Von Peter Hossli
Noch vor Sonnenaufgang, um vier Uhr früh, steht Dan Brown auf, setzt sich an den Computer und schreibt. Auf dem Pult platziert hat er eine Sanduhr, die er einmal stündlich umkippt. Die kurze Pause nutzt der 41-jährige Autor für Rumpfbeugen, «damit genug Blut durchs Gehirn strömt», liess Brown unlängst verlauten. Das halte ihn kreativ.
Am gut durchbluteten Gehirn des US-Schriftstellers hängt derzeit die Kinobranche. Nächste Woche gelangt die Adaption von Browns Religionsthriller «The Da Vinci Code» – zu Deutsch: «Sakrileg» – in die Kinos, weltweit gleichzeitig. Der Film, besetzt mit Tom Hanks, soll ein miserab-les Geschäftsjahr vergessen machen. Um sechs Prozent – oder 589 Millionen Dollar – sackte 2005 in den USA der Umsatz ab. Gar um 14 Prozent sank der Zufluss in den Schweizer Licht-spieltheatern. Ein Trend, der sich heuer fortsetzt. Letztes Wochenende enttäuschte der neue «Mission: Impossible»-Film mit Star Tom Cruise, lange Zeit ein Erfolgsgarant. Der Umsatz von 2006 hinkt bereits den Zahlen des Vorjahrs hinterher.
Die Chancen stehen gut, dass Brown Abhilfe schafft. Sein Buch ist ein monströser Hit. 43 Millio-nen gebundene Exemplare sind seit der Publikation im März 2003 in 44 Sprachen verkauft wor-den. Ende März kamen 6 Millionen Taschenbücher in US-Buchläden; weg sind bereits alle. Seit 160 Wochen steht der rasch gelesene Okkult-Thriller auf der Bestseller-Liste der «New York Times», 54 Wochen davon auf Platz eins. Jeder elfte Brite, ob Baby oder Grossvater, besitzt eine Kopie. Nie zuvor ging ein Roman für Erwachsene öfters weg.
Wohl, weil Brown einen Nerv traf. Fesselnd schreibend, schickt er einen Harvard-Professor auf die Suche nach dem Heiligen Gral. Wobei der Gral kein Gegenstand, sondern ein ungeheures Mysterium ist: Demnach zeugte der vermeintlich keusche Gottessohn Jesus mit Maria Magdalena eine Tochter. Deren Nachfahren leben in Europa. Die von Männern dominierte katholische Kirche, so Roman und Film, unternehme alles, um das Geheimnis geheim zu halten. Künstler Leonardo Da Vinci bewahrte – in Kodes verschlüsselt – das sakrale Wissen.
Rund 140 Millionen Dollar hat Dan Brown damit verdient, allein 76,5 Millionen vergangenes Jahr, ermittelte «Forbes». Das US-Magazin setzte ihn unlängst an 12. Stelle der einflussreichsten Berühmtheiten. Beim Einkommen liegt Brown auf Rang 6, als höchst platzierter Autor.
Eine ganze Industrie hat der zurückgezogen in New Hampshire lebende Brown kreiert. Duzende von Nachahmer-Novellen sind auf dem Markt, etliche stehen auf den Bestseller-Listen. Dokumentarfilme wie Bücher ergründen den Wahrheitsgehalt des Romans. Reisebüros bieten Gral-Trips zu den Handlungsorten an, nach Paris, London und Schottland.
In Hollywood riss sich jedes Studio um das Buch. Den Zuschlag erhielt Sony, dank guten Bezie-hungen relativ günstig. Brown trat die Rechte für sechs Millionen Dollar ab. Vermittelt hatte den Deal der 75-jährige Produzent John Calley, ein Freund von Browns Anwalt. Die beiden hatten zuvor Verträge für Verfilmungen von Patricia-Cornwell- und John-le-Carré-Romanen geschlossen.
Für Film und Vermarktung bezahlte Sony rund 200 Millionen Dollar, mit einem Darlehen vom pri-vaten britischen Investmenthaus Invicta Capital. Die Uraufführung erlebt «The Da Vinci Code» am 17. Mai, in mitten der Medienmeute am Festival von Cannes. Um der Piraterie Einhalt zu gebie-ten, startet der von Regisseur Ron Howard inszenierte Thriller bereits am nächsten Tag weltweit. Ein zusätzlicher Grund für die ungewöhnliche globale Lancierung: So lässt sich die Marketing-Wucht des Internets optimal nutzen.
Ohnehin ist «The Da Vinci Code» ein Online-Phänomen. Brown kommuniziert mit seinen Fans mit-tels Website. Google lancierte zusammen mit Sony eine kodierte online Grals-Jagd. Selbst Browns Feinde poltern digital. Die katholische Kirche und der Geheimbund Opus Dei haben etliche Sites eingerichtet, mit denen sie vor dem Roman warnen und einen Kino-Boykott fordern.
PR-Auftrieb erhielt der Film überdies von einem öffentlichen Plagiat-Prozess, den Brown unlängst in England gewonnen hatte. Zwei Journalisten warfen dem Novellisten vor, er hätte das zentrale Thema des Romans bei ihnen abgeguckt.
Die Kontroversen beleben das Geschäft. Der Film habe die «perfekte Mischung für einen Hit», sagt der PR-Spezialist Josh Baran, der den brisanten Film «The Last Temptation of Christ» ver-marktet hatte. Aufeinanderprallen würden spirituelle und weltliche Lager. Menschen müssten sich über ihre Dogmen klar werden. Blasphemie und Sinnsuche erzeugten deftige Spannungen, die mächtige Zuschauerströme mobilisieren könnten, sagt Baran. Er erwartet eine Milliarde Dollar Umsatz für «The Da Vinci Code».
Selbst wenn der bis zum Start unter Verschluss gehaltene Film die Erwartungen nicht erfüllt, wird Brown vom Wirbel profitieren. Seine drei früheren Bücher finden nun reissenden Absatz. Nächstes Jahr gelangt sein neuer Roman in die Buchläden. Buchanalysten gehen von einem Vor-schuss in zweistelliger Millionenhöhe aus – eine hübsche Steigerung von 400’000 Dollar, die Brown einst für «The Da Vinci Code» erhalten hatte.
Box: Die katholischen Kode-Knacker
Sie kasteien sich mit Peitschen und Dornengürteln. Sie bestechen den Vatikan, schmieden Mord-komplotte, unterschlagen die Wahrheit – die Mitglieder des streng katholischen Geheimbundes Opus Dei sind die fiesen Finsterlinge in Dan Browns Roman «The Da Vinci Code». Mit einer auf-wändigen PR-Kampagne versucht Opus Dei das von Brown gezeichnete Bild zu durchbrechen und die gleichnamige Filmadaption zu bekämpfen. So treten die Mitglieder nun häufig in den US-Medien auf, als gläubige Familienmenschen, nicht als mysteriöse Geheimbündler. Opus Dei half einem angesehenen Vatikan-Korrespondenten bei der Recherche seines Buches über den Bund mit 85’000 Mitgliedern und einem Vermögen von 2,8 Milliarden Dollar. Online vertreiben sie kos-tenloses Material, das «die Wahrheit» verbreiten würde. Zusammen mit dem Vatikan verlangt Opus Dei, den Film mit dem Label «fiktiv» zu versehen – als Gegenpol zu Brown, der sein Buch mit einem Wahrheitsgelöbnis beginnt.
Top-Ten Literatur-Verfilmungen*
1. Gone With the Wind (1939), Margaret Mitchell $2,7
2. Jurassic Park (1933), Michael Crichton $1,202
3. The Lord of the Rings: The Return of the King (2003), J. R. R. Tolkien $1,176
4. Harry Potter and the Sorcerer’s Stone (2001), J. K. Rowling $1,059
5. The Lord of the Rings: The Two Towers (2002), J. R. R. Tolkien $0,989
6. Planet of the Apes (1968), Pierre Boulle $0,977
7. One Hundred and One Dalmatians (1961), Dodie Smith $0,967
8. The Lord of the Rings: The Fellowship of the Ring (2001), J. R. R. Tolkien $0,945
9. Harry Potter and the Chamber of Secrets, J. K. Rowling $0,936
10. Jaws (1975), Peter Benchley $0.913
* Weltweit, in Milliarden Dollar, der Inflation angepasst.