Handyman

Handchirurgie: Nelson G. Botwinick über die Faszination seines Berufs.

Von Peter Hossli (Text) und Johannes Kroemer (Foto)

botwinick.jpgEs ist die Hand, die den Mensch vom Tier abhebt. Nur Primaten können jeden Finger zum Daumen führen und ihre Hände räumlich frei positionieren. «Die Hand ist unabhängig und sehr präzise», beschreibt Nelson Botwinick das fünffingerige Organ. Wie kaum jemand kennt und versteht er es. Über 8000 Hände hat der New Yorker Arzt in den letzten zwanzig Jahren operiert. Er gilt als Bester seines Fachs. Alljährlich kürt ihn das «New York Magazine» seit 1998 zum herausragenden Handchirurgen der Millionenmetropole. Weil er ehrlich mit sich und zu den Patienten ist. «Du kannst nur der Beste sein, wenn du nur das tust, was du kannst», sagt Botwinick. Auf seinem Pult steht eine steinerne geballte Faust. Der 51-Jährige redet in den hohen Oktaven, der rasche New Yorker Akzent erinnert an Woody Allen, das Gebaren hingegen ist ruhig und besonnen.

Keinerlei Fehler lasse sein Job zu, sagt Botwinick, deshalb habe er ihn gewählt. «Ein Schlamper wird nicht Handchirurge.» Er setzt Schrauben ein, die er ohne Lupe nicht sieht. Bohrt er ein Loch, sind Abweichungen von einem halben Millimeter nicht zulässig. «Es gibt Ärzte, die solchen Stress nicht aushalten», sagt Botwinick, «die wechseln halt Hüftgelenke, mit höherem Toleranzwert.»

Er mag den Druck, präzise zu sein. Er mag das rasche Erfolgserlebnis – behandelt etwa ein Rückenarzt einen Patienten über zwanzig Jahre, weiss Botwinick im Nu, ob seine Operation geglückt ist. Er mag die Hand an sich, verehrt den Körperteil, tritt ihm «mit viel Demut» entgegen. «Sie hat alles», sagt er. Sehnen. Haut. Knochen. Muskeln. Die Hand ist ein Gefühlsorgan. Menschen sprechen mit ihr, drücken sie zum Gruss. Nach den Augen ist es das zweite Organ, das bei einem ersten Kontakt auffällt. Eine deformierte Hand ragt hervor wie ein deformiertes Gesicht. Sie ist unabdingbarer denn je. «Wir nutzen sie heute intensiver als vor zwanzig Jahren», sagt er – um auf der Tastatur zu tippen, den BlackBerry oder ein Videospiel zu führen.

Zwischen zehn und zwölf Hände operiert Botwinick pro Tag. Die Palette reicht weit. Er entfernt Krebsgeschwüre, operiert Karpaltunnel und Brüche, behandelt Knochenschwund oder entzündete Sehnen. Zuweilen amputiert er Glieder oder näht abgeschlagene Finger an. «Ich mag eine Mischung aus Routinen und komplizierten Frakturen», beschreibt er einen guten Tag im Operationssaal. Ein Ort, «wo ich die totale Kontrolle habe». Operiert er, redet er mit niemandem. Selbst einem einfachsten Eingriff begegnet er als sei es der bisher schwierigste seiner Laufbahn. «Das schulde ich meinen Patienten», sagt er. «Bin ich nachlässig, gibt es Fehler.»

Stets strebt er dasselbe Ziel an: Er versucht, die drei Hauptfunktionen der Hand zu bewahren. Das räumliche Positionieren. Die Feinmechanik. Die Anwendung und Kontrolle von Kraft. Sich am Ellbogen zu kratzen ist etwas ganz anders als eine Nadel zu greifen oder ein Glas Gurken zu öffnen. Gesteuert werden die drei Vorgänge von drei Nervensträngen. Die Hand nimmt Sinne wahr und sendet sie ans Hirn weiter. «Perfekt ist die Hand aber nicht», betont Botwinick. «Sie altert, sie nutzt sich ab, sie ist Risiken ausgesetzt.» Kein Glied erleidet mehr akute Verletzungen als die Hand, belegen Statistiken der Notfallstellen der lokalen Spitäler.

Bewusst schützt er seine etwas kurzen Hände. «Ich tue nichts Dummes damit.» Schneiden die meisten New Yorker ihre Bagel in der Luft, legt er sie stets aufs Schneidbrett. «Ich trage Handschuhe, wenn ich im Garten arbeite oder eine heisse Pfanne berühre.»