Die weltgrössten Gewinne

Der Ölriese Exxon Mobil verdient sagenhafte 36 Milliarden Dollar und erzielt den höchsten Profit aller Zeiten. Doch der Konzern muss sich rechtfertigen - wie andere Firmen mit Mega-Gewinnen.

Von Peter Hossli

Firmengewinne sind Amerikas Lebenssaft. 70 Prozent der Bevölkerung besitzen Aktien. Je schwärzer die Zahlen der an der Wallstreet gehandelten Konzerne, desto spendabler fühlt sich Main Street. Die Firmenchefs verkünden ähnlich den Hohen Priestern ihren Jüngern vierteljährlich die Botschaft vom Aufstieg oder Fall der Gewinne.

Umso erstaunlicher war, wie sich der Ölriese Exxon Mobil Ende Januar für den grössten Jahresgewinn in der US-Geschichte und damit auf der gesamten Welt regelrecht zu schämen schien. 36 Milliarden Dollar nach Steuern erwirtschaftete der Konzern aus Texas letztes Jahr, das ist ein Gewinnsprung von 42 Prozent. Pro Minute erzielte die Firma also 80 000 Dollar Gewinn.

Statt zu jubeln, redete Exxon – im Chor mit den anderen hoch profitablen Ölfirmen – die Gewinne schlecht. Andere Industrien würden weit höhere Umsatzrenditen erzielen als die Energiebranche, hiess es in Inseraten, publiziert von Exxon und Chevron Texaco. Pro Dollar Umsatz könnten die Energiefirmen gerade mal 8,2 Cents auf die hohe Kante legen. Pharmafirmen hingegen erzielten einen Gewinn von fast 20 Cents, die Banken noch 18 Cents pro Dollar.

Die Scham der Ölförderer und Benzinproduzenten ist verständlich. Ihnen schlägt in den USA derzeit massive Kritik entgegen. «Diese Gewinne sind abscheulich», sagt der New Yorker Kongressabgeordnete Eliot Engel. Republikaner wie Demokraten wollen eine Spezialsteuer für Ölgewinne verabschieden. Ein Unterfangen, das gemäss einer Gallup-Umfrage 60 Prozent der Amerikaner begrüssen. Seit Herbst, nach der Bekanntgabe von horrend hohen Quartalsgewinnen, zitiert der Kongress die Chefs der fünf grossen US-Ölfirmen regelmässig zur Anhörung nach Washington.

Die Dämonisierung der Ölfirmen hat Tradition

Wüste Beschimpfungen müssen sie sich anhören. «Banditen» nannte sie etwa der New Yorker Senator Charles Schumer. Sie hätten in der Folge des Irak-Kriegs und vor allem nach dem Hurrikan Katrina die Öl- und Benzinpreise kartellartig in die Höhe getrieben. «Wucher!», schrie der populistische Fernsehmann Bill O’Reilly, in den USA der Gradmesser von Volkes Stimme. Mindestens 20 Prozent der «obszönen» Gewinne müssten Exxon Mobil und Konsorten an die Konsumenten zurückgeben, verlangte O’Reilly. Er rief Autofahrer auf, sonntags nicht mehr zu tanken. «Die Gier der Ölfirmen treibt dieses Land noch in eine Rezession.»

O’Reilly hält günstiges Benzin für eine patriotische Verpflichtung. Jede andere Industrie sei harter Konkurrenz ausgesetzt, was die Preise tief halte. «Zum Öl fehlen echte Alternativen, wir alle müssen die Häuser heizen und Autos tanken.» Als «unamerikanisch» bezeichnet der TV-Talker die Konzentration im Energiesektor. Die Branche verzeichnete nicht weniger als 2600 Fusionen in den letzten 15 Jahren. «Die Preise werden künstlich hochgehalten, die Gewinne gehen zu Lasten der Konsumenten», sagt der Direktor von Public Citizen, Tyson Slocum.

Amerika feiert generell Gewinne. Doch die Dämonisierung der Ölindustrie hat Tradition. Bereits in den Siebzigerjahren, während der Ölkrise, verabschiedete der US-Kongress Spezialsteuern und zwang die Konzerne zum Investieren in neue Ölfelder. Schon im 19. Jahrhundert diskutierten Politiker darüber, ob sie den Monopolisten Standard Oil mit einer Spezialsteuer belegen sollten.

Dagegen schreiben heute vornehmlich die Leitartikler des «Wall Street Journal» an. Die Gewinne seien wichtig, da die alten Quellen zunehmend versiegten. Die Suche nach neuen Quellen erfordere hohe Investitionen, argumentiert das Blatt. Exxon Mobil selbst betont in ganzseitigen Inseraten, derzeit massiv viel in die Suche nach neuen Energiequellen zu investieren.

Ein Blick auf die Verteilung der Exxon-Mobil-Profite erzählt eine andere Geschichte. Zwischen 1976 und 1997 investierte die Firma zwar stets mehr, als sie verdiente. Im Rekordjahr 2005 legte Exxon allerdings weit weniger als die Hälfte der Profite neu an, nämlich 17,7 Milliarden Dollar. Dafür stiegen die Dividende und der Rückkauf der Aktien gegenüber dem Vorjahr um 56 Prozent auf 8,6 Milliarden Dollar. Um 20 Prozent nahm auch der auf dem Jahresgewinn basierende Bonus zu. Rund 1300 Angestellte beziehen 220 Millionen Dollar extra, wobei das fünfköpfige Top-Management rund 15 Millionen unter sich verteilte. Der abgetretene Firmenchef Lee Raymond liess sich mit 42 Millionen Dollar entlöhnen.

Ebenso kräftig wird in den Chefetagen der Banken zugelangt, jener Industrie, die nach den Ölkonzernen nominal die höchsten Gewinne schreibt. Die Citigroup verzeichnete 2005 einen Nettogewinn von 24,6 Milliarden Dollar. CEO Charles Prince kassierte insgesamt 23 Millionen Dollar, was einer Zunahme von 15 Prozent entspricht.

Die Bank gibt reichlich an die Aktionäre zurück: So erhöhte die Citigroup zum Beispiel die Dividende um 11 Prozent. Es ist die 21. Erhöhung in ebenso vielen Jahren. Mit diesem Vorgehen steht die Citigroup im Trend. Dividenden, angesichts des Aktienrausches Ende der Neunzigerjahre in Vergessenheit geraten, steigen wieder. Erstmals seit 1999 erhöhen wieder mehr als 2000 US-Firmen ihre Dividende. Der Trend dürfte sich fortsetzen. Derzeit zahlen US-Firmen rund 30 Prozent ihrer Gewinne in Form von Dividenden aus, letztes Jahr die Rekordsumme von 201 Milliarden Dollar. Der historische Durchschnitt liegt bei rund 50 Prozent. «Es hat also noch viel Platz zum wachsen», sagt Phil Larkins, Portfolio Manager von Northern Trust.

2006 sollen die Gewinne um 13 Prozent steigen

Gemäss Thomas Financial dürften die Gewinne der Standard & Poor’s-500-Firmen in diesem Jahr um weitere 13 Prozent wachsen. Noch vor vier Jahren lag das Gewinnwachstum bei anämischen 0,1 Prozent. Gleichzeitig sind die Investitionen seit dem Ende der Neunzigerjahre stark zurückgegangen, was die Cash-Reserven bei amerikanischen Konzernen stark erhöht hat. So verfügen die Standard & Poor’s-500-Firmen gemäss Phil Larkins von Northern Trust über prall gefüllte Kassen – rund 600 Milliarden Dollar in bar.