«George Bush könnte ein historischer Präsident werden»

Die ehemalige aussenpolitische Beraterin von Bill Clinton spricht über die akutelle amerikanische Aussenpolitik.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

nancy_soderbergNancy Soderberg, Präsident Bush hat den scharfen Uno-Kritiker John Bolton zum neuen US-Botschafter an der Uno berufen. Eine Position, die einst Sie innen hatten. Will die USA künftig ohne Weltorganisation auszukommen?
Nancy Soderberg: Mit Bolton degradiert Bush den Uno-Posten zum Public-Relations-Job. Zwar will der Präsident in seiner zweiten Amtsperiode eine realistischere Aussenpolitik betreiben. Gleichzeitig beruhigt er mit der Bolton-Wahl die konservative Basis.

Wie realistisch sieht die neue Aussenpolitik denn aus?
Soderberg: Die Bush-Regierung fiel bisher ihrem eigenen Irrglauben zum Opfer. Dem, was ich als Supermacht-Mythos bezeichne. Bush glaubte, als einzige Supermacht könne er die Welt nach belieben verdrehen, vornehmlich mit militärischen Mitteln. Da uns dieses sehr teure Experiment unsicherer statt sicherer gemacht hat, kommt Bush nun langsam davon ab. Sein aussenpolitisches Team hat gemerkt, dass wir die Bürde der Supermacht nicht alleine tragen können. Wir brauchen solche, die uns folgen. Deshalb führt Bush Amerika zurück in die Position des Überzeugers, weg von derjenigen des Erzwingers.

Sie vertreten diese Thesen in Ihrem eben erschienenen Buch «The Superpower Myth». Erkennbar ist ein echter Wandel allerdings noch nicht.
Soderberg: Ich bin eine Optimistin. Natürlich könnte ich mich irren. Zu erkennen ist zumindest eine neue Rhetorik. Der Präsident spricht wieder von «French Fries», nicht mehr von «Freedom Fries». Somit deutet er sprachlich an, er wolle die Welt zusammen bringen, um die universellen Bedrohungen wie den Terrorismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu bekämpfen.

nancy_soderberg_peter_hossliReal hat sich bisher wenig geändert.
Soderberg: Die einzige Veränderung ist in der Iran-Politik auszumachen. Bisher was unser Auftreten gegen Iran sehr markig, was ich grundsätzlich begrüsse. Wir können uns ein Iran mit nuklearen Waffen nicht leisten. Da die transatlantischen Beziehungen aber angespannt sind, ist uns niemand gefolgt. Nun hat die Bush-Regierung gemerkt, dass man Iran etwas bieten muss, um das Land nuklearwaffenfrei zu halten. Eine ähnliche Entwicklung erwarte ich in Nordkorea.

Sie argumentieren, die Bush-Regierung ändere ihre Haltung, weil sie merke, wie wenig die Irak-Politik gebracht habe. Nun spriesst die Demokratie im Libanon und in Ägypten. Irak hat Wahlen durchgeführt. Der Nahe Osten ist vergleichsweise friedlich. Man mag Bushs Mittel ablehnen, das Resultat scheint ihm Recht zu geben. Liegen Sie demnach falsch?
Soderberg: Positive Entwicklung schreibt jeder US-Präsident stets sich selbst zu. Für die schlechten rügt er den Vorgänger. Der Israel-Palästina-Konflikt wirkt heute friedlicher, weil Jassir Arafat tot ist. Zuvor hatte die Bush-Regierung vier Jahre lang zugeschaut und nichts getan. Die Zedern-Revolution im Libanon begann, weil Syrien sich offenbar entschied, einen ehemaligen libanesischen Premierminister in die Luft zu sprengen. Nach 15 Jahren Bürgerkrieg zieht die libanesische Elite zurück nach Beirut. Sie nimmt die Zukunft selbst in die Hand und hat genug vom syrischen Joch.

Neokonservative Kräfte argumentieren, der demokratische Frühling im arabischen Raum sei direkt auf die US-Invasion in Irak zurück zuführen.
Soderberg: Davon halte ich gar nichts. Fragen Sie irgendeinen Libanesen und er wird Ihnen sagen, er wolle weder eine amerikanische Invasion noch eine Besatzung. Sie wollen das Gegenteil davon, nämlich ausländische Truppen so rasch wie möglich aus ihrem Land raus haben.

Der Anti-Amerikanismus in Europa ist weit verbreitet. Zudem prophezeien US-Intellektuelle, die USA wende sich von Europa ab und Asien zu. Zerbricht die transatlantische Achse?
Soderberg: Die Europäer müssen sich endlich von ihrer Urangst lösen, Amerika würde sie verlassen. Wir sind Partner. Wir werden zusammen bleiben. Unsere Herkunft und unsere wirtschaftlichen Interessen sind für eine Trennung zu stark miteinander verknüpft. Das bedeutet aber nicht, dass sowohl Europa wie auch Amerika alternative Partnerschaften ausprobieren werden.

Der Irakkrieg hat hunderte von Milliarden gekostet. Bisher sind über 1500 Amerikaner in Irak gestorben. Ausserdem haben die USA ihre Alliierten verärgert. Wo findet Amerika neue Freunde?
Soderberg: Die alten werden zurückkommen. Bush wird wie gesagt zu einer realistischen Aussenpolitik zurückkehren und die Leute werden sagen: «Wow! Okay, jetzt haben sie es begriffen!» Dann werden sie mit uns statt gegen uns vorgehen.

Trotzdem: Was bedeutet der Anti-Amerikanismus für Amerika?
Soderberg: Er erschwert Bushs Job dramatisch. Es bezahlt den hohen Preis für den Glauben an den Supermacht-Mythos. Wendet sich Bush jedoch davon ab, könnte seine zweite Amtsperiode sehr erfolgreich werden und sogar historische Ausmasse annehmen.

Das sagt ausgerechnet eine…
Soderberg: … Demokratin, absolut.

Was stimmt Sie so optimistisch?
Soderberg: Bush kann immer scheitern. Aber es besteht derzeit die grosse Möglichkeit, dass wir eine echte Uno-Reform durchbringen, dass wir je einen Deal mit Nordkorea und Iran hinkriegen, dass sich die arabischen Reformen verstärken und wir einem Frieden im Nahen Osten näher kommen. Das Aufbegehren im Libanon könnte nachhaltige Veränderungen in Syrien bringen, was wiederum den Konflikt mit Israel um die Golan Höhen beenden könnte. Bush hat historische Möglichkeiten. Er muss nur zugreifen.

Er braucht eine starke Figur im Aussenministerium. Ist Condoleezza Rice die richtige Person?
Soderberg: Als Sicherheitsberaterin war sie nicht sehr wirkungsvoll. Sie hat ihren Vorgänger Colin Powell oft abschätzig behandelt. Ausserdem hat sie etliche aussenpolitische Fehler begangen. Sie hat die Gefahr von Al Qaida nicht richtig beurteilt. Die Abwicklung des Irakkriegs war ausgesprochen fehlerhaft. Wir werden sehen, ob sie von diesen Fehlern lernen kann. Sie ist ja eine gescheite Frau.

Neo-Konservative Denker werfen Bush-Vorgänger Bill Clinton vor, seine auf Diplomatie setzende Aussenpolitik hätte wenig bewirkt. So hätte etwa 9/11 nicht verhindert werden können.
Soderberg: Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war Bush während 9/11 Präsident, nicht Clinton. Zudem bin ich davon überzeugt, dass wir geplante Millenniumsattacken im Jahr 1999 stoppen konnten. Bei der Amtsübergabe haben wir Bush ausdrücklich vor Al Qaida gewarnt. Sein Team hat die Warnungen nie ernst genommen.

Sie waren Bill Clintons aussenpolitische Beraterin. In wiefern unterscheidet sich seine von Bushs Aussenpolitik?
Soderberg: Präsident Clinton begreift, dass andere die Bürde der Supermacht mittragen müssen. Er weiss, dass militärische Gewalt nicht die erste Antwort sein kann. Clinton hat die amerikanische Macht umfassend eingesetzt, nicht nur die militärische Macht, sondern auch die ökonomische, moralische und politische.

Die USA ist fraglos die einzige militärische Supermacht. Ökonomisch holt China rasch auf. Peking und Tokio finanzieren derzeit das amerikanische Budget- wie das Handelsdefizit. Sollte sich das ändern, droht der wirtschaftliche Kollaps. Wie lange bleibt Amerika noch Supermacht?
Soderberg: Wir sind jetzt und werden in absehbarer Zukunft die einzige Supermacht der Welt sein, sicher noch während meinem Leben und einigen Generationen danach. Das bedeutet nicht, dass andere Länder zu uns nicht wirtschaftlich aufschliessen. Militärisch kann uns aber niemand das Wasser reichen.

Die USA geben weit mehr für Rüstung aus als alle anderen Länder, obwohl das Land hoch verschuldet ist. Wie lange kann sich Amerika das mächtige Militär noch leisten?
Soderberg: Sehr lange. Wir sitzen auf einem unglaublichen Reichtum und haben noch enorm viele unerschlossene Ressourcen.

In den Krieg wollen allerdings immer weniger Soldaten ziehen. Es melden sich derzeit weniger Freiwillige zum Dienst als nötig. Wann wird in den USA die Militärpflicht wieder eingeführt?
Soderberg: Wir brauchen sie nicht. Sobald sich die Situation im Irak beruhigt, melden sich die Leute wieder zum Dienst. Das Militär bietet nach wie vor glänzende Karrieremöglichkeiten.

Nancy Soderberg, 47, beriet 1992 Bill Clinton während des Wahlkampfs in aussenpolitischen Fragen. Nach dessen Sieg arbeitete die Politologin als Stellvertreterin des Sicherheitsberaters. Zwischen 1997 und 2001 vertrat sie die USA als Botschafterin an der Uno. Sie trieb in dieser Zeit den Friedensprozess in Nordirland massgeblich voran. Derzeit ist sie Vizepräsidentin der International Crisis Group, einer Organisation, die weltweit Konflikte zu schlichten versucht.