Von Peter Hossli
Das neue Jahr begann in den USA so, wie das alte geendet hatte – mit Mega-Mergers. Zehn Tage vor Weihnachten übernahm die Mobiltelefonfirma Sprint den Konkurrenten Nextel für 35 Milliarden Dollar. Johnson & Johnson schnappte sich ebenfalls im Dezember für 25,4 Milliarden den Herzschrittmacher-Hersteller Guidant.
Der Verwaltungsrat der texanischen Telekommunikationsfirma SBC beendete gleich eine Ära. Er sprach 16 Milliarden Dollar für den Kauf von AT & T, einst Erfinderin des Telefons. Letzte Woche schuf Procter & Gamble mit dem Gillette-Kauf den grössten Anbieter von Konsumprodukten.
Die Übernahmemeldungen jagen sich. Am Montag gab das Finanzkonglomerat Metlife bekannt, es werde der Citigroup den Versicherer Travelers Life & Annuity für elf Milliarden Dollar abkaufen. Lee Enterprises, ein Regionalzeitungs-Vertreiber, schnappte sich für 1,46 Milliarden Dollar das Verlagshaus Pulitzer und kreierte den viertgrössten Zeitungsverleger Amerikas. Noch müssen die Deals von den Kartellbehörden bewilligt werden. An der Wallstreet spricht man aber bereits von einer klaren Trendwende. Sackte das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen 2001 regelrecht ein, erwarten die Analysten im laufenden Jahr Geschäfte im Wert von mindestens einer Billion Dollar, also 1000 Milliarden. Im vergangenen Jahr waren es noch 827 Milliarden gewesen.
Josh Kosman, Chef von Mergermarket, einer führenden Firma für Analysen von Fusionen, gibt sich noch zuversichtlicher. Er glaubt, heuer könnten noch mehr M & A abgewickelt werden als im Rekordjahr 2000. Damals, während der Dotcom-Bonanza, betrug deren Umfang 1,69 Billionen Dollar. Ging er Ende 2004 noch von einer Steigerung von 20 Prozent für 2005 aus, gedenkt Kosman seine Prognosen nun «nach oben» zu korrigieren.
Neben den Aktionären der aufgekauften Firmen profitieren vornehmlich die Finanzinstitute und Anwaltskanzleien, welche die Fusionen abwickeln. Ihnen winken Kommissionen in Milliardenhöhe. Beim P-&-G-Gillette-Deal teilen sich Merrill Lynch, Goldman Sachs und die UBS rund 75 Millionen Dollar. Morgan Stanley und Credit Suisse First Boston repräsentieren AT & T beim Verkauf an SBC. Hier beträgt die Gebühr schätzungsweise 21 Millionen Dollar.
Der SBC-AT-&-T-Deal mache strategisch durchaus Sinn, sagt Josh Kosman. Er sei richtungweisend. Nicht mehr der schieren Grösse wegen würden Firmen derzeit Unternehmen aufkaufen, sondern weil «die Deals echten Mehrwert erzeugen». Die Kauffreudigen seien weit vorsichtiger geworden – und sie zahlen weniger. Nicht mehr den Börsenwert plus 30 Prozent wie 1999, sondern höchstens noch 15 Prozent. «Vom 30-Prozent-Aufschlag sind wir weit entfernt», so Kosman. Aber, sagt er, «wir haben uns von dieser Baisse erholt». Es sei eine konservative Erholung. Da etliche der ganz grossen Deals in den letzten Jahren die Aktionäre teuer zu stehen gekommen waren, beispielsweise die Time-Warner-AOL-Fusion, seien Transaktionen im mittleren Bereich zu erwarten.
Der neue Boom werde von prall gefüllten Kassen vieler Firmen angetrieben. Sie hätten in den letzten Jahren Kosten gedrückt und mit Investitionen zugewartet. Überdies hätten neue Buchhaltungsregeln viele Fusionen gehemmt. «Jetzt sehen sich viele Firmen gezwungen, ihre Gewinne zu investieren.» Hinzu komme der Gruppendruck.
Fast alle Branchen stehen vor weiteren Fusionen
So dürfte der Deal zwischen SBC und AT & T die Übernahme der Telefonfirmen Sprint oder MCI nach sich ziehen. Dem P-&-G-Gillette-Deal könnte bei den Konsumgütern ein Kimberly-Clark-Colgate-Deal folgen, glaubt Kosman. In den Sektoren Biotechnologie und Pharma erwartet er ebenfalls Fusionen. So hält er einen Merger zwischen den Pharmafirmen Glaxo Smith Kline und Astra Zeneca für möglich. Nach Kosman dürfte darum auch der Medizinalgerätehersteller Boston Scientific einkaufen gehen. Das Kaufobjekt: St. Jude Medical. Zudem seien viele Medienunternehmen interessiert, Videogames-Verleger zu erwerben.
Die UBS steht im Januar an dritter Stelle der Dealmaker
Der Chef der weltweiten Merger-&-Acquisitions-Abteilung einer Grossbank wollte nur ohne Nennung des Namens reden. Er hält den Finanzbereich, das Gesundheitswesen und die Grossindustrie für die Sektoren mit der höchsten M-&-A-Rate. Gestärktes Vertrauen in die Wirtschaft sieht er als Triebkraft der Fusionen und Übernahmen. Auch die geopolitische Lage und die Wechselkurse würden als stabiler eingeschätzt. Wenn keiner der drei Parameter ins Negative dreht, so der Banker, «gibt es in den USA ein sehr aktives Jahr».
Trotz günstigem Dollarkurs gehen die Europäer in den USA nicht auf Einkaufstour, weil, sagt Kosman, «sie den amerikanischen Buchhaltungen nicht trauen». Der tiefe Dollar habe «für Europäer ein sehr attraktives Klima geschaffen, um US-Firmen zu kaufen», widerspricht der Banker, der anonym bleiben will. Ein grosser europäischer Deal reiche, um die M-&-A-Aktivitäten mächtig anzukurbeln.
Goldman Sachs, Merrill Lynch und die UBS sind besonders gut ins neue Jahr gestartet. Sie belegen im Januar 2005 die ersten Plätze der von Mergermarket erstellten Hitparade. Als «aggressivste M-&-A-Bank der Wallstreet» bezeichnet Kosman JP Morgan, gefolgt von UBS. «Wir sind zuversichtlich, dass wir weiterhin Marktanteile gewinnen werden», sagt der Co-Chef der weltweiten M-&-A-Abteilung der UBS, Rick Leaman, der «derzeit viel Schwungkraft im M-&-A-Markt» sieht. Die UBS hat bisher sechs Deals im Wert von rund 64 Milliarden Dollar abgewickelt. Die CS First Boston begann das neue Jahr mit acht Deals im Umfang von 24 Milliarden Dollar. Die CSFB wollte jedoch keine Stellung zum M-&-A-Geschäft beziehen.
Einer sahnt ab
Ob eine Fusion sinnvoll ist, stellt sich für die Aktionäre meist erst Jahre nach dem Deal heraus. Bei der Übernahme von Gillette durch Procter & Gamble steht der Gewinner bereits fest: Gillette-Konzernchef James Kilts, 56, wird um 153 Millionen Dollar reicher. Der Wert seiner Gillette-Aktien steigt gemäss «Wall Street Journal» um 111,6 Millionen Dollar. Hinzu kommen P&G-Aktien und -Optionen sowie ein ausserordentlicher Zahltag. Kilts bestreitet, er habe den Verkauf aus Gewinnsucht vorangetrieben. «Wäre Gillette unabhängig geblieben, hätte ich ebenfalls gut verdient», so Kilts in einem Interview. Der Verkauf diene dem langfristigen Wohl der Aktionäre und Angestellten. Die Abfindung basiere auf Kilts’ Leistung, verteidigt ihn der Finanzprofessor der University of Chicago, Steven Kaplan. Unter Kilts’ Führung verdoppelte sich seit 2001 der Wert der Gillette-Aktie.