Die Firma fürs wirklich Grobe

Je mehr Tote, desto höher fallen Gewinn und Umsatz aus: Die texanische Firma Kenyon birgt nach Katastrophen weltweit die Todesopfer. In New Orleans gerät das Unternehmen zwischen die Fronten.

Von Peter Hossli

Es war ein grausiger Fund. Soldaten der Nationalgarde entdeckten vergangene Woche die Leichen von 34 Menschen im Schlamm eines Altersheims in New Orleans. Die Betagten waren hilflos zurück gelassen worden, als der Orkan Katrina Ende August das Mississippi-Delta überflutete.

Der Kommandant der Suchtruppe liess die sterblichen Überreste liegen – und rief die Spezialisten. Eine knappe Stunde später traf eine Männergruppe ein, alle in weissen Gummianzügen, blauen Handschuhen und hohen Stiefeln. Es sind Angestellte der Firma Kenyon International mit Sitz in Houston, Texas. Ihnen obliegt die grimme Aufgabe, sämtliche Opfer des Wirbelsturms aus dem giftigen Morast zu ziehen. Weit über Tausend Leichen werden sie in gekühlten Lieferwagen ordnungsgemäss ins Leichenschauhaus transportieren. Dort dokumentieren sie die exakte Beschaffenheit jedes Leichnams.

Eine «zermürbende Aufgabe», sagt Firmensprecher Jay Kirsch, der in New Orleans während fünf Tagen Leichen barg. Nur jemand mit «dem Herz auf dem rechten Fleck und totaler Hingabe», sei ihr gewachsen. Es sind Ärzte, Krankenpfleger, ausgebildete Leichenbeschauer. «Leute, die das handwerkliche Können mitbringen, verwesende Körper würdevoll zu behandeln» – selbst dann, wenn die Zahl der Opfer in den Tausenden liegt. Sie übernachten im Leichenschauhaus von Baton Rouge. Jeden Abend entgiften sie ihre Schutzkleidung.

Nie aus den Augen verlören sie ein Ziel, sagt Kirch: «Die Zusammenführung der Familien mit ihren Toten.» Ein sensibler Ansatz der Firma fürs wirklich Grobe, für Flugzeugabstürze, Schiffsuntergänge, Umweltkatastrophen, Bombenanschläge, Genozide.

Über dreihundert Einsätze mit stets hohen Opferzahlen hat das Unternehmen in seiner 76-jährigen Geschichte bewältigt. Gegründet hatte es 1929 ein englischer Totengräber, der sieben Opfer aus einem verkohlten Flugzeug ziehen musste. Ende letztes Jahr entsandte Kenyon Hunderte von Leichensammler nach Asien, um Opfer des Tsunami zu bergen und zu identifizieren. Die griechische Fluggesellschaft Helios Airways forderte im vergangenen August die Dienste von Kenyon an. Eine ihrer Maschinen stürzte mit 121 Passagieren an Bord ab.

Als im August 2003 das Uno-Hauptquartier in Bagdad bombardiert wurde, barg Kenyon 22 getötete Angestellte der Weltorganisation. Nach 9/11 holte die Firma sterbliche Überreste aus den Trümmern des World Trade Centers in New York wie auch von der Absturzstelle von Flug 93 in Pennsylvania. Kenyon half in den neunziger Jahren, 20’000 Tote aus Massengräbern im ehemaligen Jugoslawien zu identifizieren.

Besonders schwierig gestaltete sich die Bergung im kanadischen Peggy’s Cove, dort, wo im September 1998 eine Swissair-Maschine ins Meer stürzte. Ein so genanntes de-gloving hatte beim massiven Aufprall des Flugzeug aufs Wasser innert Sekundenbruchteilen Muskeln, Haut, Gewebe und Fett von den Knochen gerissen, abgestreift wie lose Handschuhe von den Händen. Kenyon konnte nur noch Leichenteile einsammeln.

Nicht einmal 48 Stunden nach dem Tsunami entfernten Kenyon-Angestellte erste Leichen von den Stränden Thailands. In New Orleans hat die Bergung der Opfer erst zwei Wochen nach dem Sturm begonnen. Wegen einem politischen Hickhack. Die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, beschuldigte die US-Regierung für die «unwürdige und nicht akzeptable» Verzögerung. Just überschritt sie ihre Befugnisse und schloss einen Vertag mit Kenyon ab. «Ich halte es nicht länger aus, dass diese wichtige Arbeit nicht prompt erledigt wird», sagte Blanco.

Derzeit seien 200 Personen in New Orleans im Einsatz, sagt Firmensprecher Kirsch, sieben Tage die Woche. Louisiana überweist dafür täglich 118980 Dollar nach Houston, so der Vertrag. Gebucht ist die Firma vorerst vom 12. September bis am 15. November. Demnach kassiert Kenyon rund 7,8 Millionen Dollar. Hinzu kommt ein Unkostenbeitrag für Leichenbeutel, die Miete der dreissig Transporter oder die Reinigung der Arbeitskleider von monatlich 639000 Dollar. Im Preis inbegriffen sind zehn Prozent Katrina-Rabatt, die Kenyon gewährt.

Das Geschäftsmodell hat Tücken. Umsatz und Gewinn hängen von der Anzahl und der Grösse der Katastrophen ab. Je mehr Menschen sterben, desto profitabler operiert Kenyon.

Das Risiko vermindern rund 200 Pauschalverträge mit potenziellen Kunden. Dazu zählen viele der grossen Fluggesellschaften – die Swiss ist nicht dabei –, überdies Anbieter von Kreuzfahrten, zahlreiche Regierungen und die Vereinten Nationen. Um die Fixkosten gering zu halten, beschäftigt Kenyon bloss 50 Personen. Hinzu kommen rund 1000 feste Freie, die bei einem Desaster sofort rekrutiert werden können. Deren Lohn übernehmen dann die Auftraggeber, in Südostasien etwa die australische Regierung.

Ist die Welt friedlich und an Katastrophen arm, schrumpft der Umsatz. Dann greift die Mutterfirma ein, die an der Börse kotierte Service Corporation International (SCI), das weltweit grösste Bestattungsfirma. Über 1200 Bestattungsinstitute und rund 400 Friedhöfe betreibt SCI. Letztes Jahr erzielten die rund 14000 Angestellten einen Umsatz von 1,86 Milliarden Dollar und 212 Millionen Dollar Gewinn.

Wie viel Kenyon dazu beisteuert, verrät der Pressesprecher nicht. Aus dem Geschäftsbericht geht nur hervor, dass Kenyons «Umsatz und Gewinn signifikanten Sprüngen ausgesetzt sind». Heuer, sagt der Sprecher, «läuft es ausgesprochen gut». Der Tsunami, mehrere Flugzeugabstürze und jetzt Katrina «kurbeln das Geschäft an».

Die Bush-Connection

Kenyon erhielt den Auftrag in Louisiana ohne eine Offerte einzureichen. «Vetternwirtschaft», moniert daher die demokratische Parlamentarierin Nancy Pelosi. Zumal Kenyons Dachfirma SCI enge Beziehungen zur Familie Bush pflegt und keineswegs frei von Skandalen ist.

In Florida hub sie im Jahr 2001 widerrechtlich zwei Friedhöfe aus und warf die Leichen in den Wald. Nach einer Klage musste SCI den Hinterbliebenen Schadenersatz in der Höhe von 100 Millionen Dollar bezahlen.

In den sechziger Jahren half Firmenchef Robert Waltrip dem späteren US-Präsident und Präsidentenvater George Herbert Walker Bush, in Texas Fuss zu fassen. Heute sitzt Waltrip im Verwaltungsrat der präsidialen Bibliothek des älteren Bushs. An deren Bau zahlte SCI 100000 Dollar. 1994 finanzierten die Bestatter zudem Bush Juniors Wahlkampf für das Gouverneursamt von Texas.