Nehmen Sie Zucker zum Benzin?

Der Benzinpreis klettert in den USA auf Rekordhöhe. Das freut die Hersteller des Biosprits Ethanol. Ihre Wachstumsaussichten und ein Wandel in der Energiepolitik locken Investoren. Auch Bill Gates.

Von Peter Hossli

Ein Werbespot scheint im US-Fernsehen allgegenwärtig zu sein. Hübsche junge Frauen und Männer stehen in einem wogenden Maisfeld herum. «Was wäre, wenn wir unsere Ölabhängigkeit ablegen könnten?», fragt ein Rotschopf. Wie, weiss eine aparte Brünette. «Mit E85, dem grünen Brennstoff.» E85 ist die Abkürzung für ein Gemisch aus 85 Prozent Ethanol und 15 Prozent Benzin. Mit diesem Spot wirbt General Motors für neuartige Autos, die damit fahren können.

Ethanol – aus Biomasse gegorener Alkohol – ist in aller Munde. Präsident George Bush lobt ihn als «beste Lösung gegen die Ölsucht». GM, Ford und Chrysler forcieren ethanolbetriebene Autos. Autofahrer suchen sehnlichst nach Alternativen für das ständig teurere Benzin – und Ethanol, in den USA meist aus Mais destilliert, gilt als logischer Ersatz. Zumal Energieanalysten sagen, es wachse im mittleren Westen genügend Mais, um Amerikas Wagenflotte mit Biosprit zu versorgen. Innert fünf Jahren könnte das Land auf Ethanol umsteigen, glaubt der Präsident des angesehenen Think-Tanks International Strategic Studies Institute, Gregory Copley: «In den nächsten zwanzig Jahren wird sich Amerika vom Erdöl lösen.»

Das ist eine Perspektive mit riesigem Potenzial. Die Autos in den USA verbrannten letztes Jahr 140 Milliarden Gallonen Benzin, aber erst vier Milliarden Gallonen Ethanol. Bis 2012 muss sich die Menge verdoppelt haben, fordert ein neues Gesetz. Analysten erwarten noch früher eine Erhöhung dieser Pflicht, zumal Demokraten und Republikaner auf Ethanol schwören: Sie können so vorgeben, etwas gegen das Öljoch des Nahen Ostens zu tun.

Der Ethanol-Anteil im Benzin muss ab Mai steigen

Die Anleger sind längst hellhörig geworden. Der Biosprit drängt von der Farm an die Wallstreet. Die meisten der Ethanol-Fabriken gehören zwar noch privaten Kleinanlegern, meist Bauern, die ihre Ersparnisse in Kooperativen investieren und in den letzten drei Jahren jährliche Renditen zwischen 50 und 100 Prozent erzielt haben. Doch zunehmend gelangen Unternehmen an die Börse. Die bereits kotierten verzeichnen Höhenflüge, die vorerst anhalten dürften. «Wir stehen am Beginn des Ethanol-Zyklus», sagt der Fernseh-Börsenguru Jim Cramer. «Die Titel könnten durchaus noch steigen.»

Zumal die Nachfrage nach dem Saft bereits in diesem Monat sprunghaft zunimmt. Die US-Raffinerien ersetzen im Benzin den vermutlich gefährlichen Zusatz MTBE durch Ethanol, was den jährlichen Ethanol-Bedarf um 50 Prozent erhöht. Die Nachfrage wachse mit einer «phänomenalen Geschwindigkeit», sagt der Präsident der Renewable Fuel Association, Bob Dinneen.

Dieser Boom hat den Börsenwert des grössten Ethanol-Produzenten, Archer Daniel Midland (ADM), innert Jahresfrist mehr als verdoppelt. Der Landwirtschaftskonzern stellt ein Viertel des US-Ethanols her. Obwohl ADM damit bloss fünf Prozent des Umsatzes erzielt, erklärt sich der Kursanstieg hauptsächlich mit Ethanol. So übertraf ADM die Gewinnerwartungen im letzten Quartal 2005. Der Grund: Der Preis für eine Gallone E85 stieg auf 2.60 Dollar bei Produktionskosten von einem Dollar. Erst letzte Woche setzte ADM mit Patricia Woertz eine Chevron-Managerin als Chefin ein. Die Aufgabe der Erdölfrau ist, aus dem Getreideriesen einen Energiekonzern zu formen. «Ethanol kann für ADM noch mehr Wachstum bringen», sagte Woertz im Interview mit CNBC.

Skeptiker warnen vor einem Überangebot an Ethanol

Microsoft-Gründer Bill Gates ist letzten November bereits auf den Ethanol-Zug aufgesprungen. Über seine Investmentfirma Cascade hat er für 84 Millionen Dollar 25,5 Prozent an Pacific Ethanol erworben, einer Firma in Kalifornien, die Ethanol vertreibt. Seit Gates’ Einstieg hat sich der Aktienkurs verdreifacht. Die Firma baut fünf Ethanol-Raffinerien an der Westküste. Der Wechsel vom Verteiler zum Produzenten beflügle die Firma, glaubt der Aktienanalyst Paul Resnik von Dutton Associates. Er prophezeit, die noch nicht profitable Firma schreibe bereits 2007 schwarze Zahlen und generiere ab 2008 signifikante Gewinne.

Doch jeder Boom kennt Warner. «Wir steuern auf eine Ethanol-Blase zu», glaubt der Brennstoff-Analyst Hank Williams von Jim Jordan & Associates in Houston. Bald gebe es genügend Raffinerien. «Dann sinken die Preise.» Neben 97 bestehenden sind 33 Fabriken im Bau. Zudem fällt der Steuervorteil von 51 Cent pro Gallone weg, wenn sich Benzin- und Ethanol-Preis einander annähern. «Ethanol muss jedoch billiger sein, weil es weniger effizient ist als Benzin», sagt Williams.

Denn Amerikaner fahren nicht der Umwelt zuliebe mit Ethanol. Würde der Ölpreis unter 30 Dollar sinken, würde es unrentabel, E85 zu tanken. Der Boom wäre zu Ende. Ein Schicksal, das schon mancher Alternativenergie zuteil geworden ist.

Ab an die Börse
Der zweit- und der drittgrösste Ethanol-Produzent der USA gelangen demnächst an die Börse. Die Nummer 2, VeraSun aus South Dakota, ist mit General Motors eine Marketingpartnerschaft für den Biobrennstoff E85 eingegangen. Der Börsengang soll der Gesellschaft helfen, die Kapazität zu verdoppeln.

Die Nummer 3, Aventine Renewable Energy aus Illinois, hat ihre Investoren bereits vor dem IPO beglückt. 2003 kaufte Morgan Stanley das Unternehmen für 75 Millionen Dollar. Ein Jahr später zahlte sich die Investmentbank eine Dividende von 139,7 Millionen Dollar aus. Letztes Jahr veräusserte Morgan Stanley 60 Prozent der Privatgesellschaft für 275 Millionen Dollar.