Von Peter Hossli
Traditionell gehört während des US-Wahlkampfs ein Tag dem Gegner. Führt der Präsidentschaftskandidat seinen Vize ein, so geht ein ungeschriebenes Gesetz, hüllt sich die andere Seite vornehm in Schweigen. Dem war heuer nicht so. Kaum hatte John Kerry John Edwards zur Wahl vorgeschlagen, schlug das Kampagnenteam von George Bush zu. Hämisch schaltete es Werbespots, in denen der republikanische Senator John McCain, der als Wunschkandidat Kerrys gegolten hat, den Präsidenten in höchsten Tönen lobt. Edwards, so die Aussage des Spots, sei bloss ein Ersatz von Kerry für McCain. Prompt erhielt die Bush-Werbung in den Abendnachrichten ebenso viel Aufmerksamkeit wie die Nominierung von Edwards. Statt ausschliesslich den Mitkandidaten zu preisen, musste Kerry sagen, warum McCain nicht mit ihm antritt.
Wenige Tage später hatte sich das Weisse Haus ebenfalls unbequemen Fragen nach dem Vize zu stellen. Die «New York Times» berichtete auf der Front, Bush werde den unpopulären Dick Cheney absetzen. Die Meldung ging um die Welt. Dabei hatte sich das Weltblatt einzig auf Gerüchte berufen – die das Kerry-Lager gestreut hatte.
All diese Taktiken werden in den so genannten War Rooms erdacht, den rund um die Uhr aktiven Kampagnenzentralen der Parteien. Bill Clinton hat sie 1992 eingeführt. Er signalisierte damals, was sich die Demokraten jahrelang verkniffen hatten – die Bereitschaft nämlich, den republikanischen Angriffen zu entgegnen und zurückzuschlagen.
Sowohl Bush wie Kerry beschäftigen in ihren War Rooms Heere aufgeweckter Studienabgänger. Die fischen allerlei Informationen aus Netzen und Archiven. Finden sie eine brisante Sache über den Gegner, geben sie es an die «spin masters» weiter. Diese hoch bezahlten Strategen drehen sie in die richtige Richtung und spielen sie dann den Journalisten zu. Diese machen daraus oft die Meldung des Tages, ohne selbst kritisch zu recherchieren.
48 Prozent für Bush, 48 Prozent für Kerry
Nicht mehr News oder Analysen, sondern aggressiver Spin dominiert demnach die Wahlberichterstattung. Äussert sich ein Kandidat zu einem aktuellen Thema, geben Nonstop-Newssender wie Fox oder CNN zwei Meinungsmachern unterschiedlicher Gesinnung gleich viel Redezeit. Die redaktionelle Stimme fällt meist weg. Statt Informationen zu vermitteln, werden damit bestehende Meinungen zementiert, sagt der Technomusiker und Politikaktivist Moby. «Wenn am US-Fernsehen jemand fünf Minuten lang die Wahrheit sagt, muss der Sender jemanden zeigen, der fünf Minuten lang lügt. Wir nennen das ausgeglichenen Journalismus.»
Ein Kolumnist in der «New York Times» nannte es einen «legalen Bandenkrieg». Jüngstes Opfer ist die Komödiantin Whoopi Goldberg. An einer Fundraising-Veranstaltung für Kerry gab sie unlängst vulgäre Wortspiele mit dem Nachnamen des Präsidenten und dem Vornamen des Vizes zum Besten. Im Gossen-Englisch bezeichnet man mit «bush» und «dick» weibliche und männliche Geschlechtsorgane.
Die Albereien Goldbergs, geraspelt an einer privaten Party, lösten einen Sturm der Entrüstung aus, orchestriert in Bushs Kommandostelle. Die darauf folgende Hetzkampagnen von Fox und der «New York Post», beides Produkte des Murdoch-Imperiums, zeigten Wirkung – Whoopi kriegte ihr Fett ab. Just kündigte der Nahrungsriese Unilever ihren Werbevertrag für den Schlankheitssaft Slim Fast.
Die aggressiver gewordenen Methoden reflektieren die gereizte Stimmung im Land. Amerika war bei so unterschiedlichen Fragen wie Schwulenehe oder Steuerkürzungen selten so gespalten wie jetzt. Gemäss dem Umfragespezialisten John Zogby steht seit Monaten fest, dass rund 48 Prozent sicher für Bush und die gleiche Anzahl Personen sicher für Kerry stimmen werden, egal, was passiert, egal, wer was sagt.
Bush hat demnach nicht erreicht, was er einst versprochen hatte. Sein Motto im Jahr 2000 hiess, das «Land zu einen, nicht zu teilen». Nach der knappen Wahl hatte man erwartet, der Präsident werde moderate Kräfte ins Kabinett berufen und in der Mitte politisieren. Stattdessen erleben die Vereinigten Staaten eine erzkonservative Zeit.
Konservative Republikaner tagen im liberalen New York
Der Rechtsrutsch verhärtete die Fronten und war Bush politisch dienlich. Trotz Flops steht seine Basis nämlich treu hinter ihm. Bush bleibt populär, obwohl die Wirtschaft nicht vom Fleck kommt und knapp 900 US-Soldaten im Irak-Krieg gestorben sind und obwohl sich der Kriegsgrund als Fabel erwiesen hat und die Welt nicht sicherer geworden ist. Seit Wochen liegt er in den Umfragen Kopf an Kopf mit Kerry. Bush-Wähler würden «die Lüge der Wahrheit vorziehen», begründet Moby das Phänomen.
Die Bush-Gegner beharren ebenso unverrückbar auf ihren Positionen. Blindlings folgen sie etwa dem Populisten Michael Moore. Dessen Film «Fahrenheit 9/11» hat bisher annähernd 100 Millionen Dollar eingespielt, ein absoluter Rekord für einen Dokumentarfilm.
Dabei beherrscht auch Moore vornehmlich die Kunst des Spins. Seine einst als Tagebuch gestartete Website hat er zum hyperaktiven War Room umgebaut. Dort nennt er seine Gegner «wacko attackos», wahnsinnige Angreifer. Kaum hatte sich der War Room Bushs auf die angeblich undichte Faktenlage in «Fahrenheit 9/11» eingeschossen, publizierte der Filmer wiederum seine Recherchen.
Moore verdeutlicht den tiefen Graben durch Amerika. Sein Film füllte die Kinos in liberalen Städten wie New York oder San Francisco. Dessen konservatives Pendant, der Jesusfilm «The Passion of the Christ», lief dort erfolgreich, wo die treusten Bush-Wähler leben – beispielsweise in Texas.
Was an der Kinokasse begann, dürfte auf den Strassen New Yorks in einen wüsten Showdown münden. Ausgerechnet in der liberalen Metropole küren die Republikaner Ende August Bush zum Kandidaten. Tausende von Anti-Bush-Gruppen wollen dagegen protestieren, einige friedlich, andere gewalttätig. Um die befürchteten Ausschreitungen im Zaum zu halten, mobilisiert die Stadt das grösste Polizeiaufgebot ihrer Geschichte.