite ist das Standardprogramm schlechthin. Sie erzielten phänomenale Wachstumsraten und vervielfachten so den Aktienkurs.

Seit fünf Jahren bewegt sich die Aktie aber nur seitwärts. Der Riese verpasste allzu oft wichtige Trends. Microsoft unterschätzte die Suchmaschinen, die Onlinemusik oder Netzwerke wie MySpace. Ein langjähriger kartellrechtlicher Zwist mit der EU trug hohe Bussen ein und trübte die Aussichten in Europa. Investoren bevorzugen nun die rein internetbasierenden Technologiefirmen wie Google. Zumal diese das Kerngeschäft von Microsoft mit Programmen aushöhlen, die nicht mehr auf dem PC installiert, sondern über eine Website angewählt werden. Google offeriert online Gratis-Software, die Microsoft-Klassiker wie Word und Excel konkurrenziert. Ein Betriebssystem dürfte folgen.

Eine dramatische Entwicklung. «Software wird zum Allgemeingut», sagt Analyst Hickey. Nicht mehr der PC – und somit Windows – steht im Zentrum, sondern die Information, die online abgelegt und angewählt wird. Das schwächt Microsoft und stärkt Google. Google durchkämmt Datenmeere und trennt rasch Nützliches von Unbrauchbarem – kostenlos. Nicht mit Software verdient die Firma Geld, sondern mit Werbung, die von Software platziert wird. Hier, sind sich Analysten einig, liegt die Zukunft der Technologiefirmen. Zahlen unterstreichen es. Letztes Jahr wurde weltweit Software im Wert von 120 Milliarden Dollar abgesetzt. Werbung erzielte hingegen einen Umsatz von 500 Milliarden Dollar. Bis 2009 soll sich der Online-Werbemarkt verdreifachen.

Der Abgang von Bill Gates könnte den Konzern beflügeln

Davon hat aber nicht Microsoft profitiert, sondern es sind Google oder Yahoo mit einem rundweg neuen Geschäftsmodell. Die Firmen bieten ihre attraktiven Dienstleistungen kostenlos an: Suchmaschine, Karten, Satellitenbilder, News oder E-Mail. Sie generieren Textseiten, auf denen sie Werbung verkaufen. Google schrieb letztes Jahr beispielsweise ein Umsatzplus von 92 Prozent, bei Microsoft waren es dagegen nur 11 Prozent.

Diesen Zug möchte Microsoft nicht verpassen. Konzernchef Steve Ballmer will sich «neue Muskeln» zulegen, wie er unlängst dem «Wall Street Journal» sagte. Jede Abteilung müsse künftig Online-Werbegelder generieren. Diesen Mai stellte Microsoft die Werbeplattform Adcenter vor, ein direkter Konkurrent zu Adsense von Google.

Microsoft kopiert ohnehin schamlos, was bei anderen funktioniert. So baut die Firma unter der Marke Live ihren kostenlosen Onlinedienst aus, sei es im Kartenbereich, bei E-Mail oder der Speicherung fremder Daten. Microsoft forciert besonders aggressiv die eigene Suchmaschine, ebenfalls unter der Live-Marke. Sie soll in Windows-Applikationen integriert werden, etwa im neuen Betriebssystem, in Office, in der Videogame-Konsole Xbox und in Mobiltelefonen. Microsoft imitiert ebenso den alten Widersacher Apple. Mit dem jüngst lancierten digitalen Musikplayer Zune will die Firma endlich das Wunderding iPod konkurrenzieren.

Bisher ging der Umbau schleppend voran. «Die letzten zwei Jahre waren enttäuschend», sagt Analyst Hickey, «es gab viele Ausrutscher, keine der neuen Technologien ist überragend.» Begabte Ingenieure wechseln zu Google, angelockt vom steigenden Aktienkurs und der zukunftsweisenden Strategie. «Wir stellen mehr Topleute ein als je zuvor», sagt Ballmer beruhigend. Zudem zahle Microsoft die höchsten Löhne der Branche und verzeichne eine hohe Loyalitätsrate. Ob Talente weggehen würden, beobachte er aber genau.

Zumal das grösste Talent abspringt. Ab 2008 widmet sich Firmengründer Bill Gates der Philanthropie. Das könnte für Microsoft befreiend wirken. Gates, zuletzt Technologiechef, galt als Übermensch. Bei der täglichen Arbeit stand ihm der eigene Mythos im Weg. «Mit Gates an Bord könnte sich Microsoft nicht verändern», sagt Hickey. Seine Nachfolge hat der Milliardär nach dem Vorbild von Google geregelt. Neben den trockenen und soliden Ballmer stellt er das Softwaregenie Ray Ozzie als Technologiechef. Ozzie gilt als einer der brillantesten und kreativsten Denker der Branche. Seine Ideen treiben den radikalen Kurswechsel an.

Viele vermeintliche «Microsoft-Killer» schlugen ins Leere

Nicht nur Ozzie verbreitet Optimismus. «Microsoft darf man nicht abschreiben», sagt Hickey. Niemand verfügt über mehr Know-how. Für alle Firmen ist der Umbau zu internetbasierenden Diensten kapitalintensiv, sind sie doch gezwungen, riesige Serverfarmen aufzubauen. Microsoft kann sich das dank Barreserven von 35 Milliarden Dollar leisten. «Es sieht so aus, als ob Microsoft gegen Google in den Krieg zieht», kommentiert der Analyst Eugene Munster von Piper Jaffrey die vorgesehenen «aggressiven Investitionen». Die Zeit eilt, denn Google richtet auch solche Serverfarmen ein.

Noch etwas spricht für Microsoft: Der Konzern wird oft unterschätzt. Google ist nicht der erste, als «Microsoft-Killer» apostrophierte Konzern. Zuvor wurden Netscape, Sun oder Apple als das bezeichnet. Nach einer beschwerlichen Anpassungsphase gabs stets nur einen Sieger – Microsoft.

Der Mann, der auf die Kunden hören will

Ray Ozzie ist einer der brillantesten Köpfe der Branche. Er muss nun aus dem Schatten von Bill Gates treten.

Ray Ozzie hat einen Blog. Aber schreiben tut er kaum. Der letzte Eintrag war vor acht Monaten. Ozzie, 51 und weisshaarig, hat keine Zeit. Er ist Nachfolger einer Legende. Bill Gates ernannte ihn letzten Sommer zum Softwarearchitekten und somit zur Schlüsselfigur von Microsoft.

1983 versuchte der jetzige Chef Steve Ballmer erstmals, ihn anzuheuern. «Zehn Jahre lang wünschten wir uns, Ray Ozzie anzustellen», so Gates. Es gebe, abgesehen von Apple-Chef Steve Jobs, niemanden, den Gates mehr bewundere als Ozzie, witzelte der «Economist». Jobs sei aber unabkömmlich.

Ozzies Aufgabe ist klar: Er muss die Ausrichtung des Softwarekolosses korrigieren. «Alles, was wir tun, muss eine Präsenz im Internet haben», sagt er. Microsoft hätte zu lange gewartet, um sich auf die neue Umgebung einzustellen, schrieb er in einem internen Memorandum. Weil er überzeugt ist, dass Microsoft künftig einen beachtlichen Teil des Gewinns mit Onlinewerbung erzielen wird, lancierte er die Windows-Live-Plattformen. Bis anhin entwickelten die Ingenieure Produkte aufgrund technischer Machbarkeit. Ozzie spürt Produkten nach, die Kunden wirklich wollen. Erst danach versucht er, sie zu fertigen.

Er sei der ideale Mann, um Gates zu ersetzen, sagt Finanzanalyst Christopher Hickey. Als Aussenseiter könne er Microsoft vom PC wegführen. «Gates war zu sehr verbunden mit dem PC, Ozzie ist völlig frei.» Er dürfte die Firmenkultur verändern. Er wird als «buddhaähnlich» bezeichnet, als einer, der mit seiner väterlich tiefen Stimme und der zugänglichen Art einen Gegenpol bilde zum zuweilen aufbrausenden und quietschend redenden Gates.

Gates und Ozzie gehören jener famosen Silicon-Valley-Generation an, die den PC benutzerfreundlich gestaltete und ihn unters Volk und in die Büros brachte. Während Gates den dominanten IT-Konzern formte, gründete Ozzie kleine Firmen. Ozzie setzte schon als Kind in Chicago Schaltkreise zusammen. Als Student entdeckte er eine Passion – mit Hilfe von Technologie würde er Beziehungen knüpfen. Mitte der Achtzigerjahre erfand er Lotus Notes. 1995 kaufte IBM Lotus Notes für 3,5 Milliarden Dollar. Es ist noch heute eines der erfolgreichsten Programme und wird von 128 Millionen Anwendern genutzt.

Danach entwickelt er Groove, ein Softwarepaket, das es Gruppen ermöglicht, online miteinander zu kommunizieren und zu arbeiten. Vor einem Jahr kaufte Microsoft Groove – und konnte so Ray Ozzie und dessen Bruder Jack ins Microsoft-Reich holen.

Wo Microsoft angreift

Google: Mit dem Betriebssystem Vista forciert Microsoft den Internet-Suchbereich, was dringend nötig ist. Google hält einen Marktanteil von 44 Prozent, Yahoo von 23,4 und Microsoft von lediglich 9,2 Prozent. Microsoft will das von Google kontrollierte Geschäft mit Onlinewerbung erobern. Dienstleistungen der Live-Plattform sollen Werbeflächen kreieren. Das Adcenter von Microsoft ist eine Internet-Werbeagentur im Stile von Adsense bei Google. Von jeder Abteilung erwartet Microsoft-Chef Steve Ballmer Internet-Werbeeinnahmen. Google nimmt sich hingegen bereits der traditioneller Medien an. Die Firma platziert Radiospots und füllt Zeitungen mit Anzeigen.

Musikplayer: Die Kritik war harsch, als Microsoft letzte Woche den digitalen Musikplayer Zune lancierte. Der «Economist» kanzelte ihn als schamlose Imitation des iPod ab. Die «New York Times» bezeichnete ihn als öde und fragte: «Was soll der Zune eigentlich?» Die Antwort ist einfach. Microsoft will endlich in jenen Bereich vordringen, den der Widersacher Apple seit Jahren mit dem iPod alleine dominiert. Den Zune begleitet ein neuer digitaler Musikladen, dreist abgeguckt bei iTunes. «Zune ist zu wenig gut und kommt zu spät, um den iPod zu gefährden», sagt ein Analyst. Peinlich für Microsoft: Das neue Betriebssystem Vista ist nicht kompatibel mit dem Zune. Noch hält der iPod einen Marktanteil von 80 Prozent. Apple darf sich dennoch nicht sicher fühlen. Der Zune wird aggressiv beworben und in den Markt gestossen. Sind iPods in 10 000 US-Läden erhältlich, gibts den Zune in 30 000 Geschäften. Microsoft nimmt zudem in Kauf, mit jedem Zune Geld zu verlieren.

Xbox: Nicht mehr nur Videospiele, sondern nun auch Spielfilme können Besitzer der Xbox aus dem Internet herunterladen. Da die Konsole am Fernseher angeschlossen ist, hofft Microsoft, die Dominanz bei den Film-Downloads zu erringen. Apple verkauft bereits über iTunes Filme und lanciert nächstes Jahr ein Gerät, das Inhalte drahtlos von Computern auf Fernseher übermitteln soll.

Open Source: Microsoft hat die Open-Source-Bewegung unterschätzt (Open Source: Der Quelltext eines Programms wird zur Benutzung freigelegt, er kann beliebig verändert werden). Seit November arbeitet Microsoft mit dem Konkurrenten Novell zusammen. Künftig werden Server sowohl mit Windows wie mit Suse Linux von Novell laufen. Zudem reagiert der Gigant auf die Zusammenarbeit von Oracle mit Red Hat, dem führenden Linux-Anbieter. Damit drang Oracle, die zweitgrösste Softwarefirma, ins Geschäft mit Betriebssystemen vor, das Microsoft dominiert.