Von Peter Hossli
Ferien und Feuerwerk federten den unangekündigten Schock etwas ab. Just vor dem amerikanischen Unabhängigkeitstag hatte das Arbeitsamt überraschend Negatives zu berichten. Statt der prognostizierten 250 000 neuen Stellen schufen US-Firmen und der Staat im Juni bloss Arbeitsplätze für 112 000 Personen. Zu wenig, um die neu ins Arbeitsleben getretenen Menschen zu beschäftigen, geschweige denn, die Arbeitslosenquote zu drücken. Der herbeigeredete Bush-Boom scheint bereits erlahmt.
Erwartet hatte das niemand. Im Gegenteil. Die US-Wirtschaft wachse wieder kräftig, sodass ihr erstmals seit vier Jahren eine Erhöhung der Leitzinsen zugemutet werden könne, verkündete Alan Greenspan. Der Notenbankchef hat deshalb Ende Juni das Geld um ein Viertelprozent verteuert. Der 78-Jährige will damit den meist auf Pump einkaufenden Amerikanern rechtzeitig die billigen Kredite abgewöhnen. Er beabsichtigt, die tiefsten Zinsen seit 46 Jahren behutsam auf ein durchschnittliches Niveau anzuheben, von einem auf vier Prozent.
Zu spät, mäkelt die «New York Times» in einem ungewohnt höhnisch verfassten Leitartikel. Es bestünde die «reale Gefahr», dass die USA von einer hohen Inflationsrate eingeholt würden. Hatte Greenspan die Inflationskurve jahrelang bravourös gedeutet, renne er ihr jetzt hinterher. Seien tiefe Zinsen als Antrieb während einer Rezession durchaus berechtigt, seien sie jetzt «nicht mehr kompatibel», so der Kommentar. Dem pflichten etliche Wallstreet-Ökonomen bei. Greenspan habe die Inflation aus den Augen verloren, sagt Henry Kaufman, Präsident der Investmentbank Kaufman & Co, «die Notenbank hat zu lange gezögert».
Deshalb geistert nun das Gespenst der Inflation herum. Der wegen der tiefen Zinsen anhaltend tiefe Dollar verteuert die Importe. Häuser und Grundstücke, vor allem aber Milch und Energie verzeichnen Rekordpreise. In den letzten drei Monaten stieg die Inflationsrate von 1,8 auf 3,3 Prozent. Die stark gestiegenen Preise dürften Greenspan zwingen, die Zinsen rascher als geplant anzuheben – bis im Januar könnte sich der Leitzinssatz verdoppeln, schätzen Ökonomen.
Zinserhöhung bereits im Mai angeregt
Dann droht zu platzen, was die Amerikaner zum Kaufen anregt – die Immobilienblase. Allein im letzten Jahr stieg der Wert ihrer Häuser um 7,3 Prozent. Derzeit seien sie zehn Prozent zu teuer, sagen Analysten – und beschuldigen indirekt Greenspan. Angekurbelt wurde die Nachfrage nämlich von tiefen Hypothekarzinsen. Schnellen die in die Höhe, brechen die Preise ein, was das Wachstum abrupt beenden würde.
Eine frühere Zinserhöhung hätte das abwenden können, glauben Mitglieder der Notenbank. Die Inflationsgefahr sei zu gross, als dass die Zinserhöhung weiter hinausgeschoben werden könnte, sagten Greenspans Kollegen bereits im Mai, wie aus einem nun veröffentlichten, verklausulierten Notenbank-Protokoll hervorgeht. Greenspan reagierte nicht. Es könnte sich ein Szenario wiederholen, das Präsident George W. Bush vertraut ist. Innert 13 Monaten musste Greenspan Ende der Achtzigerjahre die Leitzinsen um drei Prozent anheben. Das löste eine Rezession aus, was Bushs Vater die Wiederwahl kostete.
Bush junior wollte mit der Bestätigung von Greenspan auch seine Bestätigung im Amt sichern. Es ist am Präsidenten, den Notenbankchef nach Ablauf der vierjährigen Amtszeit zur Wiederwahl vorzuschlagen. Der Kongress ratifiziert den Antrag. Im August 1987 hatte Ronald Reagan Greenspan eingesetzt. Bush senior bestätigte ihn. Bill Clinton wollte ihn austauschen, was erst 1996 möglich gewesen wäre. Da der Kongress 1994 in republikanische Hände fiel, musste Clinton ihn aber erneut nominieren.
Geplant ist, dass Greenspan in zwei Jahren abtreten wird. Bereits jetzt werden mögliche Nachfolger diskutiert (siehe Box). Wer immer auch das Rennen machen wird, reich wird er dabei nicht. Gemessen an Macht und Prestige ist der Lohn der Fed-Präsidenten eigentlich ein Witz: Greenspans Jahresgehalt liegt derzeit bei 171 900 Dollar.
Wer kann Maestro Greenspan ersetzen?
Die Demokraten
Robert E. Rubin, 65
Wird John Kerry gewählt, hat der einstige Finanzminister von Bill Clinton die besten Chancen. Die nach ihm benannten Rubinomics – ein ausgeglichener Staatshaushalt stösst auf Goodwill der Finanzmärkte, zieht tiefe Zinsen nach sich und regt Konsum an – prägten die boomenden Neunzigerjahre. Derzeit sitzt Rubin im Exekutiv-Komitee der Citigroup.
Lawrence H. Summers, 50
Rubins Nachfolger als Finanzminister wechselte nach dem Ende der Clinton-Ära zum Think-Tank Brookings Institution. Seit 2001 ist er der Präsident der Harvard University. Er hat eng mit Rubin und Greenspan zusammengearbeitet. Summers gilt als brillant, aber aufbrausend. Für den Job des Notenbankchefs keine optimale Voraussetzung.
Die Republikaner
Martin S. Feldstein, 64
Kann Bush eine zweite Amtsperiode antreten, gilt der Ökonomieprofessor der Harvard University als Favorit. Er beriet Bush während dessen erster Wahlkampagne. Feldstein hat etliche Verwaltungsratsmandate inne, etwa bei Eli Lilly oder AIG. Er hat aber auch Feinde bei den Republikanern. Die Reagan-Anhänger haben ihm seine Kritik an dessen Defizitpolitik nie verziehen.
Robert G. Hubbard, 43
Wie Feldstein ist Hubbard ein ehemaliger Wirtschaftsberater von George W. Bush. Jüngst wurde er zum Direktor der Business School der Columbia University gekürt. Hubbard wird der Gesetzesentwurf für die in den USA umstrittene Kürzung der Steuern auf Kapitalgewinne zugeschrieben. Er ist ein Favorit der fiskalisch Konservativen, gilt aber nicht als erfahrener Geldpolitiker.