Von Peter Hossli
Die Freude beim US-Anwalt Bruce Afran war gross, als er letzten Donnerstag die «USA Today» aufschlug. Drei Telefonfirmen, so die Zeitung, hatten die Daten von «dutzenden von Millionen Amerikanern» ohne deren Wissen an die US-Regierung weitergereicht.
Am nächsten Tag verklagte Afran mit Verizon eine der drei Firmen. «Das ist fraglos der tiefste Eingriff in unsere persönlichen Freiheiten», polterte er. Seine Klage würde zur «grössten Sammelklage aller Zeiten» werden. Zumal Afran diese Woche die beiden anderen Konzerne – AT&T und Bellsouth – ebenfalls einklagte.
Es geht, wie meist in den USA, um horrende Summen. Verizon, AT & T und Bellsouth bedienen gemeinsam 224 Millionen Kunden. Sie wickeln 80 Prozent der Festnetzanrufe ab, dazu die Hälfte aller mobilen Gespräche. Gemäss einem 1986 verabschiedeten Gesetz müssen Telefonfirmen bei illegaler Weitergabe von Daten eine Busse von 1000 Dollar bezahlen – pro Anruf. Bei jährlich 500 Milliarden Telefonaten entspräche das einer astronomischen Strafe von fünf Billionen Dollar.
Gerichte werden darüber befinden, ob die Bespitzelung zur Terrorbekämpfung rechtens war, wie das US-Präsident George Bush behauptet. Das Image der Telefonfirmen ist aber schon jetzt schwer angekratzt. So lehnen 51 Prozent der Amerikaner die Weitergabe der Daten laut einer Umfrage ab. Der republikanische Senator Arlen Specter hat die drei Firmenchefs zu einem parlamentarischen Verhör vorgeladen. Sie müssen offen legen, was sie weitergegeben haben. Es handelt sich um Nummern gewählter und empfangener Telefonate – ein Affront bei der hohen Sensibilität der Amerikaner für ihre Privatsphäre.
Die US-Verfassung verbietet es dem Staat, in private Räume vorzudringen. Ohne Gerichtsentscheid darf kein Gespräch abgehört werden. «USA Today» schreibt, die drei Firmen hätten Daten gegen Bezahlung abgegeben, was Verizon und Bellsouth bestreiten. Da es sich um ein «streng geheimes» Programm handle, könne Verizon weder bestätigen noch verneinen, ob sie mit der Spionagebehörde National Security Agency kooperiert habe.
Telecomkonzern Qwest kann sein Image aufpolieren
Empörte Konsumenten rufen zum Boykott auf. Auf Blogs im Internet kursieren Tipps, wie der Telefonanbieter zu wechseln sei. Die Telefongesellschaft Qwest ist hingegen unerwartet zum Helden der Bürgerrechte aufgestiegen. Ihr damaliger Chef Joseph Nacchio weigerte sich nämlich, die von der Regierung angeforderten Daten herauszurücken. Das Blog Thankyouqwest.org nimmt Danksagungen entgegen. Es ist nicht etwa von Qwest-PR-Leuten, sondern von Bürgerrechtlern eingerichtet worden.
Das ist unbezahlbare Werbung für einen Konzern mit zwielichtigem Image. Qwest hängt der Ruf an, qualitativ der Konkurrenz hinterherzuhinken. Wegen Betrugs bezahlte die Firma unlängst Bussen von 650 Millionen Dollar. Dem Ex-CEO, nun als Hüter der Freiheit gefeiert, drohen zehn Jahre Zuchthaus wegen Insidergeschäften.
1979 schon erachtete der Oberste Gerichtshof das Aufzeichnen von Nummern als rechtens. Telefonfirmen lassen ihre Kunden im Kleingedruckten wissen, dass sie bei Terrorverdacht Daten weitergeben. «Millionen von Amerikanern können nicht Terroristen sein», entgegnet Senator Patrick Leahy auf das Argument.
Fest steht: Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dem Patriot Act ist die Privatsphäre ein rares Gut geworden. US-Fluggesellschaften legen die Daten ihrer Passagiere offen. Hotelbesitzer händigen Gästelisten aus. Nur Google widersetzte sich, als das Justizdepartement Daten zu Internet-Suchvorgängen einforderte. AOL, Yahoo und Microsoft kooperierten.
US-Banken leiteten 2004 Angaben über fast 700 000 «verdächtige Transaktionen» an das Finanzministerium weiter. In der ersten Hälfte von 2005 war es fast eine halbe Million gewesen. In den USA tätige Schweizer Banken wie UBS oder CS halten sich ebenfalls an die Regel, bei Verdacht Daten weiterzugeben – ohne ihre Kunden zu informieren. Täten sie es nicht, müssten sie mit Bussen in Millionenhöhe rechnen.
Soziale Netzwerke
Die National Security Agency hört vermutlich nicht zu, wenn Millionen von Amerikanern am Telefon reden. Sie sammelt viel eher die Daten, wer mit wem wann wie lange spricht. Diese werden in leistungsstarke Computer eingegeben, die eine «social network analysis» durchführen, Analysen der sozialen Netze. Dabei interessiert man sich etwa dafür, ob sich Gruppen bilden, ob über Kreuz und in welchen Intervallen kommuniziert wird. Das der Soziologie entsprungene Verfahren stösst bei der Spionagearbeit oder dem Studium von Konsumverhalten auf reges Interesse. Beamte hoffen, damit das Verhalten amorpher Gruppen wie der Terrororganisation Al-Qaida zu eruieren. Es ist daher wenig überraschend, dass das FBI unlängst für 12 Millionen Dollar einen Fünfjahresvertrag mit dem weltgrössten Händler von privaten Daten, ChoicePoint, abgeschlossen hat.