Von Peter Hossli
Grosse Freude herrschte beidseits des Atlantiks. Angeblich mit Sonderrabatt erwarb sich Swiss Re vorletzte Woche den Titel «grösster Rückversicherer der Welt». Für 6,8 Milliarden Dollar kauften die Schweizer einen Grossteil der Versicherungen des US-Konzerns General Electric (GE) und überholten damit die Münchner Rück. Am Ziel angelangt ist GE-Chef Jeffrey Immelt. Seit drei Jahren bot Immelt weltweit sein nicht rentables Versicherungsgeschäft feil – bis Swiss Re endlich zulangte. Nun, sagt Immelt, wolle er sich auf die «rascher wachsenden Bereiche» konzentrieren.
Mancher US-Analyst sieht sodann GE als Sieger des Deals, trotz eines Abschreibers von 3 Milliarden Dollar. «GE Insurance Solutions ist kein gutes Geschäft», sagt ein JPMorgan-Analyst, der den Koloss seit Jahren beobachtet, namentlich aber nicht genannt werden möchte. «Seien wir ehrlich, GE hat damit kaum Geld verdient.» Für die GE-Aktionäre sei der Verkauf «eine grosse Erleichterung», sagt Analystin Mary Ann Sudol von der Caris Company. «Immelt muss die GE-Aktie antreiben, der Verkauf hilft ihm», sagt ein Prudential-Analyst.
Mit einer Verminderung der Kreditwürdigkeit von Swiss Re quittierten verschiedene Rating-Agenturen den Deal. Fitch setzte den Rückversicherer auf «rating watch negative». Das sei «klar eine Folge der Kaufankündigung», sagt der Senior-Direktor bei Fitch, Chris Waterman.
Es handle sich um eine «enorm komplexe Transaktion», erklärt er die Herabsetzung. Deren Grösse könne selbst für «eine so erfahrene Firma wie Swiss Re unüberbrückbare Hindernisse bergen», sagt Waterman. «GE hat ein schlechteres Rating als Swiss Re», begründet er die negative Einstufung weiter. «Wir kommentieren Rating-Agenturen nicht», sagt dazu Swiss-Re-Sprecher Henner Alms.
Die diversen Altlasten werfen grosse Fragezeichen auf
Stattdessen betont Swiss Re, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Schliesslich bezahle man bloss 76 Prozent des Buchwertes. Längst hätten sich die GE-Versicherungen von ihrer Krise erholt. Die Katastrophen des vergangenen Jahres – der Tsunami, die Orkane in den USA – würden die Prämien weltweit antreiben.
Dem rosigen Bild widerspricht die Reserveerhöhung von 3,4 Milliarden Dollar, die Swiss Re GE für noch zu erwartende Schadenfälle abgerungen hat. «Dem Deal geht eine sorgfältige Buchprüfung voran», sagt Swiss-Re-Sprecher Alms. «Wir haben jeden möglichen Anspruch aufgelistet und sind auf 3,4 Milliarden Dollar gekommen.»
Mehrere Analysten bewerten diesen Zuschuss allerdings als nicht ausreichend. So warnt Michael Zboron von A.M. Best, die 3,4 Milliarden Dollar seien nicht allein für die US-Nachreservierungen gedacht. Das wäre aber «dringend nötig», da mit dem GE-Kauf «eine Welle von Forderungen aus den USA» auf Swiss Re zurolle, wobei es sich vornehmlich um Altlasten handle. «Zwischen 1997 und 2001 blutete die Versicherungsindustrie in Amerika», sagt Zboron. Damals deckten die Prämien die Forderungen «bei weitem nicht». Die Nachreservierung reiche nicht aus. «Die 3,4 Milliarden Dollar stellen gerade mal einen Puffer dar, mehr nicht.»
Viktor Dammann, Analyst bei der Bank Vontobel, sieht es positiver. «Hätte GE nicht schon früher mehr geleistet, wären die 3,4 Milliarden sicher zu knapp.» Er weist darauf hin, dass die Rückstellungen bereits um Nachreservierungen von 7,7 Milliarden Dollar aufgestockt wurden. «Das sollte reichen.» Auch Dammann räumt Risiken ein. «Wer in den USA eine Versicherung kauft, läuft grundsätzlich Gefahr, Nachreservierungen leisten zu müssen.»
Selbst GE spricht in Bezug auf die künftigen Schadenforderungen von einem «hohen Grad an Unsicherheit». Dies geht aus einem Ende 2004 bei der Börsenaufsichtskommission eingereichten Dokument hervor. «Besonders signifikant» sei die Unsicherheit bei Asbest-Fällen, Umweltschäden und Schadenersatzklagen. Keine US-Versicherung habe grössere Belastungen in Bezug auf Asbest als GE, sagt Fitch-Analyst Waterman. «Sie beanspruchen den grossen Teil der 3,4 Milliarden.»
Kommen nach den Asbest- die Schimmelklagen?
Es gibt aber noch andere Gefahrenherde. Laut GE-Papier ist der amerikanische Rückversicherer fast allen grossen Sammelklagen ausgesetzt. Namentlich erwähnt sind Klagen gegen die Tabak- und Waffenindustrie, gegen Hersteller von Brustimplantaten sowie wegen Schäden durch Haushaltsschimmel.
Der Schimmel könnte das Ausmass der Asbest-Klagen erreichen mit Forderungen in der Höhe von dutzenden von Milliarden. Etwas, «das sich die Versicherungsindustrie nicht leisten kann», schreibt die «Vanderbilt Law Review». Es geht um gigantische Summen. Gegen den Besitzer eines einzigen Gebäudes in New York liegt beispielsweise eine Forderung wegen Schimmels in der Höhe von 12 Milliarden Dollar vor.
Ein wenig bekanntes Feld sind die Klagen gegen Waffenhersteller. Anti-Waffen-Organisationen beziffern den Schaden von Pistolen und Gewehren auf jährlich 100 Milliarden Dollar. Täglich sterben in den USA neun Kinder durch Schusswunden – eine herzzerreissende Statistik, die Geschworene dazu animieren dürfte, besonders hohe Schadensummen auszusprechen.
Besorgniserregend seien zudem neue Sammelklagen wegen Medikamenten, so das GE-Papier. Ob es sich dabei um Vioxx-Verpflichtungen handelt, will Swiss-Re-Sprecher Alms nicht sagen. «Wir nehmen grundsätzlich keine Stellung zu konkreten Ansprüchen.»
Wegen der Übernahme gehen Kunden verloren
Als Problematisch erachten Analysten den Zeitpunkt der Abwicklung der Akquisition. Versicherungspolicen werden in der Regel im Januar erneuert. Definitiv dürfte der Deal zwischen Swiss Re und GE aber frühestens Mitte 2006 über die Bühne gehen. Viele Grosskunden der Rückversicherungen verteilen ihre Policen gerne auf mehrere Anbieter. Da einige dieser Kunden sowohl bei Swiss Re als auch bei GE Policen halten, werden sie bereits im Januar andere Anbieter anpeilen. Swiss Re selbst geht vonm Verlust eines Drittels der GE-Kunden aus. «Dies mindert auch das Risiko», beschwichtigt Alms.
Eine letzte Gefahr sieht Bank-Vontobel-Analyst Dammann bei der Integration amerikanischer Manager. Oft würden den Führungskräften der übernommenen Firma Spitzenpositionen bei der Käuferin zugesprochen. Amerikaner krempeln eine Struktur oft um. «Das kann schon einmal des Guten zu viel sein», sagt Dammann. Läuft es nicht, verschwinden die Amerikaner rasch – zurück bleibt eine angeschlagene Organisation.