Von Peter Hossli
Monatelang bangte die demokratische Partei, ein beliebter Ex-Präsident würde ihrem Hoffnungsträger die Show stehlen. Kaum lägen Bill Clintons Memoiren am 22. Juni in den amerikanischen Buchläden, würden die Medien über nichts anderes berichten. In den Schatten Clintons geriete Senator John Kerry, im Herbst Präsidentschaftskandidat und dringend angewiesen auf Sendezeit. Clinton entwarnte, er werde Kerry helfen.
Nun steht aber ausgerechnet Clinton im Schatten eines noch beliebteren Ex-Präsidenten. Im wahrlich ungünstigsten Moment für ihn starb Ronald Reagan, zwei Tage nachdem Clinton eine ausgefeilte PR-Strategie für sein selbstbewusst «My Life» betiteltes Buch losgetreten hatte. Am Donnerstag vor einer Woche sprach Clinton vor 2000 Buchhändlern an der Buchmesse von Chicago. Die Rede gefiel, war klassisch clintonesque, charmant und eloquent. Das Buch, waren die Branchenleute einig, werde zum Muss-Lesestoff des Sommers. Rasch würde es den Rekordvorschuss für den zu Bertelsmann gehörenden Verlag Alfred A. Knopf einbringen. Dann starb Ronald Reagan, Amerika stand still. Die noch lebenden Präsidenten schrumpften arg.
Buchhändler haben grosse Erwartungen an das Werk
Von den Seiten der Internetbuchhändler Amazon.com oder Barnesandnoble.com strahlte der Cowboy-Optimismus Reagans. Angeboten wurden nun dessen Bücher. Clinton verschwand. Dasselbe in den Schaufenstern der New Yorker Buchläden. Zwischenzeitlich stoppte Clintons Verlag die PR-Bemühungen gänzlich, wie eine Knopf-Sprecherin auf Anfrage bestätigt. «Aus Respekt vor Präsident Reagan redeten wir letzte Woche nicht übers Buch.»
Eine Sprecherin von Amerikas grösster Buchhandelskette, Barnes & Noble, entwarnt. Reagans Tod werde Clintons Buchverkauf nicht beeinflussen, sagt Christine Tzen. Barnes & Noble hätte bereits «tausende von Vorbestellungen». Tatsächlich hievten die Vorabeinkäufe «My Life» auf Platz eins der Bestsellerlisten. «Wir haben sehr grosse Erwartungen für «My Life».»
Ebenfalls optimistisch gibt sich die Chefredaktorin von «Publishers Weekly», Nora Rawlinson. «Das Buch wird das erfolgreichste Buch für Erwachsene seit zehn Jahren werden», sagt Rawlinson, die glaubt: «Reagan spricht andere Leser an als Clinton.»
Was Clinton hofft. «My Life» ist ein Buch der Superlative, knapp tausend Seiten dick, davon 32 Seiten mit Fotos. Es kostet offiziell 35 Dollar, ist bei Discountern aber für 21 Dollar zu haben. Die Erstauflage umfasst 1,5 Millionen Exemplare. Kostenpunkt allein für den Druck: 3,4 Millionen Dollar, für ein Sachbuch ein Rekord. Im Vergleich zum letzten «Harry Potter»-Buch fällt die Zahl bescheiden aus. 6,8 Millionen Stück wurden davon für die erste Auflage gedruckt. «Über 10 Millionen Dollar» liege das Autorengehalt, legt der Verlag offen. Schätzungen gehen von 12 Millionen Dollar aus, ebenfalls ein Rekord für einen Sachbuchvorschuss.
Eingefädelt hatte den Deal Robert Barnett, ein Staranwalt in Washington, der nebenher als Buchagent auftritt und etwa den Watergate-Enthüller Bob Woodward vertritt. Zusammen mit dem Verlag orchestriert Barnett die vertraglich genau festgelegte PR-Kampagne. Im Mittelpunkt steht Clinton als Buchverkäufer, der in den letzten Monaten sichtlich abmagerte. Noch mehr Läden als seine Gattin will er besuchen. Senatorin Hillary Rodham Clinton ging im letzten Jahr in 39 Geschäfte, um ihre Memoiren «Living History» zu bewerben. Tausende von Buchhändlern bewarben sich bei Knopf um den Besuch von Bill Clinton.
Auf allen Kanälen und hunderten von Radiostationen
Letzten Montag liess sich Clinton im Weissen Haus ablichten – das offizielle Porträt, ein schlichtes Ölgemälde, wurde enthüllt. Am Sonntag, dem 20. Juni, zwei Tage vor dem Erscheinungstag, stellt sich der Autor erstmals Journalistenfragen. Er gewährt dem TV-Doyen Dan Rather in der CBS-Sendung «60 Minutes» ein Interview. Pikant: Auf «60 Minutes» sprach Clinton 1992, mitten im Wahlkampf und an der Seite von Hillary, erstmals über eheliche Untreue. Diese Offenheit hatte ihm Goodwill bei den Wählern eingetragen. Am Erscheinungstag tritt Clinton in der Hausfrauensendung von Oprah Winfrey auf. Es folgen Gespräche mit CNN-Talker Larry King. Clinton stellt sich zudem direkt dem Volk. Am 25. Juni beantwortet er auf über hundert Radiostationen von CBS live Hörerfragen. Ebenfalls am Radio sind seit dieser Woche Ausschnitte der Hörbuchversion von «My Life» zu hören, gelesen vom Ex-Präsidenten selbst.
«Langweilig und eigennützig» seien die meisten Präsidenten-Memoiren, witzelte Clinton in Chicago. «Ich hoffe, mein Buch ist interessant und eigennützig.» Über das Thema, weshalb die meisten Leser das Buch kaufen dürften, liess er nichts verlauten: die Affäre mit Monica Lewinsky. Für den Erfolg des Buchs werde das entscheidend sein, sagt US-Kulturkritiker Jonathan Stein. «Das Buch verkauft sich nur dann gut, wenn er eine gute Geschichte über Lewinsky zu erzählen hat.»
Das wird kaum der Fall sein. Clinton schrieb das Buch nicht zuletzt, um seine Präsidentschaft endlich auf ein Niveau oberhalb der Seifenoper zu heben.
Die Hilfe des Profis
Bill Clinton verzichtete auf einen Ghostwriter, liess sich aber von einem renommierten Lektor betreuen: Robert Gottlieb, Ex-Chefredaktor des Wochenmagazins «The New Yorker». Gottlieb hatte die preisgekrönten Memoiren der legendären «Washington Post»-Verlegerin Katherine Graham ediert. Er riet Clinton, das Buch zweizuteilen. Die erste Hälfte handle von seinem Leben, gab Clinton preis, «und wie eng mein Leben mit Amerikas Geschichte verbunden ist». Es folge ein «Tagebuch der Präsidentschaft». Das Buch ende mit Reflexionen über die Welt nach dem 11. September.