Eine sehr spezielle Dame

Zieht John Kerry ins Weisse Haus, erhält Amerika die bisher aussergewöhnlichste First Lady. Die Ketchup-Milliardärin Teresa Heinz Kerry ist gescheit, exotisch und unberechenbar.

Von Peter Hossli

Dienstagnacht, kurz vor halb elf. Fordernd blickt Teresa Heinz Kerry zum Regisseur des Parteitags. Bin ich endlich dran, scheint sie zu fragen. Nach kurzem Zögern tritt sie ans Rednerpult, ganz in Rot gekleidet, elegant geschminkt. Tosender Applaus und der Anblick tausender zitternder «We Love Teresa»-Fähnchen schlagen ihr entgegen. «Mein Name ist Teresa Heinz Kerry. Alle wissen mittlerweile, ich habe etwas zu sagen», ruft sie aus. Sie spricht von ihrer Jugend in Moçambique und verspricht, ihr Mann werde Amerika wieder auf den richtigen Weg führen.

Sie sagt es klug und herzlich. Aber langsam, nicht amerikanisch mitreissend, kaum zu überhören der südländische Akzent. Teresa Heinz Kerry, 65, ist die Kuriosität des diesjährigen Wahlkampfs. Europäisch sieht die zweite Ehefrau von John Kerry aus.

Sie kleidet sich schick und fällt anderen zuweilen so barsch ins Wort wie die feschen Frauen in Fellinis frühen Filmen. Sie wäre die erste First Lady, die in Afrika geboren ist. Im Weissen Haus will sie nicht einfach Staatschefs bewirten, sondern weiterhin ihr Vermögen für gute Zwecke einsetzen.

Einen unliebsamen Journalisten kanzelt sie am Tag vor der Rede ab, vor laufender Fernsehkamera. Erneut fragten die politischen Analysten, ob ihre Sonderbarkeiten John Kerry eher helfen oder schaden. Zumindest verleiht die Gattin dem als abgehoben geltenden Senator aus Massachusetts eine menschliche Seite. Wenn der Wind ihre wilde Haarmähne durcheinander wirbelt, wirkt das erfrischend neben dem stets perfekt gekämmten Schopf Kerrys. Wenn sie ihn küsst, blitzt echte Zuneigung auf.

Allerdings verstärkt Frau Heinz ein in den USA vielerorts negatives Stereotyp. Neben ihr scheint Kerry noch europäischer und noch weniger amerikanisch. Keine pausbackige Ehefrau aus Kansas steht neben ihm, sondern eine kantige Frau, die fünf Sprachen spricht, die Kontinente bereist und sich für Anliegen wie die Umwelt einsetzt.

Teresa Heinz – eine moderne, selbstbewusste Frau von Welt. Sie ist das pure Gegenteil der amtierenden First Lady, der stillen Bibliothekarin Laura Bush. Hier die moderne, selbstbewusste Frau von Welt – da die zurückgezogen lebende Landesmutter aus einem Kaff in Texas, die es nicht wagen würde, sich in die Politik ihres Mannes einzumischen. Teresa Heinz hingegen feuerte den Wahlkampfmanager, als die Kerry-Kampagne stockte.

Die Katholikin Maria Teresa Thierstein Simoes-Ferreira wuchs in der Hauptstadt von Moçambique auf. Ihr Vater war ein portugiesischer Arzt, der Terezinha, so ihr Kosename, oft auf Visite in die ärmsten Viertel mitnahm. Sie studierte in Südafrika und schloss sich der Antiapartheid-Bewegung an. An der Universität in Genf liess sie sich zur Übersetzerin ausbilden.

Dort traf sie John Heinz, den Erben des Ketchup-Imperiums. Der progressive republikanische Senator von Pennsylvania brachte sie nach Pittsburgh und weckte in ihr den amerikanischen Traum. Sie zog drei Söhne gross und leitete nebenher eine wohltätige Stiftung, geäufnet mit Ketchup-Geld.

Als ihr Gatte 1991 bei einem Flugzeugabsturz starb, verstärkte sie ihre Philanthropie. 1992 reiste Teresa Heinz an den Umweltgipfel nach Rio de Janeiro. Teil der amerikanischen Delegation war ein demokratischer Senator, den ihr Mann ihr einst vorgestellt hatte – John Kerry. Drei Jahre später heirateten sie.

Erst letztes Jahr fügte sie Kerrys Namen dem ihren bei und wechselte das Parteibuch. Während Kerry ihr Geld schätzt und gerne in ihren fünf Ferienhäusern Urlaub macht, demonstriert sie Unabhängigkeit. Oft fliegt sie im eigenen Flugzeug zu den Wahlkampfveranstaltungen. Steht sie bei einer Rede hinter ihm, wirkt sie gelangweilt.

Am Parteitag in Boston kommt das an. «Sie ist eine gescheite Frau», sagt Marilyn Riley, eine Delegierte, die von San Diego an die Ostküste gereist ist. «Sie wagt es, das zu tun, was sie will, und das zu sagen, was sie denkt.»

Plötzlich geht ein Raunen durch die Tribünen im Fleet Center, wo sich die Partei trifft. «Ist das Teresa?», fragt eine junge Frau. Offenbar. Hinter schalldichten Scheiben gibt sie dem Fernsehsender NBC ein Live-Interview. Spontan erheben sich dutzende von ihren Sitzen und winken der First Candidate zu. Sie winkt zurück, ebenso spontan. Im Hintergrund spielt die Band «Go Johnny Go», den Kampagnen-Song von John Kerry. Teresa und ihre Fans wippen zum Takt der Musik. «Teresa ist echt», sagt Riley, «deshalb wird sie als First Lady ankommen.»

Eleanor Roosevelt und Hillary Clinton sind ihre Vorbilder

Vorbilder hat sie bereits. Abigail Adams, Eleanor Roosevelt und Hillary Clinton nennt sie in einem Interview mit «Time» als jene First Ladies, nach denen sie sich richten würde. Es sind Frauen, die enormen Einfluss auf ihre Männer ausübten. Ihre Kontrahentin Laura Bush will sie nicht gut kennen. «Sie scheint die richtige Frau für ihren Mann zu sein», sagt sie sarkastisch.

First Lady und Möchtegern-First-Lady personifizieren das prägende Element des diesjährigen Wahlkampfes: das gespaltene Land. Die amtierende First Lady ist nach dreieinhalb Jahren im Weissen Haus noch immer eine devote Ehefrau ohne Eigenschaften. Teresa Heinz Kerry hingegen käme auch ohne ihren Mann gut zurecht.

Der Parteitag in Boston
Es gibt kaum einen freundlicheren Amerikaner als Jimmy Carter. Ständig lächelt der Ex-Präsident. Nicht an diesem Montagabend im Fleet Center in Boston. «Unsere Glaubwürdigkeit in der Welt ist zerstört worden», sagt der Friedensnobelpreisträger. Ohne ihn beim Namen zu nennen, weist Carter George W. Bush die Schuld zu. Die USA hätten ihre Vorbildfunktion verloren. «Wir können nicht führen, wenn unsere Führer uns in die Irre führen.» Bald sei er 80, sagt Carter. «Eine schlimmere Zeit habe ich noch nie erlebt.»

Ein Motto, das in allen Reden am demokratischen Parteitag in Boston widerhallt. Die seit dem Wahldebakel in Florida zerstrittene Partei zeigt sich so vereint wie nie zuvor, siegeswillig und sicher, Bush im Herbst schlagen zu können. Besonders deutlich zeigen die gefundene Harmonie die Auftritte von Bill Clinton und Al Gore. Der Ex-Präsident und sein Vize nannten einander Freunde und bewarfen sich mit Komplimenten. Vor vier Jahren mied Gore Clinton noch wegen der Lewinsky-Affäre. Das, sind sich die Delegierten in Boston einig, hat Gore die Präsidentschaft gekostet. Zumal Clinton als hervorragender Wahlkämpfer gilt. In Boston unterstrich er das mit einer ebenso brillanten wie effektiven Rede erneut. So unterstellte er Bush, nicht nur die Welt, sondern die USA zu spalten. Den Delegierten versprach er, als «Fusssoldat» in der Kampagne zu dienen und alles zu unternehmen, um John Kerry zum Sieg zu verhelfen. Eine unangenehme Vorstellung für Bush, der 1992 zusehen musste, wie sein Vater Clinton unterlag.