Ein Mann mit eisernen Fäusten

Als Staatsanwalt lehrte Eliot Spitzer die Wallstreet das Fürchten. Jetzt steht er vor der Wahl zum Gouverneur von New York. Das freut seine Feinde. Freunde hoffen, er ziehe ins Weisse Haus weiter.

Von Peter Hossli

Eliot Spitzer war noch ein Bub, als er im Tennis gegen den gleichaltrigen John McEnroe antrat – und klar verlor. «John wird mal die Nummer eins der Welt sein», erzählte er danach seinen Eltern. «Nur weil Du gegen ihn verlierst, heisst das noch lange nicht, dass er der beste ist», gemahnte ihn der Vater zur Mässigung. Eliot bekam Recht. Mit 21 erklomm McEnroe die Weltrangliste.

Gegen ein geniales Tennisass gesteht sich Spitzer Niederlagen ein. Sonst nicht. Sei es gegen globale Konzerne, kluge Manager oder vife Politiker, der von Selbstvertrauen strotzende Spitzer will stets siegen. Am 7. November bewirbt er sich für den Gouverneursposten von New York, dem nach Einwohnern drittgrössten und dank der Wallstreet wirtschaftlich mächtigsten Staat Amerikas.

Dass er gewinnt, weiss der Demokrat. Bei Umfragen beträgt sein Vorsprung rund 50 Prozent. Trotzdem betreibt er einen aggressiven Wahlkampf. Spitzer, 47, peilt den höchsten Wahlsieg der Geschichte New Yorks an. Ein Mandat will er, das ihm in New Yorks Hauptstadt Albany so viel Macht beschert wie er sie an der Wallstreet hatte.
Die war immens. Ein Gesetz von 1921 erlaubt es dem Staatsanwalt New Yorks, die Rechtmässigkeit jedes Handels mit Wertschriften zu überprüfen. Das tat Spitzer resolut, um Betrügereien aufzudecken, sagen seine Freunde. Kritiker kanzeln ihn als unkontrollierten, selbstverliebten Tyrannen ab, den politische Ambitionen motiviert hätten.

Über 13 Milliarden Dollar Bussgeld trieb er in seiner achtjährigen Amtszeit ein, das Gros von Investmentbanken und Versicherungen. Mit unorthodoxen Methoden. Er trat vor die Medien und übergoss jene mit Scham, die er vor Gericht ziehen wollte. Er drohte Klagen an und forderte die Absetzung korrumpierter Chefs. Stellte er später einen Fall aus Beweismangel ein, tat er das kleinlaut.

Weltweit berühmt wurde seine Klage von 2002 gegen Merrill Lynch. Sie brachte den Finanzkoloss an den Rand des Kollapses. Später erzwang er von 10 Banken eine Zahlung von 1,4 Milliarden Dollar für Manipulationen während der Internet-Blase. Ein Verdikt, das am Image des Finanzplatzes New York kratzte. «Falsch», entgegnet Spitzer. Er hätte sich stets dem freien Markt verschrieben. «Betrügereien zerstören weltweit das Vertrauen in die Märkte.» Seine forsche Gangart sei angebracht, sagt er. «Die Welt lässt sich nicht durch Flüstern verändern.»

Umso erleichterter ist die Finanzbranche über Spitzers Abgang – und sagt dies nur hinter vorgehaltener Hand. Keine der von CASH kontaktierte und Spitzer verklagte Bank nahm öffentlich Stellung. «Sie können sich ja denken, was wir von Spitzer halten», sagt ein Pressesprecher. Indes häufen sich auf der Leitartikel-Seite des «Wall Street Journals» Anwürfe, Spitzer hätte seine uneingeschränkte Macht missbraucht.

Als Gouverneur wird Spitzer anderen Zwängen ausgesetzt sein. Zuallerst muss er die Steuerbasis New Yorks sichern. Zumal er das marode Schulsystem verbessern, die Stammzellenzellenfor-schung staatlich fördern und das Verkehrsnetz stärken will – ohne die Steuern erhöhen zu wol-len. Umso mehr dürfte er die Geschäfte seiner alten Widersacher an der Wallstreet ankurbeln. Mit Vehemenz werde er sich für die Lockerung des Sarbanes-Oxley-Acts einsetzen, glauben daher politische Beobachter. Das von Spitzer häufig gepriesene Gesetz folgte auf die Megapleiten von Enron und Worldcom und verschärfte die Buchhaltungsvorschriften. Nun klagt die Finanzindust-rie, es treibe Börsengänge nach London, was Firmen Profit und den Staat Steuern kostet.

Geld, das der Gouverneur in spe dringend braucht. So will er den schleppenden Wiederaufbau des World Trade Centers endlich beschleunigen. Ein «Debakel im Still von Enron» hätte der jetzige Gouverneur George Pataki auf der Baustelle in Lower Manhattan angerichtet. Dabei wollte sich Pataki mit dem Bauprojekt beim Ground Zero den Weg ins Weisse Haus ebenen. Ein Ansinnen, das nun Spitzer verfolgt. Seit Jahren lamentiert er über «die mangelnde Führung in Washington». Spitzer sei die «Zukunft der demokratischen Partei» sagt Bill Richardson, der Gouverneur von New Mexiko und einer der einflussreichen Demokraten. Auf seinem Weg nach Washington sei Albany bloss Zwischenstation.

Es wäre die Krönung einer amerikanischen Erfolgsstory. Mausearm zogen Spitzers Grosseltern von Österreich nach Amerika. Bereits sein Vater brachte es mit Immobilien zu einem Millionen-vermögen. Den Kindern impften die Eltern Fleiss, intellektuelle Neugier sowie soziale Verantwortung ein. Eine Tochter wurde Anwältin, ein Sohn Neurochirurg. Eliot graduierte an der Princeton University und in Harvard. Weit offen stand die Türe für eine einträchtige Karriere bei einer privaten Kanzlei. Eine Reise in den Süden der USA hätte ihm die Augen für Amerikas Armut geöffnet, sagte Spitzer später. Statt Millionen anzuhäufen, wechselte der dreifache Vater mit 35 in den öffentlichen Dienst und verschrieb sich dem Kampf der Entrechteten.

Er tat es mit Verve – und einer einnehmenden Aura. Seine blauen Augen strahlen, der edle An-zug sitzt perfekt, die abstehenden Ohren leuchten rosa. Seine tiefe Stimme ist nicht bewegend, sie ist laut und drückt etwas aus: einen ungestümen Hang zur Macht.

Spitzers Nachfolge
Während Eliot Spitzers Wechsel ins Gouverneursamt von New York sicher scheint, entwickelt sich die Wahl seines Nachfolgers zum unterhaltsamen politischen Duell. Auf der Seite der Demo-kraten tritt Andrew Cuomo an, ein politischer Novize im Schatten seines Vaters, des legendären Gouverneurs Mario Cuomo. Die Republikaner setzen auf Jeanine Pirro, eine erfahrene Anklägerin im noblen Vorortsbezirk Westchester.
Schlagzeilen machte unlängst vor allem ihr Ehegatte, der öfters wegen überhöhter Geschwindigkeit gebüsst wird. Pirro liess ihn zudem überwachen, weil er eine Affäre haben soll. Mit der Wallstreet wollen sich beide versöhnen. Dennoch fürchtet die Finanzwelt einen neuen Ankläger. Seit Sommer amtet Stuart Rabner als Staatsanwalt von New Jersey, Geschäftssitz etlicher Banken. Rabner studierte an denselben Universitäten und durchlief dieselbe juristische Laufbahn wie Spitzer. Sein Haaransatz ist ebenso auf dem Rückzug. Sein Ziel: «Die Beseitigung von Korruption.»