«Es ist eine Revolution»

Das «Wall Street Journal» schrumpft die internationale Ausgaben auf Tabloid-Grösse und integriert sie mit dem Internet. Das sei revolutionär, sagt ein renommierter Zeitungsentwickler und prophezeit einen Umbruch der amerikanischen Zeitungslandschaft.

Von Peter Hossli

Der Tag dauert 24 Stunden. Irgendwo auf der Welt passiert immer etwas, das sofort vermeldet werden muss.

Diesem Grundsatz der Nonstop-Nachrichtensender scheint sich neuerdings Dow Jones zu verschreiben, das Verlagshaus des «Wall Street Journal». Anfang Woche vermeldete der Konzern, ab Herbst ihre europäische und asiatische Ausgabe im Tabloid-Format herauszugeben. Dadurch hofft der Verlag, jährlich 17 Millionen Dollar zu sparen.

Strategisch wichtiger: Die internationalen Ausgaben, produziert in Brüssel und Hongkong, werden dann im Packet mit «Wall Street Journal Online» verkauft, der kostenpflichtigen Internet-Ausgabe der Zeitung. Zudem solls eine klare redaktionelle Integration der Produkte geben: Das Web ergänzt die Zeitung. Die Zeitung ergänzt das Web.

Das «richtige zum richtigen Zeitpunkt» mache das «Wall Street Journal», sagt Zeitungsentwickler Mario Garcia. Über 450 Zeitungen und Magazine hat er entwickelt oder neu gestaltet, darunter «Die Zeit», «Vanity Fair» oder «The Observer». Zum einen würden die Leser wie die Werber Tabloide mögen, sagt Garcia. Gelingen könnte dem «Journal» zum anderen, worüber US-Zeitungsverleger seit Jahren klagen: «Sie holen die 25 – 40-Jährigen zur Zeitung zurück.» Die von Garcia als «iPod- und Internet-Generation» bezeichnete Altersgruppe sei sich vom Bildschirm her das kleinere Format gewohnt. «Ein Tabloid erinnert ans Online-Erlebnis.»

Mit der Integration von Zeitung und Internet ziele das «Wall Street Journal» überdies auf jene Leser ab, die auf den Nonstop-Nachrichten-Zyklus angewiesen seien. «Es wird die erste global ausgerichtet Zeitung überhaupt sein, die den gesamten Markt erobern will, mit einer Kombination aus Internet und Druckerzeugnis», sagt Garcia.

Er glaubt, diese Strategie könnte die beiden Blätter in die Gewinnzone bringen. Zumal die Kombination nicht nur das Redaktionelle, sondern auch die Anzeigenkunden betreffen. Die werden künftig zu vorteilhaften Konditionen Inserate in den internationalen wie der Online-Ausgaben schalten. Mit über 700’000 Abonnenten ist «WSJ-Online» die grösste bezahlte News-Site im Internet.

Neue Impulse sind dringend nötig. Die 1983 gegründete europäische Ausgabe des «Wall Street Journal» stagniert bei 86000 Exemplaren, die 1976 gestartete asiatische Version verzeichnet eine Auflage von 81000. Bei beiden sind im ersten Quartal des laufenden Jahres die Werbeeinnahmen eingebrochen, in Europa um 20,6 Prozent, in Asien um fast 8 Prozent. Ebenfalls 8 Prozent verlor das in New York publizierte Mutterblatt. Dessen Auflage schrumpfte um ein Prozent.

Auffangen soll den Inseratenschwund zusätzlich eine Wochenendeausgabe. Ebenfalls ab kommenden Herbst erscheint das bisher fünfmal wöchentlich erscheinende «Wall Street Journal» in den USA zusätzlich am Samstag, mit vornehmlich leichteren Themen.
War das Tabloid-Format in den USA bisher den Boulevardzeitungen und jüngst den Gratiszeitungen vorbehalten, löse das «Wall Street Journal» eine Flutwelle aus, «die lässt sich nicht mehr stoppen», sagt Garcia. «Mehr Renommierblätter werden auf Tabloid umstellen», sagt er. «Sie nutzen das Internet, um dem Nonstop-News-Zyklus Rechnung zu tragen.»

Retten würde das Tabloid die in jüngster Zeit darbende US-Zeitungsindustrie aber nicht. «Nicht die Verpackung, die Inhalte führen zum Erfolg.» So reiche es nicht, bereits Bekanntes neu aufzuarbeiten. «Wer aber gute und originale Inhalte hat und diese auf kleiner Fläche präsentiert, der gewinnt.»