Moby – «Die Lüge wird vorgezogen»

Der New-Yorker Techno-Musiker und Politaktivist Moby über die US-Regierung, die Schwierigkeiten von Bush-Herausforderer John Kerry, seinen Glauben und die Wichtigkeit von Geld.

Von Peter Hossli (Text) und Charly Kurz (Fotos)

Moby, Sie haben bereits vor einem Jahr mit John Kerry auf der Bühne gejammt. Was taugt der demokratische Präsidentschaftskandidat als Musiker?
Moby: Senator Kerry ist am ehesten in der Lage, den Demokraten das Weisse Haus zurückzuerobern. Musikalisch ist er, ehrlich gesagt, nicht grossartig.

Kerry ist mit der Gitarre nicht so gut wie Bill Clinton mit dem Saxophon?
Moby: Clinton konnte Saxophon spielen, ein guter Musiker war aber auch er nicht.

Dafür konnte Clinton wie kein anderer Wähler mobilisieren und die Basis vereinen. Kerry ist dazu zu hölzern.
Moby: Kerry vereint die Basis, weil er Bush dort angreifen kann, wo es für den Präsidenten gefährlich ist: Bei der nationalen Sicherheit. Kerry ist ein dekorierter Vietnamveteran, der sehr viel Erfahrung in der Aussenpolitik hat. Die demokratische Basis wählt derzeit jeden, der Bush aus dem Amt jagt.

Sie selbst reiten auf der «Alles andere als Bush»-Welle. Eine solche Plattform scheint reichlich dünn, um zusätzliche Wähler an die Urnen zu bringen. Die braucht es aber, um Bush zu schlagen.
Moby: Nichts mobilisiert mehr Leute als «Alles andere als Bush». Kerry, den ich sehr gut kenne, ist zwar weniger charismatisch als Clinton. Er ist aufrichtig und intelligent, genau das will Amerika. Wir sind zu lange angelogen worden.

Sie gehören zu den wenigen Personen im amerikanischen Showbusiness, die lautstark gegen Bush anreden und Kerry unterstützen. Warum tun Sie das?
Moby: Es geht mir um die Zukunft unseres Landes und der Welt.

Sie beschreiben die jetzige Regierung in einem Interview als «radikal und gefährlich». Neutrale Beobachter halten Bush für so hintertrieben wie Richard Nixon. Gleichwohl regt sich in den USA kaum Widerstand, im Gegensatz zur Zeit als Nixon regierte. Auf den Strassen brannten damals Autos, an jeder Universität wurde demonstriert. Warum jetzt nicht?
Moby: In den sechziger Jahren war die Welt sehr einfach. Es gab zwei Themen: Den Vietnamkrieg und den Konflikt zwischen den Generationen. «Wir gegen unsere Väter», hiess die Devise. Nixon stand für die Generation der Väter. Es protestierten alle, weil alle dieselbe Musik hörten, dieselben Drogen nahmen und gegen denselben Krieg kämpften.

Heute vereint Präsident Bush ebenfalls reichlich Hass auf sich. Es ist viel ruhiger. Warum?
Moby: Die Welt ist heute komplizierter als der Konflikt zwischen den Generationen. Die Kultur ist komplizierter. Es gibt 300 Fernsehkanäle. Es gibt Fotos, die Bush mit einer ZZ-Top-Mütze zeigen. Nixon hätte das nie getan.

Gegen Nixon war einst die ganze kulturelle Elite angetreten. Ausser Ihnen, die eher unbekannte Schauspielerin Janeane Garofalo und der Komiker Al Franken schweigen Amerikas Prominente.
Moby: Musiker schweigen, weil die populäre Musik am Boden liegt. In den sechziger und siebziger Jahren gehörten die Plattenlabel Einzelpersonen, die Musiker mit Grips förderten. In den letzten zehn Jahren wurden die Label von grossen Unternehmen aufgekauft. Die Stars von damals – Hendrix, Dylan, Crosby Stills Nash and Young – waren populär, weil sie etwas zu sagen hatten. Britney Spears und Beyoncé erhalten Plattenverträge, weil sie den Bilanzen der Firmen gut tun, nicht weil sie Denkerinnen wären.

Sie organisieren Konzerte gegen Bush, haben einen Werbefilmwettbewerb gegen den Präsidenten durchgeführt, auf Ihrer Website schreiben Sie täglich über das Unvermögen des Präsidenten. Warum mögen Sie Bush nicht?
Moby: Wo soll ich denn anfangen?

Keine Liste bitte.
Moby: Generell ist es die Aufgabe des Präsidenten, relativ ehrenhaft und ehrlich zu sein. Man muss ihm Respekt zollen können. Diese primäre präsidiale Anforderung erfüllt Bush nicht.

Das macht ihn noch nicht zum Radikalen.
Moby: Als New Yorker ärgert mich besonders, dass seine ignorante und arrogante Aussenpolitik Terrorismus schürt.

Bush sagt, er bekämpfe den Terrorismus.
Moby: Der Krieg gegen Irak hat ein weltweites Klima erzeugt, in dem Terrorismus gedeihen kann. Vor dem Krieg gab es in Irak keine internationalen Terroristen. Jetzt gibt es dort hunderttausende von Terroristen. Es beleidigt mich zutiefst, dass Bush 100 Milliarden Dollar ausgegeben und damit mehr Terroristen kreiert hat als es zuvor gab.

Sie mögen Recht haben. Nur sind Sie und andere Bush-Gegner in den USA nicht in der Lage, diese Botschaft verständlich zu kommunizieren. Wohingegen die Bush-Regierung den Krieg gegen den Terror bestens als Erfolg verkauft. Was unternehmen Sie?
Moby: Die Liberalen Amerikas haben ein grosses Problem: Sie glauben, die Leute wollen die Wahrheit hören. Es wissen doch alle, selbst die Republikaner, dass der Krieg unter einem falschen Vorwand geführt worden ist. Es will niemand akzeptieren, dass er angelogen worden ist. Deshalb wird die Lüge der Wahrheit vorgezogen.

Wenn Bush fünfzig Mal sagt, der Irak stelle eine Gefahr dar, glauben es alle. Was tun Sie dagegen?
Moby: Vor sechs Monaten hätte ich gesagt, ich sage die Wahrheit über die Bush-Regierung, dann wird sie sofort abgewählt.

Danach sieht es derzeit nicht aus. Bush ist in allen Umfragen vor Kerry.
Moby: Vor drei Jahren hat sich die Hälfte der Amerikaner entschieden, Bush zu glauben. Für sie ist alles, was jemand gegen Bush sagt, eine Lüge. Der Terrorismusexperte Richard Clarke ist das perfekte Beispiel. Es gibt niemand, der Terrorismusabwehr besser versteht als Clarke. Jetzt sagt er, die Bush-Regierung hat in diesem Punkt versagt. Allein diese Aussage hätte das Ende der Bush-Regierung sein sollen. Statt dem Spezialisten zu glauben, vertrauen alle Bush, der einst ein Baseball-Team geführt hat.

Warum ist das so?
Moby: 50 Prozent der Amerikaner wurde das Hirn gewaschen. Die USA teilt sich in zwei Lager auf. Man ist Mitglied des Kults oder man ist es nicht. Wer nicht dabei ist, dem wird nicht zugehört.

Was tun sie bis im November?
Moby: Ich komme mir vor wie in «Lord of the Rings». Es gibt das böse Reich und wir sind die Lumpenarmee, die versucht, dagegen anzukämpfen. Dabei sind wir alle schon ein bisschen müde.

Aha, Sie sind bereits müde. Sie gehören einer Generation an, die sich für etwas begeistern kann, aber dann nicht durchhält. Haben Sie schon aufgegeben?
Moby: Es gibt drei Dinge, für die ich Bush sehr dankbar bin. Er hat, erstens, sehr viele Fehler gemacht. Zweitens ist er nicht sehr smart. Drittens sind er und seine Truppe sehr arrogant. Die Arroganz holt sie aber ein.

Was tun sie konkret?
Moby: Wahlkampf ist wie Krieg. Man muss die Truppen mobilisieren, das tut die demokratische Partei und Organisationen wie Moveon.org. Zudem versuchen wir, die Unentschlossenen von uns zu überzeugen. Im Weitern müssen wir den Feind ablenken. Das tut die Bush-Regierung derzeit für uns. Der Feind kann Dich nicht angreifen, wenn er ständig damit beschäftig ist, Feuer im eigenen Garten zu löschen. Die Rechten würden nichts lieber tun, als einfach ihre Kampagne zu führen. Stattdessen sind sie mit Skandalen konfrontiert.

Dennoch bleibt Bush populär.
Moby: Eigentlich hätte Clarke die Regierung aus dem Amt werfen sollen. Es braucht wohl noch weitere Leute, die aussagen. Insgeheim wünsche ich mir, dass Colin Powell aufsteht und sagt: «Ich kann nicht mehr lügen.» Das wäre Bushs Ende.

In den USA tobt ein Kulturkrieg gegen das vermeintlich Obszöne. Kritische Stars – etwa die Dixie Chicks – geraten massiv unter Druck. Haben Sie selbst Angst?
Moby: Die Leute in den republikanischen Staaten kaufen meine Platten ohnehin nicht. Mir ist es egal, ob die mich boykottieren. Allerdings verstehe ich die Sorge der Dixie Chicks schon. Deren Fans sind teilweise auch Bush-Wähler. Ich lebe in New York. Das ist ein anderes Land, das mit dem Rest der USA nichts zu tun hat. Wenn Bush im November gewinnt, kommt es aber bestimmt zu Attacken gegen Leute wie mich.

Was tun Sie, wenn er gewinnt?
Moby: Ich kaufe Aktien von Tabakfirmen und bleibe hier. Die USA hat Nixon überlebt und 12 Jahre Reagan-Bush. Wir werden auch das überleben.
Auf ihren Nacken haben sie ein Kreuz tätowiert. Sie sind ein christlicher Musiker. Wie keine andere Gruppe treibt die christliche Rechte Bushs Politik voran. Wie vereinen Sie das?

Moby: Was die christliche Rechte in den USA will, hat nichts mit dem zu tun, was Christus uns lehrt. Die christliche Rechte ist eine kulturelle Bewegung ohne theologische Verankerung. Christus hat nie über Homosexualität gesprochen, er hat nie über Familienwerte gesprochen. Er war ein Pazifist.

Die christliche Rechte glaubt, dass Bush die Christen in einem heiligen Krieg gegen den Islam führt.
Moby: Was besonders Angst macht: Bush glaubt das ebenfalls. Er und die christliche Rechte sind Fanatiker, die nichts mit der Lehre Christi gemein haben.

Sie sprechen eine deutliche Sprache, ihre Musik ist apolitisch. Warum?
Moby: Ich habe einst versucht, politische Musik zu schreiben. Es war ein Desaster. Danach habe ich mich damit abgefunden, dass meine Musik nichts mit meiner Politik zu tun hat.

Ihre beiden grössten Erfolge – «Play» und «18» – entstanden vor 9/11. Die Wirtschaft florierte, die Welt war friedlich. Woran arbeiten Sie jetzt?
Moby: Mein nächstes Album wird eine Disco-CD. Gewinnt Kerry, feiern wir damit. Verliert er, wird sie uns trösten.

Spielen Sie an Kerrys Amtseinführung?
Moby: Das ist mein grösster Wunsch. Ich mag ihn und seine Familie sehr.

Realistisch betrachtet sind seine Chancen gering.
Moby: Es gibt etliche Variablen. Wie viele Richard Clarkes gibt es noch? Wie entwickelt sich die Wirtschaft? Findet Bush bin Laden? Gibt es eine weitere Attacke in den USA? Das Kerry-Lager ist auf alles vorbereitet. Die grosse Variable ist, wen Kerry zum Vizepräsidentschaftskandidat macht.

Wen wünschen Sie sich denn?
Moby: Den Republikaner John McCain. Ich habe mit Kerrys Team schon letzten Sommer darüber gesprochen. Sie finden die Idee interessant. Die beiden Senatoren mögen einander.

McCain soll Bush hassen.
Moby: McCain wurde im Jahr 2000 von Bush-Berater Karl Rove zerstört. McCains Tochter ist eine Freundin von mir, sie erzählte mir, wie sehr ihn das verletzt habe. Danach war er ein gebrochener Mann. Die Frage lautet nun: Will McCain zurückschlagen?

Was ist auf ihrem iPod?
Moby: Die Musik, an der ich gerade arbeite.

Laden sie Songs vom Internet?
Moby: Es stört mich nicht, wenn die Leute Musik illegal aus dem Netz holen. Ich tue es nicht, weil ich nicht weiss, wie das geht.
Sie wuchsen sehr arm auf. «Play» hat sich 10 Millionen Mal verkauft. Sie wurden reich.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Moby: Ich lebe seit zehn Jahren in derselben Wohnung. Geld bedeutet, dass ich auswärts essen und meine Freunde einladen kann. Ich kann komisches und lustiges Zeugs tun. Ich kann mich um Leute kümmern. Meine ganze Familie ist arm. Jetzt wissen alle, wenn sie ein gesundheitliches Problem haben, verlieren sie ihr Haus nicht. Ich bin jetzt der Pate, der Patriarch der Familie.