Indianer-Jack

Der korrupte Lobbyist Jack Abramoff gefährdet die zweite Amtszeit von Präsident Bush. Vorerst wirft sein Geständnis jedoch ein Licht auf eine kolossale Schattenwirtschaft Amerikas: Die Kasinos auf Indianer-Reservaten.

Von Peter Hossli

Von der Autobahn New York-Boston führt die Fahrt eine halbe Stunde durch niedrige Tannenwälder ins beschauliche Dörfchen Uncasville im Bundesstaat Connecticut. Wie ein Fremdkörper ragt plötzlich ein hoher, gläserner Bau aus einer abgesenkten Lichtung empor. Es ist der Hotelturm von Mohegan Sun, dem weltweit drittgrössten Kasino. An Wochentagen 12’000, am Wochenende 45’000 Menschen ziehen hier an einarmigen Banditen, spielen Poker, harren an Rouletttischen. Wer nicht zockt, vergnügt sich in der Sauna, schlürft Austern, horcht Konzerten. Das Kasino erzielte 2004 einen Umsatz von 1,37 Milliarden Dollar, so der Geschäftsbericht.

Wie ist das möglich? Abgesehen von Nevada und den staatlichen Lotterien ist in den USA das Glücksspiel untersagt.

Juristisch liegt Uncasville nicht in den USA. Es ist die Hauptstadt und einzige Stadt der Mohegan-Indianer, einem Stamm im Nordosten Amerikas. Dessen 1650 Mitglieder bilden eine der 556 souveränen Nationen innerhalb der USA. Die amerikanischen Ureinwohner allein entscheiden, welche US-Gesetze sie auf ihrem Gebiet akzeptieren.

Diese skurrile gesetzliche Situation brachte vor rund zwanzig Jahren vife Indianer auf die Idee, auf ihren Reservaten Spielhöllen zu eröffnen. Was bescheiden mit Bingo begann, mündete in luxuriöseste Vergnügungsstätten, die den Vergleich mit Las Vegas nicht zu scheuen brauchen. Mittlerweile betreiben 228 Indianer-Stämmen landesweit 405 Kasinos. Sie setzen in 30 Bundesstaaten jährlich 20 Milliarden Dollar um.

Eine Menge Geld, das grösstenteils steuerfrei und ohne gesetzliche Aufsicht die Hand wechselt. Geld, das erfinderisch macht. Manche amerikanische Familie hat in den letzten Jahren indianische Vorfahren ausgegraben. Gerichte küren sie zu Stämmen. Bei Investoren leihen sie Geld, kaufen Land, hieven es in den Status des Reservats. Jährlich nimmt so die Zahl der souveränen amerikanischen Nationen zu. Wobei viele der neuen Gruppen selten mehr als hundert Mitglieder zählen.

Einige bilden Fronten für Kasino-Unternehmen mit Sitz in Las Vegas und Börsenkotierung in New York. Diese beschaffen den Indianern das Kapital, bauen die Infrastruktur auf und betreiben die Kasinos in Auftragsbasis – gegen happige und mehrjährige Umsatzbeteiligung, die zwischen 20 und 30 Prozent liegt.

Am erfolgreichsten sind dabei jene Stämme und Gruppen, die den besten und spendabelsten Vertreter in Washington auf ihrer Seite wissen. Keiner galt als besser und spendabler als Jack Abramoff, 46, der famose Lobbyist, der letzte Woche Korruption und Betrug eingestand. Fünf Stämme bezahlten ihm über 80 Millionen Dollar für die Einflussnahme bei Parlamentarier. Sie wollten sicher gehen, dass der Staat nicht doch eingreift bei den Kasinos.

Die gesamte Summe brachte Abramoff nicht unter die Leute. «Casino Jack» strich rund 20 Millionen selbst ein – und zieht nun als Kronzeuge etliche republikanischer Abgeordnete in das, was selbst konservative Politikanalysten den «grössten Bestechungsskandal der US-Geschichte» nennen.

«Seit wir Geld haben, hören Parlamentarier uns zu», sagt Mark Brown, der Häuptling der Mohegan. Er trägt einen dunklen Anzug, Lederstiefel und eine Bolo-Tie-Kordel. «Zuvor haben sie uns jahrhundertlang nicht beachtet.» Präsident Bill Clinton etwa besuchte 1996 die Eröffnung des Mohegan-Sun-Kasinos. Mittlerweile, so Brown, würden die Wahlkampfspenden von Indianern in manchen Staaten den Wahlausgang entscheiden.

Brown ist für fünf Jahre gewählt. «Es ist meine Pflicht, die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Mohegan zu stärken», umschreibt er sein Mandat. «Geld macht uns frei. Dank dem Kasino sind wir wirklich souverän.»

Eine Einschätzung, die zwei Ökonomen der Harvard-Universität vergangenes Jahr mit einer Studie belegt hatten. So stieg das Pro-Kopf-Einkommen bei Kasino-Stämmen zwischen 1990 und 2000 um 36 Prozent, während das Einkommen bei den anderen Indianern bloss um 21 Prozent zunahm. Waren Indianerstämme lange Zeit Bittsteller und Sozialempfänger, generieren sie erstmals satte Summen auf dem eigenen Stammesgebiet – und pumpen es nun zurück in die eigene Gemeinschaft. Das ist bitter nötig. Durchschnittlich verdient ein US-Indianer jährlich 8000 Dollar, ein Drittel des landesweiten Mittelmasses.

Seit das Geld in Uncasville in rauen Mengen fliesst, will jeder ein Mohegan sein. Aus gutem Grund. Will ein Stammesmitglied etwa studieren, übernimmt die Kasino-Kasse das Stipendium. Zur Geburt erhält jeder Mohegan sofort einen persönlichen Anlagefonds. «Bei uns klopfen mittlerweile Leute an, deren Vorfahren vor Jahrhunderten die Sippe verlassen haben», sagt Häuptling Brown. Mit Folgen: Vor drei Jahren schlossen die Mohegans die Grenze für Rückwande-rer.

Das Jahr der Skandale

Nächsten November wählen die Amerikaner einen Drittel des Senats und das gesamte Repräsentantenhaus neu. Den Republikanern, die Partei von Präsident Bush, droht der Mehrheitsverlust in beiden Kammern. Zum einen versinkt Irak im Chaos. Da amerikanische Wahlen meist mit nationalen Themen gewonnen oder verloren werden, wiegen die zahlreichen innenpolitischen Skandale um die Partei und den Präsidenten jedoch schwerer. Gegen die republikanischen Mehrheitsführer beider Kammern – Repräsentant Tom DeLay und Senator Bill Frist – laufen strafrechtliche Untersuchungen. Ohne gerichtliche Einwilligung liess George W. Bush nach 9/11 amerikanische Staatsbürger abhorchen, was manche Staatsrechtler als Gesetzesbruch deuten. Der Skandal mit der grössten Sprengkraft betrifft den konservativen Lobbyisten Jack Abramoff. Sein Geständnis entblösst wie selten zuvor das korrupte Politik-Establishment in Washington D.C. Jahrelang hat der ehemalige Hollywood-Regisseur Kundengelder zur Bestechung von Parlamentariern verwendet. Das Gros des Geldes kam von Indianer-Stämmen. Eine beachtliche Summe lenkte Abramoff, 46, auf eigene Konten. Er gestand Betrug, zusammen mit Steuerhinterziehung und Korruption ein. Nun ist er Kronzeuge einer umfangreichen Korruptionsuntersuchung, die Vize-Staatsanwältin Alice Fisher angekündigt haben. Einige Kommentatoren beschwichtigen. Allzu brisante Enthüllungen seien nicht zu erwarten. Zumal Bush Fisher einsetzt habe. Pikant: Vor einem Jahr sass Abramoff im Komitee der Amtseinführungs-Party des eben wiedergewählten Präsidenten.