Lou Reed – «Western Macho-Scheiss Zeugs»

Lou Reed gehört zu den wenigen Musikern, die sich öffentlich gegen US-Präsident George W. Bush aussprechen. Der Rockstar über den Traum, selber Präsident zu werden, über Schwulen-Ehen, das Rauchverbot in New York und den richtigen Rock 'n' Roll.

Von Peter Hossli

Mister Reed, auf dem eben erschienen Live-Album «Animal Serenade» ist Ihr längst vergessener Song «The Day John Kennedy Was Shot» zu hören. Warum haben Sie ihn gerade jetzt ausgegraben?
Lou Reed: Wegen Bush. Der Song handelt von einem Präsidenten, der wirklich bewundert worden war. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Was wäre passiert, wäre Kennedy nicht erschossen worden?
Reed: Oh come on, es gibt Leute, die darüber Bücher schreiben. Fragen Sie die.

Sie singen, Sie träumten davon, US-Präsident zu sein. Was würden Sie tun, sässen Sie im Weissen Haus?
Reed: Ich wäre nie im Irak einmarschiert. Wäre ich Präsident, würde ich alles daran setzen, dass wir da wieder weg gehen. Wir haben dort nichts zu suchen. Das wissen doch alle. Nur einer weiss es nicht, Bush

Warum ist er nach wie vor so beliebt?
Reed: Die Hälfte der Amerikaner mag ihn. Das Land ist seit jeher zweigeteilt. Amerika wurde von Rebellen gegründet, die sich gegen Autoritäten auflehnten. Dann kamen die Puritaner. Von Beginn weg gab es in den USA 50 Prozent Rebellen und 50 Prozent Puritaner. Das hat sich bis heute nicht geändert. Deshalb wechseln sich liberale und konservative Präsidenten dauernd ab.

Dann sind Sie wie viele Zyniker der Meinung, es mache keinen Unterschied, wen man wählt?
Reed: Oh boy, der Unterschied ist enorm. Es ist mir egal, ob ein lokaler Hundefänger oder dieser Stuhl hier gegen Bush antritt: wir müssen ihn um jeden Preis schlagen. Er muss verdammt noch mal weg.

Was stört Sie denn an ihm?
Reed: Es sieht so aus, als ob er die Welt in die Luft jagen wird.

Sie gehören zu den wenigen Musikern, die sich in aller Deutlichkeit gegen den Krieg ausgesprochen haben. Unlängst sprachen Sie sich in New York öffentlich gegen Bush aus. Was versteht denn ein Musiker von Politik?
Reed: Es gibt professionelle Leute, die das alles studieren, ich weiss nicht alles, und ich habe nicht alle Informationen, das gebe ich ja zu. Aber: Wir haben keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Ist Saddam ein guter Typ? Nein, er ist furchtbar. Geht es der Welt besser ohne ihn im Irak? Ich glaube das nicht. Im Irak herrscht ein grosses Chaos.

Was schlagen Sie vor?
Reed: Zuerst sollten wir unsere Fehler eingestehen. Dann sollten wir zu den guten alten Tagen zurückkehren als wir Saddam gesponsert hatten. Wir sollten ihn freilassen und ihm sagen: du bist wieder auf unserer Seite, geh zurück in den Irak und schaue für Ordnung.

Warum reden Sie darüber?
Reed: John Lennon hat mal gesagt, wer von der Presse interviewt wird, sollte diese Möglichkeit auch nutzen. Da ich interviewt werde, rede ich darüber. Ich bin ein Bürger. Ein Bürger hat ein Recht auf seine Meinung. Wir müssen da raus – und die richtigen Terroristen jagen.

Das scheint schwierig.
Reed: Ich kann nicht glauben, dass sie Osama noch nicht haben. Die wollen uns weismachen, dass man einen 1,90 Meter langen Kerl mit einer Nierenmaschine nicht finden kann? Das ist doch ein Witz.

Wer gewinnt im November die Wahlen?
Reed: Die Republikaner. Sie sind vereint, die Liberalen kämpfen gegen einander.

Ihre Liedtexte handeln zuweilen von Sadomasochismus, Schwulen, Drag Queens oder Drogen. Währenddessen tobt in den USA ein Kulturkrieg um homosexuelle Ehen.
Reed: Ich lebe in New York, und das hat nichts mit den USA zu tun. Verdammt noch mal, was kümmert die Rechten denn das? Sie ermorden weltweit Menschen und lenken die Leute mit dem Argument ab, schwule Ehen stellen eine Bedrohung dar. Für was? Die Institution der Ehe? That’s so full of shit.

Haben Sie das Gefühl, auf dem Mars zu leben.
Reed: Jeder soziale Fortschritt, den wir erreicht haben, wird umgedreht. Warum? Wegen Bush und seinem gesamten Western-Macho-Scheissdreck-Zeugs. Dabei hat er nicht mal die Wahlen gewonnen.

Dem Rock ‘n’ Roll geht es nicht allzu gut. Die Leute hören Britney Spears, nicht mehr Lou Reed.
Reed: Popmusik gab es schon immer. Allerdings merke ich, dass die Leute genug haben von seichter Musik. Sie wollen wieder richtigen Rock ‘n’ Roll hören.

Denn gibt es kaum noch.
Reed: Er kommt zurück. Ein Freund schickte mir unlängst Musik von Smug, wow. Sie können nicht sagen, es gebe keine guten Rock fln’ Roll. Hören Sie sich Missy Elliot an, holy shit, das ist grossartig. Wie kann sie so viel Bass reinkriegen, ohne die Speaker zu zerstören? Wenn das nicht Rock fln’ Roll ist, holy shit. Es gibt ja nicht nur Britney Spears, es gibt auch Madonna. Man darf nicht immer über Britney spotten. Sie singt für die Kids. Für uns Alte gibt es den Hardcore – und der war ohnehin nie am Radio zu hören.

Mit «Welcome Mr. Waldheim» haben Sie einen Song über Antisemitismus geschrieben. Sie haben Ihre Österreich-Tournee abgesagt, nachdem Jörg Haider in die Regierung kam…
Reed: … Sie haben sich vorbereitet? Das ist ja eine freudige Überraschung. Am Tag, an dem ich von Haider erfuhr, habe ich die Tour abgesagt.

Nun wird Mel Gibson Antisemitismus vorgeworfen. Was halten Sie von «The Passion of the Christ»?
Reed: Ich habe den Film nicht gesehen, meine Freunde haben mir davon abgeraten. Zu brutal, zu langweilig soll er sein. Es kommen alle diese schrecklichen, hässlich aussehenden Juden vor. Nur der Jude Jesus ist ein männliches Modell und sieht aus wie Mel Gibson. Das ist doch absurd. Man muss den Film als Intelligenztest verwenden. Wer ihn mag, ist dümmer als dumm.

Etwas muss man Ihnen zu Gute halten – ihre Arbeit ist immer ehrlich gewesen.
Reed: Das ist doch das Mindeste, um Gottes Willen. Schauen Sie mich an. Ich mache diesen Scheiss nun schon seit 35 Jahren. Ich habe damals niemanden verarscht, ich werde jetzt sicher niemand verarschen. Dabei ist es erstaunlich, welche Scheisse passiert.

Was meinen Sie da konkret?
Reed: Wir hatten doch gedacht, es sei alles überwunden. Erinnern Sie sich an das Zeitalter des Wassermanns? Das waren die Jahre, in welchen wir die sozialen Fortschritte wirklich begriffen hatten und uns weiter entwickelten. Wir dachten, die Schulen werden jetzt besser, wir finden eine Arznei gegen Aids und werden Afrika aus der Armut befreien. Stattdessen passiert das Gegenteil.

Warum?
Reed: Es ist die alte Geschichte: Die Puritaner lösen die Rebellen ab. Bill Clinton wurde wegen ein bisschen Pussy massakriert. Auf ihn folgte eine Regierung, die alle Umwelt- und Sozialgesetze filetiert.

Ist die Tatsache, dass Sie ein ehrlicher Künstler sind…
Reed: …wie kann ein Künstler nicht ehrlich sein? Das ist die Definition für einen Künstler.

Sie sind weit populärer in Europa als in den USA? Sind sie zu ehrlich für Amerika?
Reed: Nein, in den USA dreht sich alles um die Jugend. Was ist neu, was ist neu, was ist neu. In Europa interessiert man sich viel eher dafür, was in Amerika geschieht als in Amerika selbst.

Lou Reeds Assistentin kommt rein und sagt, es bleiben noch genau fünf Minuten.

Reed: Meine Assistentin Priscilla steht für das, was neu ist. Sie weiss alles, sie wuchs mit dem Computer auf, sie hat keine Probleme damit. Für mich ist das so schwierig, wie Chinesisch lernen.

Sie lieben die Technologie doch ebenfalls, es gibt kaum einen Musiker, der mehr auf den technischen Aspekt Wert legt als sie.
Reed: Das ist schon richtig, allerdings muss ich viel härter dafür arbeiten als Priscilla. Ich kann keine Bedienungsanleitungen lesen. Der gute Techniker ist der, der die Bedienungsanleitung gelesen hat. Ich bin der Typ, der sie nicht liest.

Ihr Album «New York» von 1989 ist eine Liebeserklärung an ihre Stadt. Mögen Sie New York noch immer?
Reed: Mehr denn je. New York ist einfach so wunderschön. Unlängst ging ich nach Brooklyn. Eine nächtliche Fahrt über die Brooklyn Bridge ist etwas vom Schönsten auf dieser Welt. Gestern ging ich ins Jüdische Holocaust Museum in Battery Park. Dort unten sieht man, dass die Stadt eine Insel ist, umgeben von Wasser. Ich kriege nur schon weiche Knie, wenn ich an die Schönheit von New York denke.

Hier in Soho, wo sie arbeiten, öffnet demnächst die Warenhauskette Bloomingdale’s ihre Tore. Es gibt Leute, die sagen, die Stadt sei nur noch kommerziell.
Reed: So fucking what? Bloomingdale’s hat auch das Recht, hier zu sein, das haben doch alle. So entsteht eine Mischung, die genau das ist, was New York ausmacht. Nehmen Sie den Bezirk beim Fleischmarkt. Da hat es eine Boutique von Stella McCarthy neben hängenden Schweinebäuchen. Das ist doch perfekt.

Dann ist der Boulevard nicht mehr dirty?
Reed: Es gibt Leute, die sich darüber aufregen, wie sauber New York geworden ist. Ich habe nichts dagegen.

New York gesäubert hat Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani, den Sie bekanntlich verachten.
Reed: Nein, nein, nein, nein. Am 11. September 2001 war Rudolph Giuliani grossartig. Wenn sich jemals ein Mann einer schwierigen Lage gestellt hat und ihr gewachsen war, dann war das Giuliani. Ich habe das von nah beobachtet. Er war grossartig. Meine Meinung über ihn hat sich total verändert. Er hat die Stadt auf Trab gebracht. Die Lebensqualität hat sich unter ihm stark verbessert. New York ist jetzt eine der sichersten Städte überhaupt. Ist das schlecht? Es ist doch toll, dass meine Freundin nachts sicher nach Hause gehen kann.

Was halten Sie von neuem Bürgermeister, Michael Bloomberg?
Reed: Er ist ein Businesstyp. Die Stadt ist hoch verschuldet. Die Leute wollten einen smarten Geschäftsmann, der die Stadt davor bewahrt, Bankrott zu gehen und auf das Niveau von Hoboken zu sinken. Er hat für den Wahlkampf sein eigenes Geld investiert und ist niemandem Rechenschaft schuldig, das gefällt mir.

Bloomberg hat New York rauchfrei gemacht, was dem Nachtleben nicht gerade zuträglich ist.
Reed: Das Rauchverbot ist ekliger Gesundheitsfaschismus. Die armen Raucher müssen draussen stehen und sollen gegen deren Willen gesund werden.

Wie gehen Sie persönlich damit um?
Reed: Ich habe vor drei Monaten aufgehört zu rauchen. Es ist schwierig, das kann ich Ihnen sagen. Zigaretten haben einen gewissen Stresslevel abgebaut. Vor 15 Jahren hätte ich zu anderen Mitteln gegriffen, um die Zigaretten zu ersetzen. Dafür bin ich jetzt aber zu alt.

Priscilla unterbricht. «Die dreissig Minuten sind um.»

Reed bietet den Journalisten höflich aber bestimmt, den Recorder abzuschalten. «Besten Dank, dass Sie sich vorbereitet haben», sagt er, reicht die Hand und blickt anerkennend. Er habe generell ja nichts gegen Journalisten, holt er aus. Die meisten, die zu ihm kämen, würden aber einfach ihr Kassettengerät auf den Tisch stellen und fragen, «so, Sie haben ein neues Album, erzählen Sie.» Davon habe er genug. Er wisse sich aber zu wehren, sagt Reed. «Ich stelle einfach meinen Recorder auf den Tisch, spule vorbereitete Antworten runter – und verschwinde.»