Von Peter Hossli
Fünfunddreissig Jahre schon verfolgt Richard X. Bove das Geschehen an der Wall Street. So sicher wie jetzt war er sich selten. «Morgan Stanley wird verkauft werden», sagt der Analyst bei Punk, Ziegel & Company. «Das Theater dauert bereits viel zu lange. Abgesehen von einer Schwächung der Firma hat es überhaupt nichts bewirkt.»
Was Bove als «Theater» tituliert, ist ein seit Anfang März anhaltendes konfuses Trauerspiel um die Macht beim traditionellen New Yorker Finanzhaus. Ein Eingeständnis auch, dass die Fusion von Morgan Stanley mit Dean Witter im Jahr 1997 nicht die erhofften Gewinnsprünge brachte. Zwei unverträgliche Geschäftskulturen prallten aufeinander. Dem CEO gelang es nicht, die Nadelstreifenkultur Manhattans mit der Bodenständigkeit des Mittleren Westens zu verschmelzen.
Vehement versuchen deshalb acht ehemalige Morgan-Stanley-Manager Firmenchef Philip Purcell mit rüden öffentlichen Anschuldigungen aus dem Amt zu drängen. Seine jüngste Personalentscheide hatten zudem Abgänge prominenter und erfolgreicher Banker zur Folge, was den Druck auf den Chef zusätzlich erhöhte.
Purcell, als Jugendlicher ein passionierter Boxer, nimmt es gelassen. Er besitzt die Unterstützung des Verwaltungsrates – eine Körperschaft, die er seit seiner Amtseinsetzung 1997 mit ihm loyalen Personen besetzen konnte. Vier der elf Mitglieder sind ehemalige Dean-Witter-Leute, Freunde Purcells, die er dank geschickten Taktierens inthronisierte. Nur noch ein Mitglied stammt aus der Zeit vor der Fusion.
Zwar besitzen die Dissidenten ein lautes Megafon – täglich tröpfeln neue Details in die Finanzpresse –, ihre Macht ist aber bescheiden, besitzen sie doch bloss 1,1 Prozent der Aktien. «Sie werden nie in der Lage sein, eine Firma zu kontrollieren, die 800 Milliarden Dollar verwaltet», sagt Bove und fügt an: «Bisher haben die Angreifer nichts zustande gebracht und keinerlei Alternativen präsentiert.»
Wenig zu befürchten hat Purcell auch, weil laut Firmenstatuten 75 Prozent des Verwaltungsrates der Entlassung des Chefs zustimmen müssen. «Typisch amerikanisch» agiere das Morgan-Board, sagt Bove. «Er stützt das Management und kümmert sich nicht um den Nutzen der Aktionäre». Vornehmlich Leute, «die bloss Tantiemen kassieren und im Pensionsalter noch etwas zu tun haben wollen», sässen im «ausgesprochen ineffizienten Board» von Morgan Stanley.
Die festgefahrene Situation aufbrechen könnte nur ein baldiger Verkauf. Interesse bekundet hat bisher die britische HSBC. Bove hält auch American Express und General Electric für mögliche Käufer. «Strategisch am sinnvollsten wäre die Übernahme für die Bank of America», sagt Bove. Die Bank sei an Morgan Stanleys Kreditkartenfirma Discover Card interessiert. Zudem möchte sie zur grössten amerikanische Investmentbank wachsen. «Das gelingt ihr nur, wenn sie eine Firma von Morgan Stanleys Kaliber schluckt.»
Eine feindliche Übernahme schliesst Bove aus. «Management und Board werden den Verkauf selber initiieren.» Bereits sind Dutzende von Aktionärsklagen eingegangen. Zusammen mit dem Abgang der Top-Bankern höhle dies die Firma zu sehr aus. «Als Ausweg bleibt nur der Verkauf.»
Gescheitert wäre damit die Fusion des edlen Wall-Street-Hauses Morgan Stanley mit Dean Witter, einer Firma mit Sitz im Mittleren Westen, die billige Kreditkarten und günstige Brokerage-Dienste anbietet. An die Spitze des neuen Konzerns kam 1997 der damalige Dean-Witter-Chef Philip Purcell, heute 61. Ein Mann, weit ab von den Zigarrenschwaden der noblen Bankierswelt von New York. Er wuchs im konservativen Utah auf und hat bis heute seinen Wohnsitz in einem Vorort von Chicago nicht nach New York verlegt.
Durchwegs setzte er auf Dean-Witter-Personal. Morgan Stanley-Stars aber, etwa 2001 der einstige Präsident John Mack, drängte er raus. Vielen nahm er Macht und Einfluss. Purcells eigensinnige Personalpolitik hat ihren Preis. Seit dem Ausbruch des Konflikts haben zahlreiche Investmentbanker Morgan Stanley verlassen, darunter letzte Woche Joseph Parella, einer der bekanntesten und erfolgreichsten Wall-Street-Bankiers.
Gegangen sind jene, die das Geld verdienen. Der Morgan-Stanley-Flügel der Firma fährt nämlich nach wie vor den Grossteil der Gewinne, während der Dean-Witter-Arm stagniert. Das Sagen haben aber ehemalige Dean-Witter-Leute.
Der Konflikt drängt eine aktuelle Frage der amerikanischen Finanzbranche ins Rampenlicht: Sind Boutique-Banken, die wie Goldman Sachs oder Lehman Brothers weniger potente Kunden umsorgen, profitabler als Gemischtwarenkolosse, die von der Versicherung übers Sparheft bis hin zum Billig-Broker möglichst vielen Kunden alles anbieten. Morgan Stanley, einst eine Boutique-Bank und noch kein Supermarkt, liegt dazwischen – und steckt dementsprechend in einer Identitätskrise. «Der Verkauf brächte Klarheit», sagt Bove.
John Mack: Das Comeback?
Acht ehemalige Morgan-Stanley-Manager wollen CEO Philip Purcell stürzen. Alle waren von ihm raus geworfen worden oder wegen ihm gegangen. Das prominenteste Purcell-Opfer aber schweigt: John Mack, 2001 nach 29 Jahren bei Morgan Stanley mit einer Abfindung von 600 Millionen Dollar vom Präsidentensockel gestürzt. Der spätere Chef von Credit Suisse First Boston und zwischenzeitliche Ko-Chef der Credit Suisse Group arbeitet derzeit nicht. Unlängst schlug Mack Jobangebote beim Hypotheken-Broker Fannie Mae und bei Goldman Sachs aus. «Mack will unbedingt zu Morgan Stanley zurück», sagt Analyst Richard X. Bove. Mack, 60, war massgeblich beim Aufbau der Firma beteiligt und gilt noch heute als «Herz von Morgan Stanley», so das US-Magazin «Fortune». Das Schweigen hat Gerüchte beflügelt, der Bankier plane heimlich eine Rückkehr. Bewusst halte er sich vom Zwist fern – die Weste soll rein bleiben. «Mack geht weise vor», sagt Bove. «Schlösse er sich den Dissidenten an, verbaute er sich jegliche Chancen auf ein Comeback». Sollte, wie von Analysten prophezeit, Morgan Stanley aber verkauft werden, könne Mack auf den Chefposten aufspringen. Ein Makel bleibe Mack, sagt Bove. «Er ist bei Credit Suisse gescheitert.» Als Retter kann er sich daher nicht anpreisen. «Er muss auf einen Verkauf hoffen.»