Von Peter Hossli
Es war im Frühling 1965. Forsch schritt der schlaksige John Kerry von der Bibliothek der Yale University zur nächsten Vorlesung. Plötzlich spürte der Student eine sanfte Berührung auf der linken Schulter. Kerry begriff sofort. Er war auserkoren worden, der geheimnisumwitterten Studentenverbindung Skull and Bones beizutreten, dem ältesten und prestigereichsten der sieben Geheimclubs von Yale.
Zwei Jahre später, auf demselben Campus in New Haven in Connecticut, spürte George W. Bush dasselbe Schulterklopfen. Laut einem Gerücht holte ihn sein Vater, der damalige texanische Ölmagnat und Parlamentarier George H. W. Bush, in den Kult.
Nun kandidieren Kerry und Bush gegeneinander für den einflussreichsten Posten der Welt, was nicht überraschend ist. Skull and Bones gilt als Brutstätte der Mächtigen Amerikas.
Darauf angesprochen, geben sich Kerry wie Bush zugeknöpft. «Es ist ein Geheimnis», würgte Kerry unlängst den NBC-Interviewer Tim Russert ab. «Es ist so geheim, dass wir darüber nicht reden können», schnauzte Bush denselben TV-Journalisten an. Bonesmen reden nicht mit der Presse. Was über sie und ihren Kult bekannt ist, stammt grösstenteils aus einem Einbruch in deren Haus im 19. Jahrhundert. Überdies haben zwei Yale-Abgänger umfassende Nachforschungen angestellt: Alexandra Robbins in ihrem Buch «Secrets of the Tomb» und der Journalist Ron Rosenbaum in zahlreichen Artikeln. Sie zitieren anonyme Quellen.
«Skull and Bones» schürt Verschwörungstheorien
Wegen der dürftigen Faktenlage zirkulieren wilde Verschwörungstheorien, früher in einschlägigen Magazinen, heute online. So soll Skull and Bones der Mafia ähnlich den globalen Drogen- und Waffenhandel kontrollieren. Zuweilen wird der Kennedy-Mord dem Geheimbund zugeschrieben. Fest steht: Seit der Gründung im Jahr 1832 besetzen republikanische wie demokratische Skull-and-Bones-Mitglieder einflussreiche Regierungsposten und, etwas seltener, Chefsessel mächtiger US-Firmen.
Sie prägten die US-Aussenpolitik des 20. Jahrhunderts. Trieben die Entwicklung der Atombombe voran. Gestalteten die Besatzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie besetzten viele Botschafterposten in Moskau. Stellten etliche Verteidigungsminister. In den Sechzigerjahren heuerte die CIA deren Mitglieder an. Der von etlichen Bonesmen geplante Vietnamkrieg gilt als bisher grösster Missgriff des Kults.
Die Verbindung zählt nur 600 lebende Mitglieder. Insgesamt wurden erst 2580 Personen aufgenommen, bis 1991 ausschliesslich Männer. Jährlich erhalten nur fünfzehn Yale-Studenten den Schlag auf die Schulter. Sie bilden einen Jahrgang, eine verschworene Gruppe, die lebenslänglich aufeinander aufpasst. Langjährige Bonesman, Patriarchen genannt, wählen sie aus. Wobei nur besonders talentierte und smarte Studenten wie etwa John Kerry berücksichtigt werden. Oder solche, die aus einflussreichen Familien stammen, wie George W. Bush.
Der sagenumwobene Initiationsritus ist eine bizarre Mischung aus Beichte und Stillhalteabkommen. Die Frischlinge legen sich gemäss Überlieferungen in einen offenen Sarg, erzählen ihre gesamte sexuelle Vergangenheit und onanieren dabei. Einmal aufgenommen, treffen sich die Knochenmänner donnerstags und sonntags im Clubhaus, einem steinernen fensterlosen Gotikbau am Rande des Campus. Es heisst «the Tomb», die Gruft. Darin sollen die Gebeine des kriegerischen Apachen-Häuptlings Geronimo lagern und Teile von Hitlers Silberbesteck.
Die Knochenmänner trinken aus Totenköpfen, ringen nackt und spielen Boodleball, eine blutige Mischung aus Fussball und Eishockey. Alkohol ist verpönt. Studenten wie Patriarchen sollen nicht trinken, sondern debattieren und politisieren. Sie verehren die alten griechischen Redner und die mittelalterliche deutsche Todessymbolik. Letztere soll den Bonesmen die eigene Vergänglichkeit vor Augen führen.
Der Yale-Student William Russell hatte Skull and Bones gegründet – mit dem Vermögen, das sein Cousin mit Opiumschmuggel verdient hatte. Noch heute zehrt die Verbindung davon. Russell wollte von Beginn weg einen Elitebund schaffen, der alle Bereiche der Gesellschaft umfasst, und ein Netzwerk, auf das die verschwiegenen Mitglieder jederzeit zurückgreifen können.
Dass Logenbrüder Präsidenten werden, hat Tradition
Die eindrückliche Namensliste unterstreicht die Umsetzung von Russells Zielen. Schafft John Kerry den Sprung ins Weisse Haus, waren drei der letzten vier Präsidenten Logenbrüder: George H. W. Bush, sein Sohn George W. und Kerry. Bonesman William Howard Taft, US-Präsident zwischen 1909 und 1913, besetzte etliche Kabinettspositionen mit Geheimbündlern. Nach seiner Abwahl zog er sich auf einen Lehrstuhl zurück – bis er Vorsteher des obersten US-Gerichtshofs wurde. Bush hat nicht weniger als zehn Posten seiner Regierung an Bonesmen verteilt. Darunter den Chefposten der Börsenaufsicht SEC an William Donaldson.
Vater wie Grossvater des jetzigen Präsidenten sind Bonesmen. Bushs Karriere ist mit Skull and Bones eng verbunden. Als er 1977 seine erste Ölfirma gründete, erhielt er ein Darlehen von William Draper, einem Risikokapitalisten aus Kalifornien – und einem Bonesman.
Bonesmen investierten kräftig in den einzigen erfolgreichen Deal von Bush, den Kauf der Texas Rangers. Kaum im Amt, lud der Präsident elf der 14 Skull-and-Bones-Mitglieder seines Jahrgangs nach Camp David ein, der präsidialen Sommerresidenz.
John Kerry zählt den Verleger David Thorne und FedEx-Gründer Frederick Smith zu seinen besten Freunden. Beide traf er in der Gruft. Thorne stellte ihn seiner Schwester Julia vor, die Kerrys erste Frau wurde. 1995 heiratete Kerry Teresa Heinz, die Witwe des Ketchup-Erben John Heinz.
Sie mag ähnliche Männer. Heinz, ein US-Senator, war ein Knochenmann.