Konsum als Leistungssport

Enorme Schulden lasten auf den USA. Statt zu sparen, konsumieren die Amerikaner endlos. Schnappt die Zinsfalle zu, so befürchtet man, kollabiert die Wirtschaft. Powershopper kümmert das wenig. Wie das amerikanische Kreditkartenwesen ruheloses Einkaufen möglich macht.

Von Peter Hossli

Es sind Zahlen, die Volkswirte fürchten. Durchschnittlich steht jeder US-Haushalt mit 84’454 Dollar in der Kreide. Fast die Hälfte der amerikanischen Familien geben jeden Monat mehr aus als sie verdienen. Beim Eintritt ins Berufsleben steht ein Universitätsabgänger im Schnitt mit 18900 Dollar im Minus.

Höchste Alarmstufe herrsche deshalb, behaupten nun Analysten aus dem sparsamen Europa. Zumal der neue Fed-Chef Ben Bernanke wegen der Inflationsangst die Zinsen noch mehr anheben werde. Platze zusätzlich die Immobilienblase, würde dies den privaten Konsum abwürgen. Die Wirtschaft könnte alsbald krachen, werden doch 70 Prozent des US-Bruttoinlandproduktes von ebendiesem privaten Konsum getragen.
Das mag ökonomisch Sinn machen, spiegelt aber das Verhalten der amerikanischen Konsumenten keineswegs. Fühlen sich die Powershopper nämlich gut, konsumieren sie viel, fühlen sie sich schlecht, konsumieren sie noch mehr.

Möglich macht solch ruheloses Einkaufen ein ausgeklügeltes Kreditkartenwesen. Eine Milliarde Plastikkarten zirkulieren in den USA, das sind mehr als drei pro Person, ob Baby, Familienvater oder Rentnerin. Sie sind der Kraftstoff für das vermeintliche Perpetuum mobile der Nonstop-Einkäufer.

Deren Heiliger Gral ist eine Abkürzung mit vier Buchstaben: Das so genannte FICO-Score, das die Kreditwürdigkeit misst. Ein FICO-Score – berechnet von der Fair Isaac Corporation – hat in den USA jeder. Es ist der Türöffner zur Kreditkartensammlung und somit zum Konsum. Ein positives Rating führt zu Kreditkarten mit günstigen Konditionen. Ein negatives Rating treibt den Zinssatz und somit die Kosten für den Erwerb persönlicher Schulden in die Höhe.

Ein Rating erhält, wer eine «credit history» hat, also vorweisen kann, einmal Schulden gemacht und diese zeitig abbezahlt zu haben. Die Schuldner-Laufbahn beginnt meist im Warenhaus. Dort lassen sich die Amerikaner eine Kundenkarte mit einer Ausgabenlimite von 50 Dollar ausstellen und kaufen sich ein Hemd. Als kreditwürdig gilt, wer den Betrag termingerecht abstottert.

Alsbald bringt der Briefträger einen ersten Antrag für eine richtige Kreditkarte. Im Gegensatz zur Schweiz, wo Kreditkartenschulden meist per Lastschriftenverfahren am Ende des Monats beglichen werden, gewähren amerikanische Kreditkarten Konsumkredite mit Ratenzahlung zu einem variablen Zinssatz. Mit dem Zinssätzen jonglieren amerikanische Konsumenten als sei es ein Volkssport.

Der ist so faszinierend wie gefährlich. Wichtigstes Merkmal: Wer etwas mit der Plastikkarte kauft, muss die angehäufte Schuld monatelang nicht zurückzahlen. Es reicht, jeweils die Minimalrate zu begleichen. Für 3000 Dollar Schulden genügen beispielsweise 15 Dollar monatlich. Die restlichen 2985 Dollar finanziert die Kreditbank. Wie viel das kostet, bestimmt wiederum das FICO-Score, denn davon ist der Zinssatz abhängig.

Banken locken Kunden mit positivem Rating mit einem Zinssatz von null Prozent, bei jungen Kreditnehmern vorerst für sechs Monate. Wer eine längere «credit history» vorzuweisen hat, kann 12 Monate lang zinsfrei einkaufen. Nach ungefähr zehn Monaten muss sich der Schuldner allerdings nach einem Auffangnetz umschauen, denn bald ist Schluss mit dem kostenlosen Darlehen. Es droht Zinswucher – 13 oder gar 22 Prozent für angehäufte oder neue Schulden.

Vor solchen Zinsfallen bewahrt einem vorerst die Konkurrenz. Sie bieten neue Karten an, auf die man die Schuldenlast zu einem tieferen Zinssatz übertragen kann, zwischen vier und fünf Prozent sollte kein Problem sein.

Ein hervorragendes FICO-Rating führt gar zu einer Karte, die nochmals ein ganzes Jahr null Prozent Zinsen verlangen, für die alten wie die neuen Schulden. Bereits beim Antrag für die Zweitkarte beigelegt sind Schecks, mit denen man die Rechnung der alten Karte bequem begleicht, wobei die offene Summe auf die neue übertragen wird.

Wer seine Rechnungen tadellos umschuldet – also pünktlich den Mindestbetrag abzahlt –, erhält ein immer besseres Kredit-Rating. Die Ausgabenlimiten steigen, der Briefträger bringt stets lukrativere Angebote ins Haus. Als Höhepunkt gilt eine so genannte Cash-Back oder Rewards-Karte. Eine Karte, die einem Geld bringt. Ein Bar-Scheck in der Höhe von ein bis fünf Prozent des Betrags, für den man im letzten Monat eingekauft hat, liegt der Kredit-Kartenabrechnung bei. Wer eine Cash-Back-Karte hat, kann die anderen entzwei schneiden.

Ihr Geld verdienen die Kreditkarten-Firmen allerdings nicht mit den ordentlichen Zahlern sondern den Verlierern des Schulden-Spiels. Insolvente Kreditnehmer zahlen zuerst die exorbitante Zinslast mit neuen Kreditkarten ab. Schaffen sie das nicht mehr, erklären sie just privat Konkurs. So lassen sich die Schulden per Gericht wegwischen, gefolgt von einem «fresh start». Die Möglichkeit zum Neuanfang – seit 1898 gesetzlich verankert – gilt als Triebfeder der amerikanischen Risikobereitschaft.

Sie wird immer häufiger genutzt. Letztes Jahr haben über zwei Millionen Amerikaner Bankrott erklärt, eine Zunahme von 31 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 1995 waren es noch 900’000 gewesen. 1978, mitten in der Rezession, sahen sich erst 200’000 Amerikaner gezwungen, Pleite anzumelden.

Die Zahl soll sich nun verringern. Im April 2005 unterzeichnete Präsident Bush ein 501 Seite umfassendes Gesetz, das den Privatkonkurs erschwert. So steigt etwa die minimale monatliche Rate. Banken und Warenhausketten, die Kreditkarten ausstellen, werden besser geschützt. Lösungen für das echte Problem – die minimale Sparquote – bringt das Gesetz nicht. Niemand hindert die Banken daran, den Bankrotteuren unmittelbar nach dem Konkursverfahren eine neue Kreditkarte anzudrehen. Nach der Pleite geht der Konsum auf Pump geht gleich in die nächste Runde.