Von Peter Hossli
Zum Spatenstich der letzten Hoffnung waren sie alle gekommen: Zwei Senatoren, der Bürgermeister, der Gouverneur. Sie reichten dem Chef von Goldman Sachs die Schaufel, um den Grundstein für den neuen Hauptsitz der Investmentbank zu legen. Der Grund für den prominenten Aufmarsch: Das 2,4 Milliarden Dollar teure Gebäude liegt direkt neben Ground Zero.
Der Bau von Goldman, klopfte man sich auf die Schulter, würde die seit vier Jahren stillstehende Baustelle in Lower Manhattan animieren. Das Glas-Stahl-Gebäude? Ein Magnet! «Wenn Goldman Sachs hier baut, werden andere kommen», sagte Senator Charles Schumer, «und wir brauchen die anderen.» Denn der von den Terrorattacken am 11. September 2001 im Herz getroffene Finanzdistrikt hat an Bedeutung verloren. Seit vier Jahren zanken die Politiker und Architekten, Immobilien-Tycoons und Stadtplaner sowie Angehörige der Opfer um die paar Hektaren Land – ohne Resultate.
Kein emotionaler Entscheid von Goldman Sachs
Der als «Umzug zum Ground Zero» gepriesene Goldman-Sachs-Neubau wird daran nichts ändern. Zumal die Traditionsbank seit langem an der Südspitze Manhattans logiert, nicht einmal einen Kilometer entfernt vom neuen Standort. «Wir sind seit 136 Jahren in Lower Manhattan», sagt die Goldman-Sachs-Sprecherin Andrea Raphael. «Wir wollten bleiben.» Es werden aber keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sie werden verlegt. Fürs Bleiben mussten die Stadt und der Staat New York tief in die Kassen greifen. Goldman Sachs erhält eine Steuervergünstigung von 1,65 Milliarden Dollar, damit die Bank mitsamt 9000 lokalen Angestellten nicht woanders hinzieht.
«Wer sagt, Goldman Sachs ziehe aus emotionalen Gründen in die Nähe von Ground Zero, der lügt», sagt der Sprecher einer grossen Wallstreet-Bank, der nicht genannt werden will. «Ein Umzug unter diesen Steuerbedingungen zahlt sich für sie aus. Der Entscheid basiert nur auf Zahlen.» Noch im Frühjahr hatte sich Goldman Sachs gegen den Neubau entschieden und damit den totalen Stillstand am Ground Zero provoziert. Der Planungsprozess dauere zu lange, sagte damals die Bank. Der Masterplan begünstige neue Anschläge. Erst der staatliche Zuschuss stimmte Goldman Sachs um. Neben ein paar neuen chemischen Reinigungen werde Goldman Sachs wenig bewirken, heisst es an der Wallstreet. Der Sitz des New York Stock Exchange verliere an Bedeutung. Einst war es zentral, in der Nähe der wichtigsten Börse der Welt einen Trading Floor zu betreiben. Mittlerweile haben andere Börsen an Wichtigkeit gewonnen. Da die meisten Finanzplätze zum elektronischen Handel übergehen, spiele zudem der physische Ort keine Rolle mehr.
Derweil werfen Stadtplaner den Politikern schweres Versagen vor. Die Finanzhäuser seien von Lower Manhattan weggezogen, weil das Gebiet verkehrstechnisch nach wie vor miserabel erschlossen sei. Der langwierige, von Klagen und Unsicherheit geprägte Prozess schrecke viele Firmen ab, sagt Petra Todorovich von der Regional Plan Associa-tion, einer Organisation, die sich um die Belebung von Lower Manhattan bemüht.
Wohnungen statt Büros heisst nun die Devise
Es werde mindestens fünfzehn Jahre lang dort gebaut, sagt sie. Währenddessen werden alte Bürogebäude en masse in Wohnungen umgebaut, wodurch der Finanzdistrikt seinen ursprünglichen Charakter verliert.
Die Kinderwagen ersetzen die Zweireiher. «Hier entsteht eine Wohngegend», sagt Petra Todorovich. «Lower Manhattan als Herz der Finanzindustrie ist wohl ein Stück Geschichte.» Sie setzt wenig Hoffnung in den für nächsten Frühling geplanten Baubeginn des Freedom Tower, des ersten Gebäudes auf dem Ground Zero. Ursprünglich sollte er 2006 bezogen werden. Mittlerweile peilen Planer die Fertigstellung für 2010 oder 2011 an.
Es sei denn, der Spatenstich verzögere sich weiter. So forderte Bürgermeister Michael Bloomberg die Entmachtung von Larry Silverstein, dem mächtigen Besitzer des World Trade Center. In dessen Taschen liegen die Milliarden der Versicherungen für den Neubau. Sein Architekt hat einen Freedom Tower entworfen, der hauptsächlich Büros enthält, die der Markt nicht braucht. Bloomberg setzt auf einen möglichst hohen Wohn- und Shoppinganteil. Ein Bedürfnis für die Finanzwelt sieht er nicht.
Architektur-Boom in New York
Jeder namhafte Architekt der Welt hoffte, nach dem 11. September 2001 beim Ground Zero in New York bauen zu können. Etliche eröffneten dafür eigens ein Büro – und bauen jetzt aber woanders in New York. Lord Norman Fosters hochkarätiger Büroturm für den Verleger Hearst ist bereits fertig gestellt. Der Italiener Renzo Piano baut ein neues Zuhause für die New York Times Company und der Argentinier Cesar Pelli für Bloomberg LLP. Im West Village glänzen die Wohntürme von Richard Meier, und Santiago Calatravas geplantes Würfelgebäude am East River ist schlicht umwerfend. Demnächst erfolgt der Spatenstich für eine komplett erneuerte Pennsylvania Station. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten erhält New York grandiose Architektur, weitab von Ground Zero.