Von Peter Hossli
Der Krieg im Irak hätte zum Sockel der so genannt neokonservativen Bewegung werden sollen. Ein Paradebeispiel dafür, wie eine Theorie in reale Politik umgebogen wird. Es gelte die Einzigartigkeit Amerikas zu wahren – diesem verwegenen Grundsatz verschrieb sich in den Neunzigerjahren eine Gruppe konservativer Denker. Sie gründeten den Think-Tank «Project for the New American Century», nannten sich Neokonservative und hatten mit dem Wochenmagazin «The Weekly Standard» ein populäres Sprachrohr.
Als George W. Bush ins Weisse Haus einzog, hatten sie noch mehr: einen Präsidenten, der ihnen zuhörte und sich mit Neo-Cons umgab. So hatten der heutige Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, sein Chef Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney 1997 ein Grundsatzpapier unterschrieben, dessen Präambel die Neo-Con-Ideologie zusammenfasst: «Wir müssen Verantwortung übernehmen für die einzigartige Stellung Amerikas und für eine Weltordnung, die unserer Sicherheit, unseren Prinzipien und unserem Wohlstand dienlich ist.»
Die USA würden die Welt unilateral dominieren, die Genfer Konvention ignorieren und auch mal einen Angriffskrieg lancieren. Das Netz der US-Militärbasen müsse verdichtet werden, Abrüstungsverträge seien zu kündigen, und das Weltall habe militärisch kontrolliert zu werden. Die «terroristischen Regime» in Irak, Iran, Syrien oder Nordkorea müssten weg. All das sei mit riesigen Militärbudgets zu erreichen und – mit einem «katastrophalen Ereignis», so stand es in einem Neo-Con-Papier von 1998. Ein solches könne das traditionell isolationistische Land von einer aggressiveren Aussenpolitik überzeugen.
Den Krieg gewonnen und die Besetzung jetzt verloren?
Das Ereignis kam am 11. September 2001. Einer der Chefdenker der Neo-Cons, Wolfowitz, sah seine Chance, die Theorie umzusetzen. Er drängte Bush noch während des Afghanistan-Krieges zum neokonservativen Feldzug: dem Angriffskrieg gegen den Irak mit einer kleinen, aber technisch hoch gerüsteten Armee.
Der Krieg wurde rasch gewonnen, die Besetzung geriet dagegen zum Desaster. Es erwies sich als Trugschluss, mit einer Miniarmee ein geschundenes Land kontrollieren zu können. Seit Anfang April, als vier US-Söldner im Irak brutal umgebracht worden sind, und seit dem Folterskandal gilt die neokonservative Idee als Hirngespinst, das den USA einen enormen Imageschaden beschert. Was politische Denker jeder Couleur vor Jahresfrist noch ehrfurchtsvoll gedeutet haben, kanzelt der «Economist» jetzt als einen «neokonservativen Kurzerfolg» ab, der «dem Ende zugeht». Der Glaube an den «Optimismus und die moralische Klarheit», den Bush in den neokonservativen Ideen sei weg. Selbst traditionell Konservative haben erkannt: Es ist schwieriger, in der realen Welt Frieden und Demokratie in den Nahen Osten zu tragen, als in klimatisierten Denkfabriken. «Es muss zu einem Niedergang der Neokonservativen kommen», folgert daraus der frühere Schweizer US-Botschafter und profunde Amerika-Kenner Alfred Defago, der an der University of Wisconsin unterrichtet. «Das Scheitern des Irakfeldzugs – eines neokonservativen Lehrstück – ist offenkundig. Die Prämisse des Kriegs war falsch. Das bringt den Neokonservativen enorme Legitimationsprobleme.» Was zwangsläufig deren Einfluss mindere. In konservativen Kreisen sei offenkundig geworden, dass nicht nur eine schlechte Planung, sondern eine klare Fehleinschätzung der Lage schuld am Desaster im Irak sei, sagt Defago, der gute Kontakte zur US-Elite pflegt.
Defago erwartet eine Rückkehr konservativer Realisten in die Einflusssphäre. Ideologische Vorbilder seien Pragmatiker wie der ehemalige Aussenminister Henry Kissinger oder Brent Scowcroft, Sicherheitsberater unter George Bush senior. Selbst Cheney und Rumsfeld, glaubt Defago, wollten eine sanfte Rückkehr des konservativen Realismus. Defago erkennt gar einen «Streit innerhalb Amerikas Konservativen», ein Verhalten, das sonst eher den zahlreichen Flügeln der Liberalen angelastet wird.
Die Neoliberalen und die liberale Presse schämen sich
Die «Stunde der Neokonservativen ist abgelaufen», sagt etwa der traditionelle und populistische Konservative Pat Buchanan. Der erfolglose republikanische Präsidentschaftskandidat setzt sich für einen sofortigen Rückzug der USA aus dem Irak ein. Freiheitlich-konservative Denkfabriken wie das Cato Institute kritisieren die Einschränkung der Bürgerrechte. Fiskalisch Konservative verabscheuen die Erhöhung der Staatsausgaben unter Bush. Die US-Zeitungen, allen voran die «New York Times», schämen sich öffentlich, blindlings auf Neo-Con-Einflüsterer wie den desavouierten Exil-Iraker Ahmed Chalabi gehört zu haben.
Mit den Neo-Cons zieht der ehemalige Marinegeneral und einstige Commander in Chief im Nahen Osten, Anthony Zinni, am schärfsten ins Gericht. Die «Fauteuilgeneräle» hätten den Irak-Krieg mit fabrizierten, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Geheimdienstinformationen vorangetrieben, sagte er in einem TV-Interview. Sie hätten zumindest nachlässig und verantwortungslos gehandelt, schreibt Zinni im neuen Buch «Battle Ready». Im schlimmsten Fall seien sie in Lügen verwickelt, inkompetent und in die Nähe der Korruption geraten. Ein vernichtendes Urteil aus konservativer Ecke über die Neo-Cons, die vor kurzem noch als Träger der letzten Weisheit galten.