Dass sie nicht lacht

Sie und ihre Familie haben 21,9 Millionen Dollar aus dem Schweizer Bankenvergleich erhalten, Anfang Woche musste ihr Österreich fünf Klimt-Gemälde zurückgeben: Wo andere glorios feiern würden, fragt Maria Altmann unseren Besucher: «Wollen Sie noch etwas zu essen?»

Von Peter Hossli

hossli_altmannDeutsch oder Englisch? Die Sprache der verlorenen Heimat oder der Gastgeber? «Das ist mir doch ganz egal», sagt Maria Altmann, der Akzent breit, wienerisch und höflich. «Darf ich Ihnen denn einen Kaffee anbieten? You must be very hungry», pendelt sie nahtlos und von ihr scheinbar unbemerkt zwischen den Welten. Noch vor der ersten Frage eilt sie in die Küche, richtet dem Reporter Tonfisch-Brötchen mit reichlich Mayonnaise. «Das ist sehr österreichisch», begründet sie die ungezwungene Gastfreundschaft. «Ausserdem tue ich das doch so furchtbar gerne, besonders für Schweizer.»

Maria Altmann, eine grosse, elegante Frau mit langen geschmeidigen Fingern, kam vor neunzig Jahren in Wien zur Welt. Sie wuchs im wohlhabenden jüdischen Industriellen-Milieu auf. Kaum hatten die Nazis Österreich widerstandslos ins Reich geholt, flüchtete sie mit ihrem Ehemann nach England. Ein Dampfer brachte das junge Paar nach Kriegsausbruch nach New York. Seit über 60 Jahren lebt sie in Los Angeles.

Nun sitzt sie, dezent schwarz gekleidet, die Beine verschränkt, auf einem weichen Sofa. Sie bewohnt ein unscheinbares, mit rotbraunem Holz verkleidetes einstöckiges Chalet am Cheviot Hill. Das Mittelklassequartier liegt zehn Autominuten von Beverly Hills entfernt. Vergilbte Gardinen versperren den Blick ins Innere. «Wissen Sie, Geld hat mir nie viel bedeutet, es ist zum Hergeben da.»

Geld hat sie reichlich. Altmann, einst mittellos in Amerika angekommen, ist die bekannteste Empfängerin von Restitutionen gestohlener Besitztümer aus dem Zweiten Weltkrieg.

Sie und ihre Verwandten haben letzten Frühling 21,8 Millionen Dollar aus dem Vergleich mit den Schweizer Banken erhalten. Diesen Montag entschied eine Arbitrage-Instanz in Wien den bisher spektakulärsten Nazi-Raubkunst-Fall. Demnach ist Maria Altmann die rechtmässige Besitzerin von fünf Gemälden des Jugendstil-Stars Gustav Klimt. Den Wert der Bilder, darunter das famose goldverzierte Adele-Bloch-Bauer-Porträt, schätzen Kunsthändler auf mindestens 200 Millionen Dollar. «Sicher, das Resultat ist sehr schön, aus finanzieller Sicht», sagt sie. «Aber, das sag ich ihnen ganz ehrlich, das können sie mir glauben, auch wenn viele Österreicher mich als geldgierige Jüdin sehen, es ging mir nie ums Geld, es ging mir einzig darum aufzuzeigen, dass Gerechtigkeit ausgeübt werden kann.»

Gerecht sei, dass diese Bilder nicht der Wiener Galerie gehörten, in der sie seit 1938 hängen. «Die Nazis hatten sie aus dem Haus meines Onkels Ferdinand Bloch-Bauer gestohlen.»

Österreich hatte sich stets auf eine Notiz der 1925 verstorbenen Adele Bloch-Bauer berufen. Darin «bittet» die Gattin ihren Mann, die Bilder dereinst der Österreichischen Galerie zu schenken. Da nicht ihr, sondern Ferdinand die Gemälde gehörten, sei diese Bitte kein rechtsgültiges Legat, argumentierte Altmann. Bloch-Bauer vermachte in seinem Testament sein gesamtes Vermögen Maria Altmann, ihrer Schwester und ihrem Bruder. Da deren Familien in Kanada leben und dort Klagen gegen andere Staaten untersagt sind, vertritt die rüstige Neunzigjährige die juristischen Interessen aller.

Sie kämpfte erbittert, zog Österreich vor amerikanische Instanzen – bis letztes Jahr der Oberste Gerichtshof die ungewöhnliche Klage als zulässig erklärte. Der Alpenrepublik drohte in den USA ein spektakulärer öffentlicher Prozess, der erst im letzten Moment mit der Arbitrage abgewendet werden konnte.

Nun kauft Österreich den Nachfahren Bloch-Bauers die Klimt-Porträts ab, die Landschafts-Bilder gelangen in die USA. Altmann will sie Museen als Leihgabe geben. Was macht sie mit dem Geld? «Das möchte ich selber wissen, darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht.» Viel Gutes tun, wolle sie, die jüdische Gemeinde in Wien werde etwas erhalten, Kunstschaffende will sie unterstützen. «Sicher ist nur eines: Ich werde es nicht für mich ausgeben, weil ich nicht wüsste, wofür.»

Eher abgeklärt spricht sie über die 21,8 Millionen Dollar aus der Schweiz. «Das Schweizer Geld fiel uns wie Sternschnuppen vom Himmel, das war schon toll», sagt Altmann, deren Augen trotz hohen Alters kräftig leuchten. «Ich hatte immer gedacht, diese Geschichte sei längst erledigt gewesen.»

«Diese Geschichte» wirft ein trübes Licht auf das Geschäftsgebaren der Schweizer Bankgesellschaft. Ferdinand Bloch-Bauer, Maria Altmanns Onkel, war Mitbesitzer der Österreichischen Zuckerindustrie AG (ÖZAG), einer Zuckerrüben-Raffinerie in Bruck, ausserhalb von Wien. Nach dem Anschluss hinterlegt er die Aktien bei der SBG – und flüchtete in die Schweiz. Die Bank verkaufte sie kurz darauf zum Spotpreis an einen Nazi. «Die Zeiten haben sich geändert», begründete die Bank damals den Entscheid. UBS-Anwalt Roger Witten sagte, der Altmann-Fall sei keineswegs Beleg für eine systematische Verletzung der treuhänderischen Pflicht wenn es um jüdischen Besitz ging.

Sie hätte die Verhandlungen zwischen Schweizer Banken und jüdischen Organisationen nicht verfolgt, sagt Maria Altmann. «Wollen sie noch einen Kaffee?», unterbricht sie mitten im Interview, stets bedacht, den Gast zu bewirten, «oder noch etwas zu essen?» Sie sei sich sicher gewesen, ihr Bruder hätte Ende fünfziger Jahre den Fall abgeschlossen, als der für die verkauften Aktien eine zusätzliche Entschädigung von Österreich in der Höhe von 600’000 Dollar erhalten hatte. Sie selbst kriegte 50’000 Dollar. «Das war damals ein Vermögen, that’s it, habe ich gedacht und mich weiter nicht darum gekümmert», sagt sie. «Erst der Randy hat da noch was entdeckt.»

Der Randy. Das ist Maria Altmanns vifer Anwalt Randol Schönberg, 39, ein Enkel des Wiener Komponisten Arnold Schönberg, der die Seniorin auch in der Angelegenheit der Klimt-Bilder vertritt. «Ein zu Recht eingebildeter Kerl», sagt Altmann, «dem gelingt einfach alles, der wird jetzt furchtbar reich, aber er verdient es.»

Schönberg klärte ab, ob auf den Namen Ferdinand Bloch-Bauer ein Konto bei einer Schweizer Bank geführt wurde. Er stiess durch den Klimt-Fall auf Dokumente in Österreich und in den National Archives in Washington, anhand derer er die Wertsteigerung der Zucker-Aktien berechnete. 2001 reichte er beim Schiedsgericht einen Antrag ein. Der für den Bankenvergleich zuständige Richter Edward Korman hiess ihn letzten Frühling in Brooklyn gut. Maria Altmann hatte 200’000 Dollar mehr erhalten als die anderen Familienmitglieder. «Es sind die Zinsen meiner Mitgift», sagt sie. Zur Hochzeit im Dezember 1937 hätte ihr der «Onkel Ferry» statt Geld Zucker-Aktien geschenkt.

22 Millionen Dollar – das ist der bisher grösste Einzelbetrag in der Geschichte der Restitutionen. Ist Ihrer Familie demnach das grösste Unrecht widerfahren? «Ich habe nie empfunden, dass die Schweiz mir oder meiner Familie Unrecht angetan hat, im Gegensatz zu Österreich – allerdings auch, weil ich nichts davon gewusst hatte.» Altmann legt zudem Wert darauf, kein Holocaust-Opfer zu sein. «Ich habe ja nichts Schlimmes erlebt», sagt sie. «Die Flucht war sicher aufregend, unsere Enteignung auch, doch das ist überhaupt nicht zu vergleichen mit dem enormen Leid, das nachher anderen widerfuhr.»

Maria Altmann mag die Schweiz, sagt sie, ist voller Bewunderung für die Schweizer. «Die sind doch alle so brillant, können jede Sprache akzentfrei sprechen, ausser Deutsch, natürlich.» Ihr Humor ist treffend, nie verletzend, frei von Groll. «Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch überhaupt, der gerne Schweizerdeutsch hört, für die anderen tönt das doch wie eine Halskrankheit.» Ihr bester Freund sei im Übrigen ein Berner Architekt, der vor sechzig Jahren nach Los Angeles ausgewandert war. Versteht sie ihn, wenn er Dialekt redet? «Um Gottes willen, nein.»

Viel zu selten sei sie in der Schweiz gewesen, sagt sie. Welche Erinnerungen sind ihr geblieben? Sie räuspert sich. «Ich weiss gar nicht, ob ich das erzählen soll», sie schweigt, errötet gar. «Wie ich noch ein junges Mädchen war» beginnt sie und erzählt, wie sie, unverheiratet, in Wien einen Schweizer kennen gelernt hatte, «ein sehr gut aussehender junger Mann, der hatte sich in mich verliebt und wollte alle möglichen Sachen mit mir machen.» Sie willigte nicht ein, «weil der doch verheiratet war». Jahre später, in Zürich, rief sie den inzwischen zum Generaldirektor bei Brown Boveri aufgestiegenen Ingenieur an und fragte, ob er sich noch an sie erinnern könne. «Erinnern? Ich warte seit 22 Jahren auf diesen Anruf.» Sechs Wochen später starb er.

Nie werde sie über die Schweiz «etwas Böses sagen». Natürlich, die Bank hätten sich damals, beim Verkauf der Zucker-Aktien, «schrecklich verhalten». Auch sei es «grässlich gewesen», wie sie versucht hätte, in den neunziger Jahren Akten zu vernichten und «wie sie diesen armen Wachtmann aus dem Land gejagt haben», sagt sie. «So etwas tut man doch nicht.»

Die Abwicklung des Falls durch das Gericht beschreibt sie als «beispielhaft.» Das Geld kam prompt, per Bankanweisung. Einen Brief von der UBS, ein Entschuldigungsschreiben, eine Anerkennung der Missetat, habe sie allerdings nie erhalten. «Das habe ich auch nicht erwartet», sagt sie, «warum sollen die einer alten Frau wie mir auch schreiben? Denen war das bestimmt ganz peinlich.» Da sei «dieses jüdische Gericht in New York» gewesen, «die waren vielleicht etwas unangenehm mit den Schweizern».

Kaum war das Schweizer Geld ausbezahlt, habe sie angefangen, Schecks auszustellen. Ihren Enkeln bezahlt sie die Studiengebühren. Sie gab Geld an Verwandte, an Freunde, «auch an Schweizer». Namen nennt sie keine. Sie sei vorsichtiger geworden. In einem Interview habe sie angegeben, sie möge klassische Musik, würde im Namen ihres verstorbenen Mannes Fritz gerne ein Opernhaus unterstützen. Just meldeten sich Musikhallen aus der ganzen Welt. «Ihr müsst schon Placido Domingo vorbei schicken», bestellte sie ihnen. Bisher sei Domingo – «ich liebe ihn doch so sehr» – nicht gekommen. «Er kommt bestimmt noch.»

Selbst kaufte sie sich nichts. Ihr Haus scheint seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert worden zu sein. In der Garage steht ihr verbeulter Ford Taurus Jahrgang 1992. Sie ersetze bloss die «schon etwas schäbig aussehenden Stühle» in der Küche, dazu leistet sie sich einen passenden Tisch. «Hier halte ich mich doch so oft auf», sagt sie, «da darfs ruhig ein bisschen nett aussehen», also ob sie die bescheidene Anschaffung rechtfertigen müsste.

Maria Altmann ist eine sanftmütige Person, spricht klar, erinnert sich an manches Detail. Sie teilt da ein Kompliment aus, findet das «toll», jenes «grossartig». Nur wenn es um ihr Geburtsland geht, um ihre einstigen Mitbürger, dann teilt sie aus. Heftig. «Die Österreicher sind so niederträchtig», sagt sie. «Charmant, aber niederträchtig.»

1998, der Klimt-Fall hatte eben erst begonnen, besuchte sie auf Einladung der jüdischen Gemeinschaft Wien. Sie ass zu Mittag mit dem Direktor der Österreichischen Galerie, dort, wo die Klimt-Bilder hängen. «Der war ganz besonders nett.» Er sagte ihr, sie hätten genug Landschaften im Museum, «nehmen Sie die ruhig mit, aber bitte, bitte, lassen sie uns die Porträts». Später hätte er abgestritten, Altmann jemals getroffen zu haben.

Auf derselben Reise sass sie zwei Stunden mit Kulturministerin Elisabeth Gehrer zusammen. «Die hat immer nur mit mir gelacht», erinnert sich Altmann. «‹Bitte, bitte bleiben Sie noch a bisserl›, sagte die, ‹ich habs so lustig mit Ihnen›.» «Das ist sehr nett, dass sich mich nett finden, aber wir haben über eines noch nicht gesprochen, die Klimt-Bilder.» «Ah, das weiss i doch, jetzt reden wir noch a bisserl, es ist doch so lustig.» Später habe Ministerin Gehrer das Treffen bestritten. «Es ist ein verlogenes Pack, leider.»

Nach ihrer Rückkehr aus Wien hätte sie einen freundlichen Brief geschrieben und sich für den netten Empfang bedankt. Dazu der friedfertige Nachtrag, wo es ein Wille gebe, gebe es einen Weg. «Damals war ich 83, also noch ein Kind. Die haben nicht einmal den Anstand gehabt, den Brief zu beantworten», sagt sie. «Wissen Sie, die Österreicher sind immer so freundlich, es wird mir ganz übel, wenn ich daran denke, wie freundlich die sind, so etwas gibt es nicht in der Schweiz oder in Deutschland.» Ihr Urteil unterstreicht sie mit der Schilderung ihres 1938 zeitweise in Dachau inhaftierten Mannes. «Fritz war immer froh, wenn im Konzentrationslager ein Deutscher und nicht ein Österreicher der Aufseher war.»

Erwartet sie jetzt, nach der Abwicklung des Klimt-Falls, eine Entschuldigung des offiziellen Österreichs? «Wie sagt man doch in Wien? Das ich nicht lach!»

Und doch ist Österreich präsent in ihrer Wohnung. Über dem Spülbecken, dort wo sie so oft steht, wo sie Kaffee kocht und telefoniert, dort hängt «mein Lieblingsbild», eine Fotografie einer weidenden Kuh auf einer satten österreichischen Wiese. «Ich habe so gerne Kühe, diese Kuh schaut so lieb drein, sie frisst die Narzissen.» Neben dem Küchentisch hängt ein Bild der österreichischen Dolomiten. Stiche aus dem Salzkammergut zieren den Flur.

Zwei in der Wohnzimmerwand versenkte Setzkästen halten «die einzige Kostbarkeit in meinem Haus». Es sind französische und schweizerische Formuhren aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die Sammlung ihrer Eltern. Was fehlt, sind religiöse Insignien. «Bei mir ist es der Mensch, der zählt, nicht der Glaube.» Nur einmal im Jahr sei ihre Familie in Österreich jeweils in den Tempel gegangen, am Versöhnungstag. «Wir hatten ebenso viele jüdische wie christliche Freunde.» Erst in Amerika hätten sie jüdische Freunde darauf angesprochen, warum sie mit «gentiles» verkehre. An Weihnachten schmückte sie für ihre vier Kinder jeweils einen Christbaum, «ich bin doch mit dem Christbaum aufgewachsen», sagt sie. Heuer hätte sie erstmals darauf verzichtet, weil ihr Enkel zu Besuch war. «Seine Familie entdeckt die jüdischen Wurzeln, da dachte ich, der Baum könnte die stören.»

Nie hätte sie Heimweh verspürt. «Ich habe Wien über alles geliebt», sagt sie. «Diese Liebe hat man mir genommen.» Zwar sei sie nach dem Krieg öfters dorthin gefahren, geschäftlich, um Stoffe und Kleider für ihre Boutique in Beverly Hills zu kaufen. «Ich hatte nie wieder das Gefühl, das war meine Heimatstadt.» Das sei kaputt gemacht worden, «im März Achtunddreissig, wie die mit Gewehrkolben unser neues Auto, einen kleinen Steyer, aus der Garage gestossen hatten, wie sie den Schmuck genommen hatten, wie sie alte Menschen erniedrigt hatten, nur weil sie Juden waren».

Fühlt sie sich denn als Amerikanerin? «Nicht wirklich. Ich bin eine europäische Amerikanerin», sagte sie. Jahrelang sei sie mächtig stolz gewesen auf das Land, das sie aufnahm. «Seit Bush, diesem Kerl, kann ich nicht mehr wirklich stolz sein.» Der amerikanische Präsident strahle die «Sicherheit des Dummen» aus, sagt sie und setzt zur Wiener Schmäh an. «Stundenlang könnte ich ihn abwatschen, wenn ich dieses Gesicht sehe.»

Dann giesst sie nochmals Kaffee auf. Perfekt beherrscht Maria Altmann die Kunst des unschuldigen Flirts. Sie berührt, teilt Kurschneidereien aus, witzelt. Just hackt sie ein und lässt sich stützend zum Fototermin im Garten neben dem Pool begleiten. «Ich mach das alles doch nur mit, damit mich wieder mal ein junger Mann herum führt.» Dann fragt sie den Fotografen noch, «darf ich denn die Sonnenbrille tragen? Damit sehe ich viel jünger aus.»