Die USA ankern in der Schweiz

Mit dem Freihandelsabkommen spart die Schweiz jährlich 500 Millionen Franken an Exportzöllen. Die Schweiz ist auf dem besten Weg, zum europäischen Pionier des freien Handels zu werden. Das Abkommen mit den USA wäre für beide Seiten ein Gewinn. Die Idee hatte ursprünglich Christoph Blocher.

Von Peter Hossli

Martin Naville ist auf Mission. Bei jeder Gelegenheit redet der Chef der Swiss-American Chamber of Commerce nur über etwas – die Vorteile eines Freihandelsabkommens zwischen der Schweiz und den USA. Für die Schweiz würde nicht nur eine halbe Milliarde Franken an Zöllen entfallen. «Wir könnten unsere eigenständige Wirtschaftspolitik wahren», sagt er. «In enger, gleichberechtigter Partnerschaft mit Europa und den USA, den wichtigsten Wirtschaftsblöcken.»

Der Bundesrat hat letzte Woche beschlossen, Verhandlungen aufzunehmen. So wird Wirtschaftsminister Joseph Deiss schon im Juli nach Washington reisen und ein offizielles Begehren beim Büro des United States Trade Representative (USTR) stellen. Die Eile ist begründet: Der Vertrag müsste bis Juni 2007 unterzeichnet sein. Dann läuft ein befristetes US-Gesetz aus, das schnelle Verfahren zulässt. Der Wahlkampf 2008 und der darauf folgende Regierungswechsel dürften Handelsverträge jahrelang blockieren.

Es ist nicht die erste Idee aus der Schweiz, die Handelsschranken mit den USA abzubauen. 1996 schlug es der damalige Nationalrat und Unternehmer Christoph Blocher vor – allerdings zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Kritiker legten den Vorstoss als Ablenkungsmanöver von der Europa-Frage aus. Zusätzlich trübte die Debatte um die nachrichtenlosen Konten das Klima zwischen Bern und Washington. Der Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), Jean-Daniel Gerber, hat jetzt die Idee wieder belebt.

Für die Schweiz viele Vorteile – und nur wenige Nachteile

Für die USA ist die Schweiz ein willkommener Partner. Denn die USA distanzieren sich zunehmend von der Welthandelsorganisation WTO. Dem Wirtschaftsgiganten ist der Widerstand innerhalb der WTO zu lästig geworden. Bilaterale Abkommen sind besser kontrollierbar als multilaterale. So öffnen sich die USA auf allen Kontinenten Türen für den schikanenlosen Handel, nur nicht in Europa. Island und Norwegen kommen wegen hoher Fischerei- und Schiffsbau-Subventionen nicht in Frage. Mit der EU würden die komplizierten Verhandlungen zu lange dauern. Bleibt die Schweiz, ein Land, mit dem «die USA fast keine Probleme haben», wie Naville sagt. «Die Schweiz könnte der amerikanische Freihandelspionier in Europa werden.»

Die Schweiz hat nämlich trotz bescheidener geografischer Grösse einiges zu bieten. Sie gehört zu den wichtigsten zehn Geschäftspartnern der USA, ist der sechstwichtigste Investor in Amerika und die viertwichtigste Destination für amerikanische Direktinvestitionen. Letzteres, weil viele US-Firmen ihre europäischen Zentralen in der Schweiz haben. Schweizer Firmen wiederum beschäftigen rund 700 000 Personen in den USA.

Mit dem Abkommen würde die Schweizer Wirtschaft nicht nur Exportzölle in der Höhe von jährlich 500 Millionen Franken sparen. Die Liste der Vorteile ist lang: Umständliche Einfuhrbestimmungen würden wegfallen, die Vergabe von Visa wäre einfacher, und Etiketten würden einheitlicher. So dürfte Biokäse aus Luzern künftig in Wisconsin als «organic» bezeichnet werden. Weiter würden Marken einheitlich geschützt. Um Probleme rasch lösen zu können, gäbe es beim Seco ein Büro USA und in Washington ein Büro Schweiz.

Naville erwartet eine rasche Abwicklung. Zumal der ehemalige republikanische Parlamentarier Rob Portman als Handelsvertreter Bushs agiert. Portman, dessen Vorfahren aus Solothurn nach Ohio zogen, kennt die Schweiz. Zuletzt präsidierte er die Swiss-American Parliamentary Association. Er äussert sich aber noch nicht. Wie üblich warten die USA auf die Vorschläge des Vertragspartners. Da noch kein offizielles Begehren vorliegt, schweigt auch die Schweizer Botschaft in Washington. Informelle Gespräche haben aber stattgefunden. «Auf US-Seite gibt es keinen erkennbaren Widerstand», sagt Naville. «Es geht höchstens um die Priorität der Schweiz gegenüber anderen Kandidaten.»

Die Kehrseite der Medaille: In der Schweiz bangen die Bauern um ihre Subventionen. Die seien mit Blick auf die WTO ohnehin kaum haltbar, sagt Naville. Ausser Japan greift kein OECD-Land den Bauern so kräftig unter die Arme wie die Schweiz. Diese werden es also gegen die US-Lobby schwer haben. Gegen den freien Handel mit Amerika stellen sich in der Schweiz ebenfalls Europafreunde, die möglichst bald der EU beitreten möchten. Und antiamerikanische Kräfte sehen im geplanten Vertrag einen Deal mit dem Kriegstreiber.

All diese Gegner verweist Naville auf die Schweizer Handelsbilanz, die mit 10,7 Milliarden Franken im Plus steht. Davon kommen 8,5 Milliarden aus den USA. Naville: «Überschuss bedeutet Arbeitsplätze. Amerika schafft in der Schweiz Jobs.»

Die Finanzindustrie
«Wird das Bankgeheimnis zum Verhandlungsgegenstand, dann wäre das Freihandelsabkommen wahrscheinlich vom Tisch», sagt Martin Naville, Chef der Swiss-American Chamber of Commerce. Aber er bezweifelt, dass die USA auf eine Lockerung pochen werden. Der Bereich Finanzinformationen wurde bei einem ähnlichen Abkommen mit Singapur ausgeklammert, und in den USA gilt die Schweiz längst nicht mehr als Geldwäscherparadies. Umgekehrt unterstreicht die Schweiz, dass es nicht die Finanzindustrie sei, die das Abkommen initiiert habe, wie der Sprecher der Schweizer Bankiervereinigung, Thomas Sutter, sagt. «Wir sind nicht die grossen Profiteure.» Schweizer Banken hätten in den USA keinerlei Zutrittsprobleme zum Markt. «Wir unterstützen den freien Handel aber voll und ganz. Wenn die Schweizer Wirtschaft daraus Nutzen zieht, profitieren auch die Banken.»