Von Peter Hossli
Bei Disney bestimmen Fehden den Lauf der Dinge. Wutentbrannt reagierte 1994 der damalige Firmenchef Michael Eisner auf Verhandlungen, die ABC-Chef Bob Iger mit Konkurrent DreamWorks führte. Iger liess ihn auflaufen und sagte, «ich arbeite nicht für dich, ich kann tun was ich will». Ein Jahr später fusionierten Disney und ABC, mit Eisner an der Spitze. Bei jeder Gelegenheit erinnerte er Iger jahrelang daran, für wen er nun arbeite.
Letzten September erklomm Iger den Chefsessel von Disney – und machte sich just daran, das Vermächtnis des alten Chefs zu zerlegen. Bereits am ersten Arbeitstag entliess er die Produzenten der «Muppet Show»; allesamt Leute, die Eisner eingesetzt hatte. Binnen zwei Wochen hatte er Eisners zentralen Grundsatz über Bord geworfen, nämlich die totale Kontrolle beim Vertrieb von Medieninhalten. Ausgerechnet mit Eisners Erzfeind Steve Jobs begann Iger, Fernsehserien wie «Desperate Housewives» über Apples iTunes Store anzubieten. Ein Deal, den Analysten als «revolutionär» beschrieben.
Eisner schmollte. Zumal Iger auch mit Roy Disney Frieden schloss, dem Neffen des Firmengründers. Monatelang hatten Roys Streit mit Eisner und dessen Klagen Disney gelähmt und die Aktie geschwächt.
Diese Woche nun gelang Iger ein zweiter grosser Coup. Für 7,4 Milliarden Dollar kaufte er das Computertrickfilmstudio Pixar, der Firma, mit der sich Eisner vorletztes Jahr verkrachte.
Beides, der iTunes- und der beabsichtigte Pixar-Deal, unterstreichen Igers Spürsinn für raschen Wandel und den Hang zur notwendigen Konstanz. Mit Pixar schnappte er sich ein Studio, dessen Filme «Toy Story» oder «Finding Nemo» den hoch profitablen Trickfilm seit Jahren dominieren. Eine Domäne, die früher Disney gehörte.
Zum anderen will der einst «neugierigste High-School-Schüler des Jahres» an der zweiten Internet-Revolution nicht nur teilhaben, er will sie gestalten. Nicht mehr kollektiv in die Röhre gucken, so Igers Vision, sondern individuell zusammenstellen würden Fernseher oder Filmliebhaber ihr Programm in Bälde. Ob Seifenopern, News, Sportübertragungen oder Spielfilme – alles will Iger per Internet verteilen oder als Pay-Per-View-Programm anbieten. Wann und auf welchem Bildschirm – einem iPod, dem Mobiltelefon, dem Computer oder gar einem herkömmlichen TV –, überlässt er den Konsumenten.
Der Zuschauer als Programmdirektor – neu ist diese Idee nicht. Derzeit versuchen alle US-Medienkonzerne nochmals auf den Internet-Zug aufzuspringen. Iger jedoch hat die Nase vorne. «Bob hat Disney an die Spitze gebracht», sagt Analyst Lowell Singer von S.G. Cowen. «Er ist der brillanteste Querdenker der Medienbranche.»
Iger, der stets Ruhe ausstrahlt und den Pixar-Deal im Pullover bekannt gab, verändert die Kultur von Disney. Im Gegensatz zur Nemesis Eisner verabscheut er Bürokratie und bevorzugt flache Hierarchien – eine wichtige Voraussetzung für die Integration von Pixar, einer Firma, die bekannt dafür ist, möglichst viele in den kreativen Prozess einzubinden. Ein Modell, das Iger zumindest im Ansatz auf Disney übertragen möchte. Kaum im Amt, löste er eine übergeordnete Planungsgruppe auf. Öfters tritt er ohne Krawatte auf.
Konflikte mit Kunden scheut Iger nicht, vorerst trägt er sie jedoch nur halbherzig aus. So erzürnte er unlängst die amerikanischen Kinobesitzer mit der Aussage, Filme gleichzeitig ins Kino zu bringen wie auf DVD zu lancieren. Angesichts des steigenden DVD- und des sinkenden Kino-Umsatzes ein zukunftsgerichtetes Ansinnen. Wahr gemacht hat er die Drohung bisher nicht.
Noch immer ärgern sich die Besitzer lokaler Fernsehstation darüber, dass Iger Fernsehserien online anbietet. Das könnte deren Einschaltquoten und somit die Werbeeinnahmen mindern. Iger hat damit das gemächliche aber sichere Ende der Hegemonie der Fernsehsender angedeutet. In die Welt posaunt er es nicht und verzichtet auf Werbung für das iTunes-Angebot.
Es ist nicht verwunderlich, dass Iger zuweilen den Mut verliert. Die Börse hat bisher verhalten auf ihn reagiert, erst der Pixar-Kauf führte zum Kurssprung. Investoren bejubeln den Einstieg in die alten und erprobten Medien, da sie noch immer mehr Umsatz bringen als die neuen. So hat Disney über iTunes innert zwei Monaten TV-Serien für 1,6 Millionen Dollar verkauft. Die Ausstrahlung einer einzigen Folge von «Desperate Housewives» hingegen bringt Werbeeinnahmen von 9,9 Millionen.
Spätestens bis 2010 soll sich das Verhältnis ändern und Disney die Profite von Igers Ideen sehen. Bis dann läuft sein Vertrag. Beobachter prophezeien jedoch ein längeres Engagement. Zumal der Vater von vier Kindern seinem Arbeitgeber stets treu geblieben ist.
Als 23-jähriger Uni-Abgänger heuerte er 1974 bei ABC an. Mitte der neunziger Jahre koordinierte er als leitender Geschäftsführer die Fusion mit Disney. Später als ABC-Chef entwickelte er den Sportkanal ESPN zur Top-Marke und Cash-Cow. Von ihm lancierte Hits wie «Commander in Chief» oder «Lost» sind Quotenrenner.
Gut für Iger. Sein Salär misst sich nämlich am Erfolg. Er verdient jährlich zwei Millionen Dollar. Erreicht er die vorgegebenen Ziele, erhält er zusätzlich 7,25 Millionen – oder mehr.
Steve Jobs
Passiert Bahnbrechendes, hat Apple-Gründer und -Chef Steve Jobs die Hände mit ihm Spiel. Perfekt unterstreicht dies Disneys Kauf von Pixar. 1985 war Jobs bei Apple rausgeworfen worden. Für 10 Millionen Dollar kauft er 1986 das ob-skure Trickfilmstudio Pixar. 1995 später kam «Toy Story» in die Kinos. Im selben Jahr brachte Jobs Pixar an die Börse – was ihn zum Milliardär machte und die Rückkehr zu Apple ebnete. Er blieb Pixar als CEO treu. Disney kauft Pixar in einem Aktientausch, was Jobs zum grössten Einzelaktionär der Mickey-Mouse-Firma macht. Gleichzeitig nimmt er Einsitz im Verwaltungsrat von Disney. Ein Balanceakt. Der iTunes Store von Apple ist der wichtigste Online-Vertreiber von Medieninhalten. Apple dürfte auch eine führende Rolle beim On-line-Vertrieb von Filmen zufallen. Die Konkurrenz wird künftig genau hinschauen, ob Jobs die Disney-Produkte zu besseren Konditionen vertreibt. Zumal Disney-Chef Bob Iger ihn mit «Steve wird eine zentrale Rolle bei Disney spielen» begrüsste.