Auf das Orakel folgt der Professor

Ben Bernanke: Mit dem Nachfolger von Alan Greenspan hält auch ein neuer Stil Einzug.

Von Peter Hossli

Sichtlich erleichtert übergab George W. Bush am Montagnachmittag das Mikrofon an Ben Bernanke. Der US-Präsident hatte eben seinen Wirtschaftsberater zum Chef der Notenbank und Nachfolger von Alan Greenspan ernannt.

Bush, seit Wochen im Kreuzfeuer der Kritik, stiess auf Wohlwollen. Ökonomen reagierten überschwänglich. «Sehr gut», «exzellent» oder «glaubwürdig» beurteilten sie Bernanke. Die Finanzmärkte goutierten die Ernennung mit Kurssprüngen. Vor allem, weil der Mikroökonom betonte, das fortzuführen, was Greenspan erfolgreich praktiziert hatte, nämlich mit smarter Zinspolitik die Inflation im Zügel zu halten. «Genau das hatten sich die Märkte erhofft», kommentierte eine Analyst von «Bloomberg News» die Wahl.
Überraschend kam sie nicht. Seit Wochen galt der 51-jährige Professor als Favorit für die Greenspan-Nachfolge. Mitte des Jahres hatte der Präsident ihn zum Chef seines Wirtschaftsrates ernannt. Denselben Posten besetzte Greenspan einst unter Gerald Ford. Bernanke entspricht überdies der Forderung nach einer politisch unabhängigen Spitze bei der Federal Reserve Bank (Fed). Ab-gesehen von einem Sitz in der örtlichen Schulpflege belegte der kahle Vollbartträger nie ein politisches Amt.

Dafür kennt er das Fed, in dessen Beirat er drei Jahre lang amtete. Daraus lassen sich Unterschiede zu Greenspan erahnen. Intellektuelle Zwillinge sind die beiden nämlich nicht. Der abtretende Fed-Chef war bekannt für karge, orakelhafte Stellungsnahmen. Transparenz war ihm zuwider. Professor Bernanke hingegen denkt oft laut nach und spricht gerne. Er begrüsst es, Entscheide der Notenbank direkter zu vermitteln und Protokolle offen zu legen. Wie die Bank of England möchte er Inflationsziele explizit festlegen. Dagegen sperrte sich Greenspan stets.

Bereits als Jugendlicher fiel der designierte Notenbankchef durch einen scharfen Intellekt auf. Er gewann die Buchstabiermeisterschaften in seinem Heimatstaat South Carolina. Die Eintrittprüfung fürs College legte er mit den besten Noten ab. Die Harvard University verliess er mit «summa cum laude», gefolgt vom Doktortitel am MIT. Es folgten Lehrtätigkeiten an den Elite-Universitäten Stanford und Princeton. Am Fed trifft er auf etliche ehemalige Studenten.

Seine Freunde
Ende Januar tritt Notenbankchef Alan Granspan nach 18 Jahren ab, als «Legende», so Bush. Um sein Vermächtnis zu sichern, setzte sich Greenspan persönlich für Ben Bernanke ein. «Ben besitzt grossartige akademische Meriten und hat ein klares Verständnis, wie unsere Wirtschaft funktioniert», lobte Greenspan den designierten Erben ins Amt. Der Chef der europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, würdigte ihn als «aussergewöhnlichen Ökonomen». Grosse Hoffnung in Bernanke setzt vor allem Bush selbst. Die Wahl soll von den Missgriffen der letzten Monate ablenken.

Seine Gegner
Theoretisch muss Ben Bernanke gegen 100 amerikanische Senatoren antreten, ihn bis zu dessen Amtsantritt am 1. Februar 2006 bestätigen müssen. Bisher regt sich selbst auf Seiten der Demokraten wenig Widerstand. Nicht Gegner muss er bekämpfen, sondern komplexen monetäre Herausforderungen entgegentreten: Ein aufgeblähter Immobilienmarkt, der zu Platzen droht; das nach wie vor wachsende Handelsbilanzdefizit, das den Dollar schwachen könnte; sowie hohe Energiepreise, die die Preisspirale kräftig noch oben treiben dürften.

Seine Vorlieben
Der Familienmann dankte bei seiner Nominierung ausdrücklich seiner Frau Anna und seinen beiden noch kleinen Kindern für deren Unterstützung. Sonst mag Bernanke einen sauber getrimmten Bart, amerikanische Geschichte und Sport. Jahrelang verfasste er Essays und Studien über die Grosse Depression, die Zeit der Börsenabstürze und Warteschlangen. Er fasste sie im Band «The Great Depression» zusammen, einem Standardwerk über den Beginn der dreissiger Jahre. Während der Studienzeit in Boston entwickelte Bernanke zudem eine Passion für die Boston Red Sox, das örtliche Baseballteam.

Seine Abneigungen
Der bisherige Ökonomie-Professor der Princeton University verachtet nichts mehr als unkontrollierte Inflation. Der Autor des Buches «Inflation Targeting» glaubt belegen zu können, dass monetäre Politik dann stabilere wirtschaftliche Situation hervorbringt, wenn die Ziele der Inflation klar fest gelegt sind. Bernanke hält eine Inflation von 1 – 2 Prozent über einen Zeitrahmen von zwei Jahren für angebracht. Ausserdem verachtet er das Wort «Edelweiss». Bernanke buchstabierte es in der sechsten Klasse falsch verfehlte deswegen das Vorankommen in der nationalen Buchstabiermeisterschaft.