Der Kevin Costner der Wall Street

Was New Yorks Staatsanwalt Eliot Spitzer bei seinen zahlreichen Klagen antreibt. Eliot Spitzer will ein moderner Robin Hood sein. Unermüdlich kämpft der Staatsanwalt von New York für Entrechtete und nimmt die Wallstreet ins Visier. Ein Begegnung in Manhattan.

Von Peter Hossli

Eliot Spitzer geniesst den Liebesentzug der Mächtigen sichtlich. Aufrecht stellt sich der Staatsanwalt im Foreign Press Office ans Rednerpult. Die blauen Augen strahlen, der edle Anzug sitzt perfekt, die abstehenden Ohren leuchten rosa. Seine tiefe Stimme unterstreicht, was Spitzer der Journalistengruppe sagen will: Er ist selbst ein Mächtiger. «Jede grosse Firma der Welt ist in New York tätig», sagt er, «bricht sie Gesetze, bekommt sie es mit mir zu tun, egal, woher sie stammt.»

Denn überall blühe die Illegalität. «Sehr gefreut» habe ihn etwa der Skandal um den italienischen Milchriesen Parmalat. Das habe gezeigt, dass «Korruption kein amerikanisches Phänomen ist», sagt Spitzer. «Betrügereien zerstören weltweit das Vertrauen in die Märkte.»

Genau dieses will er wiederherstellen. «Alles was ich tue, tue ich, um das Vertrauen in die Märkte zu stärken», betont er. Das gelinge erst, wenn sich alle Marktteilnehmer fair verhalten, transparent sind und die Kontrollorgane weit reichende Befugnisse hätten. Dann will er, wie seine Kritiker sagen, die Märkte zu Tode regulieren? «Nicht doch, ich will einen möglichst vitalen Markt.»

Weltweite Anerkennung – und reichlich Hass

Rigoros setzt er sich dafür ein. «Es lohnt sich, aggressiv zu sein», umschreibt Spitzer seinen Stil, mit dem er seit seiner Wahl 1999 die Konzernchefs das Fürchten lehrt. Seine Macht ist fast uneingeschränkt, dank einem Gesetz von 1921. Die so genannte «Martin Act» erlaubt es ihm, die Rechtmässigkeit jedes Handels mit Wertpapieren im Staat New York zu überprüfen. Da Manhattan der mit Abstand grösste und wichtigste Börsenplatz der USA ist, hat keiner der 50 Staatsanwälte auch nur annähernd so viel Einfluss wie der 45-jährige Vater dreier Töchter.

Kaum gewählt, verklagte er Kraftwerke, Waffenhersteller und Pharmafirmen. Den bisher spektakulärsten Coup landete Spitzer vor einem Jahr mit einem Vergleich mit den zehn grössten Investmentbanken. Gemäss Spitzer hatten sie die Anleger unzureichend informiert. Die Banken zahlten 1,4 Milliarden Dollar. Zudem trennten sie Analyse- und Investment-Abteilungen.

Der Vergleich trug ihm weltweit Anerkennung ein – und reichlich Hass. Den «zerstörerischsten Politiker Amerikas» nennt ihn die konservative «National Review» – auf dem Titelbild. Spitzer, so das Magazin, sei der «Ankläger des Teufels». Es kümmert ihn nicht. Er sonnt sich im Erfolg, strotzend vor Selbstbewusstsein. «Wir werden gewinnen», beschreibt er beispielsweise seine Klage gegen den ehemaligen New Yorker Börsenchef Dick Grasso.

Jahrelang hatten Fundsfirmen behauptet, bei ihnen laufe alles blütenrein. Das machte Spitzer hellhörig. Mittlerweile untersucht er die ganze Industrie, die er als «im Kern eine Sauerei» beschreibt. «Alle, die ständig wiederholen, wie rein sie seien, sind oft besonders schmutzig.» Abgesehen habe er es auf die Fundsfirmen, weil sie «das Reservoir des amerikanischen Kapitals» halten, das Geld der Kleinanleger. Für sie hat er bereits einen beachtlichen Brocken eingetrieben – 2,4 Milliarden Dollar, schätzt Spitzer.

Weit weniger, ein paar Millionen nur, hat er jenen Firmen abgeknöpft, die Immigranten ausnützen. «Dieser Erfolg ist mir emotional am wichtigsten», sagt Spitzer, der seine Herkunft nicht vergisst. Mausarm wanderten seine Grosseltern einst aus Österreich nach Amerika ein. Spitzer sieht sich als neuen Robin Hood. Mit «Kevin Costner» beantwortete er unlängst die Frage, welcher Schauspieler ihn im Kino darstellen sollte. Costner verkörperte einst Eliot Ness, jenen FBI-Agenten, der in den Dreissigerjahren Al Capone überführt hatte.

Ein Posten in Kerrys Schattenkabinett

Wie Ness sieht sich Spitzer als David im Kampf gegen Goliath. Gerade 600 Anwälte arbeiten für ihn. Das Dossier Wallstreet wird von 15 Juristen betreut. Ein Klacks, angesichts der Riesenkanzleien mit über 1000 Anwälten, gegen die Spitzer antritt.

In Washington mangle es an «echter Führung», sagt Spitzer, ein scharfer Kritiker von George W. Bush. Im Wahlkampf hilft er John Kerry. «Spitzer setzt den Standard für unser Land», lobte der Präsidentschaftskandidat den Juristen. Spitzer soll bereits in Kerrys Schattenkabinett sitzen, womöglich als Justizminister. Klappt das nicht, will er im Jahr 2006 Gouverneur von New York werden. Darauf angesprochen, wird Spitzer vage. «Ich will meine Rückhand verbessern», beschreibt der passionierte Tennisspieler seine Zukunftspläne.

Box: Im Visier Spitzers
Anfang 2003 beginnen Untersuchungen gegen die Hedge-Funds-Industrie. Hedge Funds würden bewusst negative Informationen verbreiten. Überdies hätten Funds-Manager Grosskunden nach Börsenschluss handeln lassen – als börsenrelevante Nachrichten bekannt waren. Von den verdächtigten Firmen hat sich der Chef von Canary Capital Partners, Edward Stern, als Erster bereit erklärt, 40 Millionen Dollar zu zahlen.

Im Mai 2003 ringt Spitzer zehn Investmentbanken in einem aussergerichtlichen Vergleich 1,4 Milliarden Dollar ab. Der Vorwurf: Falsche Analysen für ahnungslose Anleger. Betroffen sind auch die US-Töchter von UBS und CS. Mit 400 Millionen Dollar am meisten zahlen muss die Citigroup.

Kohlekraftwerke im Mittleren Westen und im Nordosten der USA seien verantwortlich für den Smog und den sauren Regen in New York City. Ausserdem würden sie den Wäldern New Yorks schwere Schäden zufügen. Im September 2003 reicht Spitzer eine Klage gegen die US-Regierung ein. Die Energiepolitik von George W. Bush begünstige Dreckschleudern.

Im April leitet Spitzer eine Voruntersuchung gegen Versicherungsbroker ein. Sie sollen Kunden nicht die lukrativsten Offerten unterbreiten, sondern Policen mit den höchsten Kommissionen verkaufen. Betroffen ist auch die Firma von Ex-UBS-Chef Mathis Cabiallavetta, Marsh & McLennan.

Im Mai dieses Jahres wird Dick Grasso, Ex-Chef der New York Stock Exchange, eingeklagt. Der VR der Börse zahlte Grasso 185 Millionen Dollar – danach musste er abtreten. Grasso soll 100 Millionen Dollar zurückzahlen. Das Lohnpaket sei «unangebracht», «illegal» und gefälscht.

Pharmafirmen sollen angeblich die Zulassung billiger Generika verhindern. Spitzer verklagt zusätzlich Glaxo Smith Kline. Sie soll bewusst negative Forschungsergebnisse eines Kinder-Antidepressivums unter Verschluss gehalten haben.