Im Dschungel der Grossstadt

Der republikanische Konvent und der Besuch von George Bush ärgern die New Yorker - und sorgen für hohe Kosten. Zu aufdringliche Kontrollen, Angst vor Terror und Anarchisten: Wenn Präsident Bush nächste Woche New York besucht, flüchten die Einwohner. Der republikanische Parteikonvent beschert der Stadt nicht die versprochenen Millionen

Von Peter Hossli

Die Absicht war so nobel wie gespickt mit politischem Kalkül. Kurz vor dem dritten Jahrestag der Terrorattacken vom 11. September würde die Republikanische Partei ihren Konvent in New York abhalten und George W. Bush feierlich für eine zweite Amtsperiode vorschlagen. Der geschundenen Stadt brächte der Parteitag dringend notwendige Tourismuseinnahmen, volle Hotels und gut besuchte Kaufhäuser. Die geografische Nähe zu Ground Zero unterstriche, wer den Krieg gegen den Terror losgetreten hat und noch immer führt: eben Bush.

Während der vier Sitzungstage würden bis zu 400 Millionen Dollar direkt in die Wirtschaft der Stadt fliessen, behauptete der Tourismusverband NYC & Company im Januar 2003. Hinzu käme für New York, was Parteitage traditionell bringen: Gratiswerbung in unschätzbarer Höhe.

Die New Yorker verlassen die Stadt in Scharen

Was einst für das aufgedonnerte, von 15 000 Journalisten begleitete und dennoch ereignislose Polittheater zutraf, ist in der Post-9/11-Welt nicht mehr wahr. Man reist nicht mehr zum Konvent, man flüchtet davor. Die NYC & Company warnt jetzt, es werde weniger Geld als geplant fliessen. Die bereits auf 265 Millionen Dollar korrigierte Zahl sei noch tiefer. Hotels melden leere Betten. Luxusgaststätten wie das «Four Seasons», das «Regency» oder das «Sheraton» senken die Preise. Restaurants haben freie Tische. Die Theater am Broadway? Die werden ihre Karten nicht los, wenn die Republikaner kommen.

Die zu erwartenden Bilder von randalierenden Protestlern dürften das Image New Yorks trüben. Die Touristen sollen «Orte weit weg vom Zentrum» besuchen, rät NYC-&-Company-Präsidentin Cristyne Nicholas. Lokalblätter geben den New Yorkern Tipps, wohin sie flüchten können. «Eine gute Woche, die Stadt zu verlassen», titelte «Newsday». New York wird zur Festung, beschützt von 37 000 Polizisten und einer nicht genannten Zahl von Agenten des Geheimdienstes. Das Sicherheitsdispositiv kostet 75 Millionen Dollar. Nie wurde ein Event in den USA teurer bewacht, angeblich vor Terroranschlägen. Mehrere Strassenzüge um den Madison Square Garden, den Schauplatz des Konvents, bleiben verbarrikadiert. Die Schranken passiert nur, wer einen offiziellen Pass trägt – rund 15 000 Journalisten und 5000 Delegierte. Etliche Geschäfte schliessen. Die Kunden kommen nicht mehr bis zu ihnen durch. Firmen beim Garden verordnen Zwangsurlaub.

Der Madison Square Garden liegt direkt über der Penn Station, dem wichtigsten Transithub New Yorks. Es droht der Verkehrskollaps, jeder Zug wird gestoppt und untersucht. Wer kann, arbeitet von zu Hause aus. Bleibt aber nur ein Bruchteil der vier Millionen Pendler daheim, sind die Umsatzausfälle weit höher als die Erträge der 40 000 Konventbesucher.

Was New York droht, widerfuhr Ende Juli Boston, wo die Demokraten John Kerry zum Kandidaten kürten. Statt der kalkulierten 150 Millionen Dollar flossen bloss 15 Millionen in die lokale Wirtschaft. Nur die Sicherheitsleute feierten den Konvent als Erfolg – nichts passierte. Für Geschäfte und Restaurants wars ein Flop. Nichts passierte. Ein Heer schwer bewaffneter Polizisten riegelte die Stadt ab, die Kunden blieben fern. Gespenstische Leere lag über der sonst lebhaften Stadt, insbesondere abends. Nach den Reden, die um 23 Uhr endeten, wurden die Delegierten aus Sicherheitsgründen sofort per Bus ins Hotel gekarrt. Statt sich mit Hummer zu verköstigen, verdrückten sie aufgewärmte Pizzas im Fleet Center, da es von dort aus zu umständlich und zu Zeit raubend war, Quartiere mit Restaurants aufzusuchen. Ähnlich ungünstig liegt der Madison Square Garden, mitten in einem unwirtlichen Quartier, ohne angenehme Verpflegungsstätten. Wie in Boston werden sich die Delegierten in den Hotels und im Hallenstadion verpflegen. Den Spaziergang durch die Stadt dürften sie meiden. Zumal die republikanischen Besucher ausserhalb der abgeschirmten Halle auf wenig Gegenliebe stossen. New York ist eine demokratische Stadt. Anarchistische Gruppen haben dazu aufgerufen, republikanische Delegierte auf der Strasse anzupöbeln. Seit Wochen flattern in Manhattan gebastelte Anti-Bush-Tücher vor den Fenstern. «Save America. Defeat Bush» heisst es auf einem Plakat in der 7th Avenue. Souvenirläden bieten T-Shirts mit politischen Botschaften feil.

Vergünstigte Hamburger für die Protestler

Besonders populär ist das mit Balken durchgestrichene W. Der 31. August gilt als «Tag des zivilen Ungehorsams». Anarchisten wollen die grössten illegalen Proteste durchführen, die Amerika je gesehen hat. Politisch könnte das vor allem den Republikanern nützen. Sie wollen alle Demos als von John Kerry gutgeheissene Aktionen darstellen.

Not macht bekanntlich erfinderisch. Weil etliche Hotels und Restaurants die magere Auslastung beklagt hatten, enthüllte Bürgermeister Michael Bloomberg letzte Woche seinen Notfallplan – er offeriert friedlichen Protestlern Rabatte. Eine halbe Million Menschen wollen in New York auf die Strasse. Für Bloomberg, bekanntlich ein Unternehmer, sind das eine halbe Million Konsumenten. Wer den Knopf mit dem Slogan «welcome peaceful political activists» – seid willkommen, friedliche politische Aktivisten – ansteckt, kommt billiger in Museen und kriegt den Hamburger mit Pommes vergünstigt.

Präsidentschaftswahlen: So gehts weiter

Am nächsten Donnerstagabend akzeptiert George W. Bush in New York die Nomination seiner Partei als Präsidentschaftskandidat. Er tritt gegen Senator John Kerry aus Massachusetts an. Gewählt wird am 2. November, einem Dienstag. Zuvor messen sich die beiden Kandidaten innerhalb von zwei Wochen in drei Fernsehdebatten: am 30. September in Florida, am 8. Oktober in St. Louis und am 13. Oktober in Tempe, Arizona. Am 5. Oktober treffen zusätzlich die Anwärter aufs Amt des Vizepräsidenten, Vize Dick Cheney und Senator John Edwards, in Cleveland, Ohio, aufeinander.