Von Peter Hossli
An der Wallstreet herrscht Katerstimmung. Neun der umsatzstärksten zehn Börsengänge dieses Jahres wurden woanders abgewickelt, vornehmlich in London und in Hongkong. Vor sechs Jahren war es noch umgekehrt.
An der Trendwende sei der Sarbanes-Oxley Act schuld, klagt die Finanzindustrie. Das Gesetz wurde 2002 nach den skandalösen Megapleiten von Enron und Worldcom verabschiedet. Es verlangt striktere Buchführung und erhöhte Transparenz. Der Paragraf 404 ist besonders umstritten. Dieser weist den Managern die Verantwortung zu für «adäquate interne Kontrollstrukturen und Abläufe für die Finanzberichterstattung». Im Klartext heisst das: Schlampt der Buchhalter, trägt der Chef die Schuld und wird strafrechtlich verfolgt.
Deshalb heuern börsenkotierte Firmen inzwischen Heerscharen von Buchprüfern an – was zu horrenden Kosten führt. Insgesamt verursache das mit «SOX» abgekürzte Gesetz einen Mehraufwand von 1400 Milliarden Dollar, besagt eine Studie der University of Rochester.
Verschiedene Firmen zogen sich von der Börse zurück
Der SOX wirke auf die US-Wirtschaft geradezu hemmend, sagte Kevin Warsh bei seiner Antrittsrede als neues Mitglied im Direktorium der amerikanischen Notenbank.
Einige Unternehmen haben tatsächlich reagiert. Unlängst entschied sich die Hospital Corporation of America (HCA), für 21 Milliarden Dollar sämtliche Aktien zurückzukaufen und die grösste Spitalkette der USA zu privatisieren. Als Grund gab HCA-Chef Thomas Frist die hohen SOX-Kosten an. Die Kette ist kein Einzelfall. Der Spielwarenhändler Toys ‘R’ Us, der Autovermieter Hertz oder die Supermarktkette Albertsons privatisieren ebenfalls – wegen des SOX.
Inzwischen werden die US-Börsen sogar von Risikokapitalisten gemieden. Letztes Jahr wagten gerade mal 56 mit Risikokapital finanzierte Firmen die Erstemission in den USA, halb so viel wie in einem durchschnittlichen Jahr. Der Grund: Der SOX hat den Börsengang erschwert. Neue Firmen würden Kapital öfter woanders aufnehmen, schreibt der Nasdaq-Chef Robert Greifend in einem «Wall Street Journal»-Leitartikel: «Als wichtigsten Grund dafür nennen sie Sarbanes-Oxley.» Insbesondere chinesische Firmen – derzeit die IPO-Stars – bleiben den USA fern. All das formiert Widerstand. So hat die Stadt New York einen Lobbyisten engagiert, mit dem Auftrag, den SOX zu verändern. Verliert New York nämlich IPO, verliert die Stadt Steuereinkommen.
Schützenhilfe erhält die Metropole vom Finanzminister. «Das meiste von Sarbanes-Oxley hat funktioniert», sagte Henry Paulson, seit Ende Juni im Amt. «Doch das Pendel hat zu sehr ausgeschlagen.» Er hat einem Committee on Capital Markets den Segen erteilt, die Situation zu analysieren und bis Ende November Vorschläge auszuarbeiten – damit die Konkurrenzfähigkeit der Finanzindustrie intakt bleibt. «Das ist zentral für die Zukunft der amerikanischen Wirtschaft», sagt Paulson.
Bereits nächstes Jahr soll der Kongress den Sarbanes-Oxley Act verändern, hofft er. Ob es aber dazu kommt, ist ungewiss. Denn am 7. November wird der Kongress neu bestellt. Bei einer demokratischen Mehrheit scheint die Lockerung gefährdet. Zudem hat die Zusammensetzung der Kommission Kritik hervorgerufen. Sie wird vom Harvard-Rechtsprofessor Hal Scott präsidiert; darin sind Banken und ehemalige Mitglieder der Bush-Regierung vertreten – nicht gerade eine auf Konsens bauende Mischung.
Selbst wenn der SOX umgekrempelt würde, bleibt das Emissionsgeschäft in New York bedroht. Die Gebühr für ein IPO beträgt hier 7 Prozent, mehr als doppelt so viel wie in Europa.
Stichwort: Sarbanes-Oxley Act
Der Sarbanes-Oxley Act (SOX), seit Ende Juli 2002 in Kraft, ist ein US-Gesetz zur
Verbesserung der Unternehmensberichterstattung infolge der Bilanzskandale von Unternehmen wie Enron oder Worldcom. Benannt wurde es nach seinen Verfassern, dem Senator Paul S. Sarbanes (Demokrat) und dem Abgeordneten Michael Oxley (Republikaner). Ziel des SOX ist es, das Vertrauen der Anleger in die Richtigkeit der veröffentlichten Finanzdaten von Unternehmen wiederherzustellen. Das Gesetz gilt für an US-Börsen kotierte Unternehmen.