Jeffrey Steinberrg – «Ich bin besser als die Natur»

Wünschen Sie sich einen Sohn? Jeffrey Steinberg erfüllt Ihnen den Wunsch. Oder hätten Sie doch lieber eine Tochter? Kein Problem. Der amerikanische Arzt pflanzt Ihnen eine Eizelle mit dem richtigen Chromosom ein. In der Schweiz müsste er dafür ins Gefängnis.

Von Peter Hossli

Der amerikanische Arzt Jeffrey Steinberg, 51, verhilft sei zwanzig Jahren unfruchtbaren Paaren mittels In-vitro-Fertilisation zu Kindern. Seit sieben Jahren testet er Embryonen vor deren Einpflanzung auf genetische Krankheiten. Um geschlechtsspezifische Leiden zu sehen, eruierte er jeweils das Geschlecht der Embryos. Das gelang Steinberg stets mit 100-prozentiger Sicherheit. Der hohen Trefferquote folgten Anfragen, grundsätzlich Geschlechterwahl vorzunehmen. Damit begann er vor drei Jahren. Mittelweile ist Steinberg weltweit erste Adresse für die umstrittene Praxis. Er lebt und praktiziert in Los Angeles.

Doktor Steinberg, haben Sie Kinder?
Jeffrey Steinberg: Drei, zwei Mädchen und ein Bube.

Wer bestimmte deren Geschlecht?
Steinberg: Wir gingen altmodisch vor und überliessen das dem Zufall.

Als Berufsmann ersetzen Sie den Zufall. Zu Ihnen kommen Paare, die entweder ein Mädchen oder einen Knaben wollen. Wie hoch ist Ihre Trefferquote?
Steinberg: 100 Prozent. Ein Fehler ist mir noch nie unterlaufen.

Wie schaffen Sie das?
Steinberg: Um sicher zu gehen, greifen wir auf jede erdenkliche Technologie zurück, die auf dem Markt ist. Bevor wir eine befruchtete Eizelle in die Mutter einpflanzen, überprüfen wir deren genetische Zusammensetzung auf das weibliche X- und das männliche Y-Chromosom. Damit lässt sich mit absoluter Sicherheit sagen, ob aus dem Embryo ein Knabe oder ein Mädchen wird. Unter dem Neonlicht-Mikroskop leuchten weibliche Zellen rosarot, männliche hellblau.

Diese so genannte Präimplantationsdiagnostik ist umstritten und in vielen europäischen Ländern verboten. Wie lange arbeiten Sie schon damit?
Steinberg: Die Technologie ist seit rund sieben Jahren auf dem Markt. Ursprünglich habe ich Embryos ausschliesslich auf genetische Krankheiten untersucht. Seit drei Jahren biete ich Geschlechterwahl an.

Wie hat sich ihr Geschäft seither verändert?
Steinberg: Zuvor waren 75 Prozent meiner Patienten unfruchtbare Paare, die bei einer In-vitro-Fertilisation die Embryonen auf genetische Krankheiten testen wollten. Heute sind 75 Prozent meiner Kunden Paare, die Geschlechterwahl wollen.

Wie viele Embryonen selektieren Sie nach dem Geschlecht?
Steinberg: Es sind täglich etwa 3, pro Jahr sind es sicher 1000 Kinder. Die Warteliste beträgt vier Monate. Die Nachfrage hat alle Erwartungen übertroffen. Weltweit selektiert niemand mehr Babys nach dem Geschlecht als ich.

Sie werden damit ein reicher Mann. Pro Selektion verlangen Sie 18000 Dollar, erzielen also einen Jahresumsatz von rund 18 Millionen Dollar. Was bedeutet Ihnen Geld?
Steinberg: Als ich mich für eine Karriere in der Fortpflanzungsmedizin entschieden habe, war das Geld nebensächlich. Es wurde rasch wichtiger, da ich meine Angestellten bezahlen musste. Jetzt ist Geld nicht mehr so wichtig, ich habe genug zum Leben.

Sie sind Multimillionär geworden, in dem Sie Gott spielen.
Steinberg: Ich spiele nicht Gott. Ich studiere, wie Gott arbeitet. Ich lerne von Gott. Ich greife nicht mehr in Gottes Werk ein als ein Chirurg, der einen geplatzten Bilddarm entfernt. Ohne chirurgische Hilfe würde der Patient sterben. Der Chirurg macht kleine Eingreife, damit der Mensch weiter leben kann. Ich greife nie ein, ich wähle nur aus.

Ein geplatzter Blinddarm stellt ein lebensbedrohendes Leiden dar. Ob jemand ein Knabe oder ein Mädchen ist hingegen nicht. Das Geschlecht ist keine essentielle Eigenschaft.
Steinberg: Richtig. Genauso wenig wie zu kleine Brüste, die vergrössert werden, oder krumme Nasen, die man operiert. Es sind Dinge, die das Leben von Menschen besser machen. Ich lebe in Los Angeles. Hier wollen die Leute ihr Leben ständig verbessern. Sie wollen besser aussehen, sich besser fühlen. Viele wollen ein Mädchen oder ein Knabe, um ihre Familie zu balancieren. Dadurch fühlen Sie sich besser.

Dann offerieren Sie einen Lifestyle?
Steinberg: Ja. Für viele Patienten gehört es zum Lifestyle, die Familie geschlechtlich auszubalancieren. Zu mir kommen Frauen, die fünf Söhne haben und sich sehnlichst wünschen, die eigene Tochter modisch einzukleiden – so, wie ihre Mütter sie einst eingekleidet haben. Sollen wir diesen Frauen den Wunsch verweigern, obwohl es technologisch möglich ist? Die Ethikkommission der amerikanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin kam zum Schluss: Nein, diesen Wunsch verweigern wir nicht. Zwar ermutigt sie die Praxis nicht, aber sie hält Patienten für erwachsene Menschen, die eigene Entscheidungen für ihre Familie treffen können. Es braucht niemanden, der ihnen da reinredet. Diese Freiheit lassen sich die Amerikaner nicht nehmen.

Dann gibt es grundsätzlich ein Recht darauf, einen Knaben oder ein Mädchen zu bekommen?
Steinberg: Ich sage niemandem, er soll ein Mädchen oder ein Knabe kriegen. Der Staat sagt niemanden, welches Geschlecht ein Kind haben soll. Das Elternpaar hat die alleinige Freiheit darüber zu entscheiden, ob es die Technologie nutzen will oder nicht. Ich bin verpflichtet, die Technologie ordnungsgemäss anzuwenden.

Wenn Sie einen Embryo auf eine genetische Krankheit testen, stellen sie eine Eigenschaft mit einem positiven oder negativen Wert fest. Das Geschlecht trägt keinen Wert.
Steinberg: Grundsätzlich gibt es nichts Negatives an einem Knaben oder einem Mädchen. Eine Familie, die nur Knaben oder nur Mädchen hat, kann das Geschlecht eines weiteren Kindes aber durchaus als negativ oder positiv empfinden. Ich verstehe Kritiker, die sagen, wir sollten nur Krankheiten testen, nie das Geschlecht. Dann sollten wir aber auch keine Brüste vergrössern, Zähne weissen oder Augen operieren.

Es besteht ein Unterschied zwischen kleinen Brüsten – und der Kreation des Lebens.
Steinberg: Die Diskussion ist rein semantisch. Wenn die Semantik lautet, «ihr manipuliert die Natur und das ist verboten», dann kann man medizinisch überhaupt nichts machen. Wer einen Bilddarm entfernt, manipuliert die Natur.

Sie verändern den Lauf der Natur.
Steinberg: Das ist auch nicht ganz richtig. Vielleicht hätte das Paar den Knaben, den es sich wünscht, auch sonst erhalten. Sie müssen tief in die Semantik steigen, um eine legitime Kritik zu finden. Ich mache das Baby ja nicht. Das Paar macht es. Ich studiere nur, was im Laboratorium passiert. Dann sagt mir das Paar, ob ich die Mädchen oder die Knaben einpflanzen soll. Ich entscheide gar nichts.
Facts. Sind Sie religiös?
Steinberg: Ich bin kein Fanatiker. Ich bin jüdisch, meine Kinder besuchen den Religionsunterricht.

Was hält Ihr Rabbi von Geschlechterwahl?
Steinberg: Er akzeptiert es. Der jüdische Glaube hat kein Problem damit. Der Rabbi sagt nur «Geht und vermehret euch». Er sagt nicht, wie wir das machen sollen.

Der Wunsch nach Geschlechterwahl ist tausende von Jahren alt. Die alten Ägypter und alten Griechen griffen zu eher esoterischen Methoden. Woher rührt dieser Wunsch?
Steinberg: Es ist ein Instinkt, die Balance der Geschlechter zu halten. Meine Kunden haben Familien, in denen die Geschlechter nicht gleichmässig verteilt sind.

Warum will jemand denn unbedingt ein Knabe oder unbedingt ein Mädchen?
Steinberg: Wenn eine Frau fünf Söhne hat und sie will mit einer Tochter dieselbe innige Beziehung haben wie sie mit ihrer Mutter hatte, kann ich das nachvollziehen. Für viele Kulturen ist zudem die Weitergabe des Namens wichtig. Wer also nur Mädchen hat, will einen Knaben, um den Nachnamen weiter zu geben.

Das sind reichlich banale Gründe.
Steinberg: Mag sein. Darüber urteile ich nicht.

Geschlechterwahl zementiert den Sexismus, weil Knaben bevorzugt werden.
Steinberg: Sie schiessen von der Hüfte, ohne die wissenschaftlichen Fakten zu kennen. Statistiken belegen: Bei mir hält sich der Wunsch nach Knaben und Mädchen exakt die Waage.

In Ländern wie China und Indien trifft das nicht zu. Dort werden ganz klar Knaben bevorzugt.
Steinberg: Es gibt nicht nur dort kulturelle Befangenheit. Bei den Amerikanern, Australiern und Europäern hält es sich die Waage. Asiaten wollen lieber Knaben. Die Kanadier wollen zu 75 Prozent Mädchen. Lateinamerikaner bevorzugen ebenfalls Mädchen. Über alle Patienten gesehen, ist es aber fünfzig-zu-fünfzig.

Viele Familien wollen erstgeborene Söhne. Knaben sind ohnehin bevorzugt in der Gesellschaft. Erstgeborne haben eine dominante Stellung. Sie kreieren doppelte Dominanz.
Steinberg: Die Daten der Geschlechterwahl belegen das Gegenteil. Genauso viele Paare wollen zuerst ein Mädchen.

Wer entscheidet bei einem Paar das gewünschte Geschlecht?
Steinberg: Die Frau will meist ein Mädchen, der Mann einen Knaben. Derjenige Partner, der den Besuch zu mir initiiert, entscheidet in der Regel das Geschlecht.

Fragen Sie das Paar nach Beweggründen?
Steinberg: Nie. Aber alle geben sie in der ersten Sitzung freiwillig preis. Damit wollen Sie ihre Schuldgefühle loswerden.

Es gibt Fortpflanzungsärzte, die Geschlechterwahl nur vornehmen, um eine genetische Krankheit zu verhindern. Gibt es Gründe, bei denen Sie nein sagen?
Steinberg: Wenn ich das Gefühl hätte, es seien keine guten Eltern, würde ich Nein sagen.

Andere Ärzte bieten Geschlechterwahl nur dann an, wenn das Paar schon einige Kinder desselben Geschlechts hat. Sind Sie ähnlich streng?
Steinberg: Ich nehme auch Leute, die noch keine Kinder haben. Es liegt nicht an mir, diese Entscheidung zu treffen.

Es gibt Paare, die das genetische Material eines Buben oder eines Mädchens brauchen, um einem bereits lebenden kranken Kind zu helfen. Helfen Sie diesem Paar?
Steinberg: Auf jeden Fall.

Dann fabrizieren Sie Designer-Babys?
Steinberg: Ich fabriziere keine Babys. Ich beobachte den Prozess und wähle aus. Ich lasse bloss ein Sperma auf eine Eizelle fallen und schaue, was die Natur daraus macht. Am genetischen Material ändere ich nichts.

Dennoch ist bei Ihnen das Kinderkriegen zu vergleichen mit dem Kauf eines Toasters.
Steinberg: Da liegen Sie komplett falsch. Paare, die zu mir kommen, investieren sehr viel, emotional, physisch und auch finanziell. Meine Patienten überlegen sich genau, was sie wollen und warum sie das wollen. Der Behandlung gehen oft ein monatelanger Briefverkehr oder längere Telefongespräche voran. Das ist beim Kauf eines Toasters nicht der Fall.

Kinder brauchen neben Nahrung nur eines: uneingeschränkte Liebe. Kann man deren Eigenschaften im Voraus bestimmen, werden sie zu Objekten. Objekte liebt man nicht.
Steinberg: Ich frage meine Kunden stets, was sie tun würden, wenn kein Embryo des gewünschten Geschlechtes die In-vitro-Fertilisation überstehen würde. Alle sagen mir, sie würden das Kind trotzdem lieben. Gebe es irgendeinen Hinweis auf das Gegenteil, würde ich meine Dienstleistung nicht anbieten.

Es gibt noch eine andere Methode für Geschlechterwahl als die Präimplantationsdiagnostik, nämlich die Geschlechter-Abtreibung. Es ist in den USA legal, einen Embryo im Mutterleib auf das Geschlecht zu testen und je nach Resultat abzutreiben. Bieten Sie das auch an?
Steinberg: Auf keinen Fall. Ich halte das für Genozid. Ich habe Patienten, die das gemacht haben. Ihnen offeriere ich eine viel bessere und ethisch weniger problematischere Methode.

Warum ist die Selektion von 8-zelligen Embryonen weniger problematisch als die Selektion eines 2 oder 3 Monate alten Embryos im Mutterleib?
Steinberg: Ich unternehme alles, damit Embryonen nicht einfach zerstört werden. Wir ermutigen unsere Patienten, überzählige Embryonen der Forschung oder an unfruchtbare Paare abzutreten. Bei einer Abtreibung ist das nicht möglich.

Wann beginnt für Sie menschliches Leben?
Steinberg: Es beginnt mit der Lebensfähigkeit. Sie definiert schlussendlich das Leben. Die Lebensfähigkeit tritt zwischen der 23. und der 25. Schwangerschaftswoche ein, nicht früher.

Was kriegen Ihre Kunden für 18000 Dollar?
Steinberg: Einen vollen In-vitro-Fertilisations-Zyklus. Wir testen die Frau, ob sie schwanger werden kann, wir behandeln sie mit Hormonen, entnehmen ihr Eier und untersuchen jedes einzelne Ei. Wir befruchten die Eier und separieren die Embryonen nach deren Geschlecht. Schliesslich pflanzen wir weibliche oder männliche Eizellen ein.

Sie beschreiben In-vitro-Fertilisation wie den Gang zum Zahnarzt. Für viele unfruchtbare Paare ist IVF die letzte Möglichkeit, ein eigenes Kind zu kriegen. Wie viele Ihrer Patientinnen könnten natürlich schwanger werden?
Steinberg: Über 80 Prozent. Zu mir kommen Leute, die ihre Familie ausbalancieren wollen.

Wie wirkt sich das auf die Erfolgsrate aus, schwanger zu werden? Bei IVF liegt sie normalerweise bei oder unter 30 Prozent?
Steinberg: Ich erreiche 78 Prozent, ich bin besser als die Natur.

Wenn Sie Ihre Dienste in Europa anbieten würden, müssten Sie in Gefängnis.
Steinberg: Für vieles, was wir hier tun, müsste ich in Europa hinter Gitter.

Woher rührt das amerikanische Bewusstsein, dass bei Reproduktion alles erlaubt sein soll?
Steinberg: Unser Land wurde von einer Gruppe von Menschen gegründet, die darauf bestand, die Entscheide selbst zu treffen. Das breitet sich in alle Lebenslagen aus, insbesondere auf so etwas Persönliches wie das Kinderkriegen.

Verstehen Sie die europäische Zurückhaltung?
Steinberg: Überhaupt nicht. Die Europäer sind in sozialen Belangen doch viel progressiver und liberaler als wir Amerikaner. Bei der Reproduktion überlassen sie die Entscheidung aber dem Staat. Ich finde es fatal, wenn bei einer so persönlichen Angelegenheit der Staat entscheiden soll.

Die Zurückhaltung der Europäer ist auch historisch zu deuten. Eugenik ist ein trübes Kapitel von Nazi-Deutschland.
Steinberg: Das sage ich ja. Es war damals der faschistische Staat, der über wertes und unwertes Leben entschieden hatte. Wir aber überlassen alle Entscheidung allein dem Paar. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen. Das liegt der Unterschied. Und der ist markant.

Sie profitieren von den Verboten in anderen Ländern. Wie viele Ihrer Kunden kommen aus dem Ausland?
Steinberg: Über sechzig Prozent.

Werben Sie in europäischen Magazinen?
Steinberg: Vieles läuft über die Mundproganda. Eine Deutsche, die einen Knaben wollte und einen Knaben kriegte, erzählt davon ihren Freundinnen. Sofort kriege ich 20 E-Mails aus Deutschland.

Es gibt den Geschlechterwahl-Tourismus nach Los Angeles?
Steinberg: Ich spanne weltweit mit Fruchtbarkeitskliniken zusammen. Meistens lassen sich die Frauen zu Hause testen und hormonell behandeln. Sie kommen zu mir für jenen Teil der In-vitro-Behandlung, der in ihren Heimatländern verboten ist. Ich befruchte die Eier, teste sie nach dem Geschlecht und pflanze sie ein. Nach fünf Tagen fliegen die Patientinnen wieder nach Haus. Viele sind wütend, dass sie dafür ins Ausland reisen müssen.

Aus welchen Ländern kommen ihre Kunden?
Steinberg: Die meisten aus Asien, aus Japan, Korea, Singapur, sehr viele aus China. An zweiter Stelle stehen die Europäer. Ich habe viele Briten und viele Deutsche und Franzosen. Hinzu kommen viele Australier und Kanadier.

Haben Sie Schweizer Kunden?
Steinberg: Bisher haben wir drei Schweizer Paaren den Geschlechterwunsch erfüllt.

Sie haben viele chinesische Kunden…
Steinberg: … sehr viele.

Welches Geschlecht wollen ihre chinesischen Kunden?
Steinberg: Knaben.

China hat wegen der Einkind-Familie ein grosses Problem mit der Balance der Geschlechter. Knaben werden klar bevorzugt. In gewissen ländlichen Regionen gibt es 140 Knaben auf 100 Mädchen. Geschlechterwahl verändert die Balance der chinesischen Gesellschaft.
Steinberg: Ich war in China. Dort habe ich viele Schauergeschichten gehört, wie neugeborne Mädchen am Strassenrand ausgesetzt werden. Auf dem Rückflug traf ich auf eine grosse Gruppe von New Yorkerinnen. Alle hatten ein eben adoptiertes chinesisches Mädchen dabei. Da wurde mir klar: die Schauergeschichten stimmen. Wenn ich die Wahl habe, einer Familie direkt zu einem Knaben zu verhelfen, oder deren Tochter wird ausgesetzt, dann ist für mich der Fall klar – ich verhelfe der Familie zum Knaben.

Obwohl Sie damit den Sexismus in China stärken?
Steinberg: Das gebe ich zu. Allerdings stammt der Sexismus nicht von meiner Praxis. Es ist ein Problem, das die Chinesen lösen müssen.

Für Sie ist Geschlechterwahl also nur ein gutes Geschäft?
Steinberg: Natürlich nicht. Es ist eine glücklich machende Medizin. Ich könnte auch Krebsarzt sein, das ist aber traurige Medizin. Das hat mich nie angezogen. Ich bevorzuge die glückliche Medizin. Es gibt nichts Schöneres, als einem unfruchtbaren Paar zu helfen, ein Kind zu kriegen.

Als die Präimplantationsdiagnostik zugelassen wurde, sagten viele Ärzte, sie würden sie nicht für Geschlechterselektion anwenden. Mittlerweile ist das akzeptiert. Warum der Wandel?
Steinberg: Die gesellschaftliche Akzeptanz folgt jeweils der technologischen Machbarkeit. Vor zwanzig Jahren war ich einer der ersten Ärzte, der In-vitro-Fertilisationen vernahm. Damals hiess der Slogan «Reagenzglas-Babys haben keine Seele». Gehe ich heute auf eine Cocktail-Party, hat die Hälfte aller Gäste Reagenzglas-Babys. Darüber wird nicht mal mehr geredet. In der Klasse meines Sohnes hat es vier Zwillingspaare, alles Reagenzglas-Babys. Niemand spricht darüber, obwohl das genauso wenig natürlich ist wie Geschlechterwahl.

Warum ist der anfängliche Widerstand geschwunden?
Steinberg: Immer mehr Menschen, die einst in vitro gezeugt wurden oder haben, beteiligen sich mittlerweile an der Debatte. Sie sagen der Gesellschaft, sie seien glücklich, gebe es In-vitro-Fertilisation. Dasselbe werden Menschen sagen, deren Eltern einst ihr Geschlecht vorbestimmt haben. Die Gesellschaft anerkennt, dass das keine Freaks sind.

Mit Präimplantationsdiagnostik lässt sich nicht nur das Geschlecht eruieren…
Steinberg: … wir können mittlerweile rund 200 teilweise sehr schlimme genetische Krankheiten testen…

… theoretisch wäre es auch möglich, andere nicht essentielle Eigenschaften zu sehen. Was würden Sie an sich verändern?
Steinberg: Ich wäre froh, nicht so dick zu sein. Es wird dereinst möglich sein, Fettleibigkeit im Voraus zu erkennen. Wenn sie Fettleibige fragen, was sie darüber denken, findet das eine Mehrheit eine gute Idee.

Was wünschen sich Ihre Kunden?
Steinberg: Ich kriege Anfragen für die Augen- oder Haarfarbe, aber auch für sexuelle Orientierung. Ich muss die Leute vertrösten. Das ist derzeit nicht möglich. Wird es eines Tages möglich sein? Ja. Biete ich es an? Nur wenn es die Ethikkommission zulässt.

Braucht es überhaupt keine Regeln?
Steinberg: Die Regeln, die es braucht, sind bereits vorhanden. Die IVF-Laboratorien müssen jene Leistungen sicher anbieten, die die Patienten wünschen. Das reicht mir als Vorschrift.

Wo setzen Sie persönlich die Grenze?
Steinberg: Wenn der Test eine schwere Behinderung verhindern kann, sehe ich keine Grenze. Wenn ich Leute glücklich machen kann und gleichzeitig die Gesellschaft nicht schädige, sehe ich kein Problem.

Die Eltern geben für ihr Wunschkind 18000 Dollar aus. Der Erwartungsdruck muss enorm sein. Was passiert, wenn das selektierte Kind nicht den Erwartungen entspricht?
Steinberg: Alle Eltern haben Erwartungen, setzen Hoffnungen in Ihre Kinder, auch jene, die sie natürlich kriegen. Die Erwartungen sind nach Geschlecht stets unterschiedlich, egal, ob es im Voraus auswählt wurde oder nicht.

Der psychologische Druck auf das Wunschmädchen kann enorm sein.
Steinberg: Der ist nicht anders als bei einem Paar, das nach drei Knaben auf natürlich Art ein Mädchen kriegt. Das ist doch gar nicht schlecht. Zum Glück ist die Natur nicht so langweilig eingerichtet, dass alle Kinder gleich behandelt werden.

Lässt man der Natur freien Lauf, findet das stärkste Sperma den Weg zur Eizelle. Bei der Geschlechterwahl bringen Sie eher willkürlich Ei und Sperma zusammen. Danach selektieren Sie die Embryonen. Das könnte gesundheitliche Folgen haben.
Steinberg: Theoretisch könnten Sie Recht haben. Es gibt aber keinerlei wissenschaftliche Hinweise, die das belegen. Bestünde ein Problem, würde ich mein Programm sofort stoppen.

Sie haben Ihre Kinder altmodisch gezeugt. Warum haben Sie keine Geschlechterwahl vorgenommen?
Steinberg: Wäre mein drittes Kind auch ein Mädchen gewesen, wäre ich überglücklich gewesen. Bei einem vierten Kind hätte ich einen Knaben selektiert. Ich liebe meine beiden Töchter und liebe meinen Sohn.