Von Peter Hossli
Ein Werbespot ist am amerikanischen Fernsehen derzeit allgegenwärtig. Hübsche junge Frauen und Männer stehen mitten in wogenden Maisfeldern. “Was wäre, wenn wir unsere Ölabhängigkeit ablegen könnten?”, fragt ein kecker Rotschopf. Wie, das weiss eine aparte Brünette. “Mit E85, dem grünen Brennstoff.” E85 ist die Abkürzung für ein Gemisch aus 85 Prozent Ethanol und 15 Prozent Benzin. Mit dem Spot wirbt General Motors für so genannte Flex-Cars, neuartige Autos, die sowohl Bleifrei wie Ethanol tanken. Bis Ende Jahr will GM davon 400 000 produzieren, fast doppelt so viele wie 2005. Ford und Chrysler setzen ebenfalls auf Motoren, die mit aus Biomasse gegorenem Alkohol betrieben werden.
So teuer wie in den Siebzigern
Nicht mehr seit der Ölkrise in den siebziger Jahren zahlen US-Automobilisten mehr für Benzin als jetzt, durchschnittlich drei Dollar pro Gallone (3,78 Liter), an manchen Orten sogar fünf. Vor zwei Jahr kostete der Sprit noch knapp zwei Dollar, was damals als hoch galt. Amerikaner sind sich Kosten um 1,2 Dollar gewohnt. Angetrieben hatte den Preis kurzfristig der letztjährige Hurrikan Katrina. Zusätzlich ins Gewicht fällt die knappe Raffinerie-Kapazität – seit dreissig Jahren wurde in den USA keine neue Benzinfabrik erstellt. Hauptsächlich hebt aber der hohe Ölpreis von über 70 Dollar pro Fass den Preis der Tankfüllung. Vor einem Jahr kostete das Fass noch 50 Dollar. Wachstumsländer wie Indien und China kurbeln die Nachfrage an. Neue Ölfelder zu erschliessen ist kostspielig. Zudem verunsichern der Krieg im Irak sowie die diplomatische Krise mit Iran die Märkte.
Ethanol einigt Parteien
Umso mehr forcieren amerikanische Politiker heimische Energie. Ethanol – in den USA meist aus Mais destilliert – gilt als logischer Ersatz. Damit liesse sich die “Sucht Amerikas nach Öl” mindern, sagte US-Präsident George W. Bush in der diesjährigen Rede zur Lage der Nation. Letztes Jahr verabschiedete er ein Mandat, das den jährlichen Ethanol-Verbrauch bis 2012 verdoppelt, von jetzt vier auf fast acht Millionen Gallonen. Analysten erwarten bereits früher eine Erhöhung der Pflicht, zumal Demokraten wie Republikaner geeint hinter dem Kraftstoff aus gelben Kolben stehen. Bis 2030 könnte ein Drittel der US-Wagenflotte mit Ethanol fahren, hat das U.S. Department of Energy berechnet. Einzelne US-Städte – etwa Wilmington in Delaware – haben alle städtischen Autos auf Ethanol umgestellt.
Margen treiben Business an
Eine Gallone Ethanol kostet heute 2,6 Dollar, also weniger als Benzin. Aber mittlerweile genug, um damit Profite zu erzielen, verschlingt die Produktion doch zwischen 1 und 1,2 Dollar die Gallone. Solche Margen haben im Getreidegürtel Amerikas einen wahren Gold-Rush ausgelöst, in Mais-Staaten wie Iowa, Indiana oder Minnesota. Fast 100 neue Ethanol-Raffinerien sind in den letzten fünf Jahren fertig gestellt worden, 33 befinden sich im Bau, zu Kosten von 50 bis 125 Millionen Dollar. Finanziert wird die Expansion hauptsächlich von privaten Kleinanlegern, die ihre Ersparnisse losgelöst von der Wall Street in solche Anlagen anlegen. Vor fünf Jahren investierte beispielsweise der Maisfarmer Darrell Hack zusammen mit 650 Anlegern in eine Raffinerie in Primghar, Iowa. Vor drei Jahren erzielte er eine Bar-Dividende von 20 Prozent der ursprünglichen Investition, letztes Jahr waren es bereits 80 Prozent. Erhöht haben sich zudem Preis und Nachfrage nach Mais, den Hack selbst anpflanzt.
Investoren wittern Gewinne
Hellhörig geworden sind darob traditionellere Investoren. So boomen die wenigen Ethanol-Produzenten, die bereits börsenkotiert sind. Ebenso die Biotechfirmen, die Enzyme entwickeln, die den Gärungsprozess beschleunigen sollen. Einige noch private Firmen stehen vor dem Börsengang. Bereits auf dem Ethanol-Zug aufgesprungen ist Microsoft-Gründer Bill Gates. Für 84 Millionen Dollar hat er einen Viertel an Pacific Ethanol erworben, eine Firma in Kalifornien, die Ethanol vertreibt und derzeit fünf Raffinieren baut. Der legendäre Silicon-Valley-Risikokapitalist Vinod Khosla rückt von High-Tech ab und setzt auf erneuerbare Energien. War er einer der frühen Förderer von Google und America Online, glaubt Khosla heute, “Ethanol könnte Benzin in den USA und vielen anderen Ländern ersetzen.”
Geteilte Meinung der Experten
Ein Befund, den Professor David Pimentel von der Cornell University nicht teilt. “Der Ethanol-Boom ist ein Wahnsinn”, sagt er. “Es verdienen wenige Leute kurzfristig viel Geld, eine Zukunft hat das nicht.” Er unterstellt dem Spiritus schlechte Umweltverträglichkeit und eine dürftige Energiebilanz. Bei der Umwandlung von Mais zu Ethanol müssen laut Pimentel 29 Prozent mehr Energie eingesetzt werden, als der Kraftstoff hergibt. Energie-Analysten warnen denn auch bereits vor einer “Ethanol-Blase”. Noch etwas trübt die Vision der Energieunabhängigkeit. “Sollte sich Biosprit tatsächlich durchsetzen”, zitiert das Magazin “Economist” einen saudiarabischen Öl-Politiker, “senken wir den Ölpreis.” Saudia Arabien ist in der Lage, ein Fass Rohöl für einen Dollar zu fördern. Kein Maisfarmer kann da mithalten.