Totgesagte leben länger

Verrückte Zeiten in der «Welt AG»: Während Mercedes kriselt, ist Chrysler deutlich im Aufwind. Chrysler schreibt wieder schwarze Zahlen - und gewinnt Marktanteile. Ein deutscher Ingenieur hat den Autohersteller mit wagemutigen Modellen und rigoroser Kostenbremse saniert.

Von Peter Hossli

Der Rapper Snoop Dogg ist ein sehr langer, sehr dünner und sehr berühmter Mensch. Der 300C, eine eher kurze, aufgedunsene und letztes Jahr kaum bekannte Limousine von Chrysler, gefiel ihm ausgesprochen gut. Gleich rief er einen Autohändler in Los Angeles an. Es meldete sich der Telefonbeantworter. «If you want this car to blow, give it to me», sagte der 34-jährige Rapper. «Wenn dieses Auto zum heissen Stück werden soll, müsst ihr es mir geben.» Chrysler-Chef Dieter Zetsche reagierte prompt – und schenkte Snoop Dogg einen schwarzen 300C unter der Bedingung, dass das Auto im nächsten Musikvideo des Rappers auftrete.

Der Deal und das Video «Groupie Luv» bescherten dem 300C den Durchbruch und den Titel «Auto des Jahres». Chrysler galt plötzlich als innovativ. Der 300C festigte den Umschwung. Doch Zetsche wehrt sich. «Unser Erfolg basiert nicht auf einem einzigen Auto», sagte er, als er Mitte Februar Quartalszahlen präsentierte.

Er strahlte. Nach hohen Verlusten in den zurückliegenden Jahren schreibt Chrysler wieder schwarz, schon seit sechs Quartalen. Im letzten Quartal hat sich der Gewinn mehr als verdoppelt. Aufs ganze Jahr berechnet fuhr die Nummer 3 der US-Autohersteller ein Plus von 1,43 Milliarden Euro ein. Die Anzahl verkaufter Autos stieg 2004 um zwölf Prozent von 639 600 auf 718 000. Real zwar mickrig, im hart umkämpften US-Autogeschäft psychologisch aber sehr wichtig, konnte Chrysler den Marktanteil in den USA von 12,7 Prozent auf 13 Prozent vergrössern. Die Erzrivalen Ford und General Motors verloren hingegen Anteile.

Analysten schreiben dies grösstenteils Zetsche zu, einem charmanten Deutschen, dessen buschiger Schnauz auffällt, weil er scheinbar ziellos in alle Richtungen spriesst. Der Mann, der ihn so stolz trägt, tritt hingegen bescheiden auf und verliert sein Ziel nie aus den Augen: Er will – und muss – Chrysler sanieren.

Einfach wars – und ists – nicht. Jahrelang war Chrysler das Sorgenkind der Daimler-Chrysler AG. Die enormen Verluste schwächten den Aktienkurs des 1998 entstandenen deutsch-amerikanischen Kolosses. Die Aktionäre forderten lautstark das Ende der «Welt AG». Was einst als «Hochzeit im Himmel» begann, sollte möglichst bald mit einer Scheidung auf Erden enden.

Eine Flut neuer Modelle mit besserer Qualität

Doch die Ehedynamik beginnt zu greifen. Während bei Chrysler der Gewinn steigt, sackt er bei Mercedes-Benz ab, um 47 Prozent. Zetsche, im Mai 52, will noch mehr. «Wir haben vor, weiter zu wachsen und Marktanteile zu gewinnen», sagte der Chrysler-Chef letzten Monat in einem Konferenzgespräch. Schaffen will er das, wie er bereits den Umschwung hinkriegte – mit einer Reihe neuer und Aufsehen erregender Autos. Die Firma lancierte 2004 neun neue Fahrzeuge. Heuer sollen es immerhin mindestens fünf sein. Autos, fordert Zetsche, die anregen und Chrysler vom Blechkisten-Image befreien.

Das Vorbild ist besagter 300C, ein Auto, dem man nachschaut, wenn es vorbeifährt. Ein Wagen, an dem alles ein bisschen zu gross oder zu breit geraten scheint. Das Magazin «Time» beschrieb den 300C als «Gangsterwagen, gepaart mit einem Rolls-Royce». Tatsächlich liess sich der 34-jährige schwarze Designer Ralph Gilles von der Hip-Hop-Gangster-Rap-Kultur inspirieren. Rapper Snoop Dogg machte den Wagen zum Kultobjekt in der Hip-Hop-Szene. Ein Kolumnist verglich ihn mit Klassikern wie dem Käfer von VW oder dem Ford Mustang.

Das allein reichte nicht, um in die Gewinnzone zu kommen. Der promovierte Ingenieur Zetsche senkte die Kosten, indem er unrentable Fabriken schloss und Leute entliess, insgesamt 26 000 von 126 000 Angestellten. Gleichzeitig belebte er die Produktepalette und forderte höhere Qualitätsstandards. Wegen des kläglichen Rufs der Autos musste Chrysler kostspielige Garantien mit siebenjähriger Laufzeit gewähren.
Zetsche ist mehr als der knallharte Sanierer

Drückt Zetsche bei den Kosten auf die Bremse, gibt er bei den Einnahmen Gas. «Wir greifen mit Autos an», sagt er. Und meint: nicht mit Rabatten. Jahrelang haben Autoverkäufer ihre Kunden mit zinslosen Krediten gelockt. Eine Praxis, die den Käufern gefiel, dem Resultat unter dem Strich aber schadete. Zetsche stoppte sie. Nicht Billigangebote, sondern Qualität soll Kunden anlocken. Dass das geht, führt der Chef selbst vor. Zetsche hatte den auffälligen Spoiler des 300C durchgeboxt. Gegen den Willen seiner Ingenieure erwirkte er, dass bei den Minivans die Sitze der zweiten Reihe versorgt werden können. Diese Eigenschaft wurde zum Verkaufshit.

Die Initiativen des Chefs motivieren das Personal. Er führt die Firma nicht mit eiserner Faust, sondern mit Freundlichkeit. «Zetsche ist das Gegenteil von dem, was die Mitarbeiter erwartet haben», lobt David Cole, der Chef des Center for Automotive Research. «Er ist kein harter Aufräumer, sondern ein liebenswürdiger Kerl mit hervorragenden Führungsqualitäten, der wie ein Coach denkt und keine Probleme hat, Verantwortung zu delegieren.» So stellt sich Zetsche beim Firmenausflug schon mal an den Grill und brät Hamburger. «Du musst dich wie ein Mensch verhalten», erklärte Dieter Zetsche dem Magazin «Chef Executive» seinen Führungsstil. «Du musst die Leute respektieren.»

Bald ganz oben?
2008 läuft der Vertrag von Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp aus. Für das höchste Amt beim Industriekoloss mit 384 000 Angestellten und 184 Milliarden Dollar Umsatz gibt es zwei Anwärter: Eckhard Cordes, 54, derzeit Chef von Mercedes, und Chrysler-Chef Dieter Zetsche. Für Letzteren wäre es die Krönung jahrelanger Treue. Im Alter von 23 Jahren heuerte der Ingenieur bei Mercedes an. Er entwickelte Autos und Lastwagen, war später für den Konzern in Argentinien und Brasilien tätig. 1992 zog er in die USA, um den Lastwagenbauer Freightliner zu retten. Seit 1998 sitzt er im Vorstand von Daimler-Chrysler. Zetsche kam 2000 zu Chrysler und schaffte den Umschwung. Bis ins Jahr 2007 will er die Sanierung abgeschlossen haben. Sollte ihm das gelingen, wird er Schrempp wohl beerben. Es sei denn, die Konkurrenz schnappt sich ihn vorher.