Alles, nur nicht älter werden

Der Barde Bob Dylan schöpfte das Lebensmotto: Doch «Forever Young» sind Amerikas Babyboomer nicht geblieben. Unzählige Gesellschaften wollen von deren aktivem Ruhestand profitieren

Von Peter Hossli

Der Expräsident mit dem lichter werdenden weissen Haar scherzte nicht. «Ich bin 60, und ich hasse es», gestand Bill Clinton letzte Woche. Die widerspenstige Haltung des berühmtesten Babyboomers ist bezeichnend für eine Generation, die auf gar keinen Fall altern will. Sie setzt sich statt in Schaukelstühle an einarmige Banditen. Babyboomer kaufen in aktiven Altenkolonien Häuser, lasern ihre Falten weg, oder sie arbeiten und verdienen munter weiter – um noch mehr zu shoppen.

Das Potenzial ist enorm. Zwischen 1946 und 1964 kamen in den USA 78 Millionen Menschen zur Welt. Aus Europa und Asien heimkehrende Soldaten gründeten stattliche Familien. Alle hatten eine Arbeit. Die Babyboomer prägten und veränderten Amerika markant. Sie rockten in Woodstock, zelebrierten freien Sex und konsumierten schamlos psychedelische Drogen, sie scheffelten Milliarden, erteilten dem Narzissmus den Segen, brachten Ikonen wie Donald Trump, Steven Spielberg oder eben Bill Clinton hervor.

Sie hatten selbst wenige Kinder. Die Antibabypille knickte abrupt das Wachstum und schmälerte die nachfolgenden Generationen. Umso freier gestalten die Babyboomer jetzt ihr Alter. «Babyboomer erfinden den Ruhestand neu», schloss letztes Jahr Merrill Lynch in einer Studie. Bei guter Gesundheit möchten sie möglichst lange aktiv sein. Bill Clinton beispielsweise hat versprochen, zu Lebzeiten Aids zu kurieren. Andere buchen Kreuzfahrten in die Karibik oder den Trip ins Wüstenkasino.

Die in Las Vegas ansässige Firma Harrah’s Entertainment, mit 39 Kasinos und 40 000 Hotelzimmern die weltweit grösste Spielhöllenbetreiberin, profitiert besonders. Deren wichtigste Klientel ist zwischen 51 und 62 Jahre alt. Nie zuvor erreichten mehr Menschen mit mehr Geld das goldene Zocker-Alter.

Harrah’s nimmt sie gezielt aus. «Wir steigen ihnen aggressiv nach», sagt Harrah’s-Manager Ryan Nathan. «Uns stehen tolle Zeiten bevor.» Vor Kurzem traf der Kasinoriese ein Abkommen mit der Eons.com, einer Website, welche den Babyboomern Tipps gibt, wie man möglichst zufrieden und somit Geld ausgebend 100 Jahre alt werden kann. «Wir richten unser Angebot danach aus: auf mehr Golf, exquisitere Restaurants, mehr ausländische Destinationen», sagt Nathan. Zudem expandiert Harrah’s dorthin, wo viele Babyboomer leben, nach Pennsylvania oder in den Süden der USA. Die Firma peilt jene Rentner an, die noch arbeiten und sich abends bei einer Runde Poker entspannen.

Paffen und trotzdem lang leben

Keine Generation vor ihr und keine nach ihr hat mehr geraucht als die Babyboomer. Nur wenige Babyboomer drücken den Glimmstängel für immer aus. Was sie in ein Dilemma stürzt – sie wollen lange leben und trotzdem paffen. Philip Morris, ei-ne Tochtergesellschaft von Altria, schafft Abhilfe. Sie entwickelt eine Zigarette mit reduziertem Risiko. «Wir sind dabei, die Gefahren unserer Produkte zu verringern», sagte eine Philip-Morris-Sprecherin. Wen sie anspricht, ist klar: «Wir vermarkten unsere Produkte nur an Erwachsene, die noch rauchen» – also vornehmlich an Babyboomer.

Die gesündere Zigarette ist nur eines von vielen neuen Produkten, die direkt auf die wohlhabende Riesengeneration zugeschnitten sind. Der Schokoladefabrikant Hershey vermarktet zuckerlose Edelsüssigkeiten, speziell für Diabetiker. Und die amerikanische Pharmafirma Allergan hofft, dass die Babyboomer den Verkauf von Botox ankurbeln, einem Medikament, das mittels Injektion die Haut glättet – eine Prozedur, die öfter wiederholt werden muss. Die in ihr Spiegelbild vernarrten Babyboomer wählen wohl eher die beständigere Laserbehandlung. Marktführer bei kosmetischen Lasern ist die israelische Gesellschaft Syneron, die ihre Maschinen vor allem in den USA absetzt. Behände schälen sie Haut, entfernen Krampfadern und Zellulitis, Falten oder Nasenhaare.

Kolonien ganz ohne Kindergeschrei

Zumal die eitlen Alten im aktiven Seniorenheim unter sich sind und dabei eine gute Figur machen wollen. Eine Art von Rentnerkolonie boomt in Florida und Arizona besonders – jene, die nur Menschen über 55 Jahre zulässt. Niemand errichtet und betreibt mehr solcher Überbauungen als die amerikanische Firma Del Webb, eine Tochterfirma von Pulte Homes, einem Konzern, der letztes Jahr 45 630 Häuser erstellte und fast 15 Milliarden Dollar Umsatz erzielte.

Der Zeitpunkt für den Kauf von Pulte-Aktien ist günstig. Der abkühlende Immobilienmarkt hat dem Wertpapier jüngst zugesetzt. Die Aussichten sind jedoch rosig. Gemäss einer Studie beabsichtigt die Hälfte aller Babyboomer, den Ruhestand in einer aktiven Altenkolonie zu verbringen. «Langfristig wird Pulte enorm profitieren», glaubt UBS-Analyst David Goldberg. Vor allem dank Del Webb. «Babyboomer haben viel Geld – viele geben es für Del-Webb-Häuser aus.»