Jesus Christ Superstar

Die USA haben das Geschäft mit Jesus entdeckt. Es locken Milliardenumsätze. Der kontroverse Jesus-Film von Mel Gibson schlägt in Amerika Kassenrekorde und lässt sogar «Lord of the Rings» hinter sich. Das ist keine Überraschung: Seit Jahren blüht in den USA das Geschäft mit der Kreuzigung.

Von Peter Hossli

Über zwei Stunden hatten die 350 Zuschauer im ausverkauften Court Street Cinema in Brooklyn der brutalen Folter Jesu geharrt. Kaum war der Christen-Prophet in Mel Gibsons Film «The Passion of the Christ» festgenagelt, gestorben, vom Kreuz geholt und auferstanden, ertönte tosender Applaus. Die endlose Quälerei gefiel.

Das belegen zumindest die Umsatzzahlen. Der von Gibson finanzierte, 25 Millionen Dollar teure Film spielte in den ersten fünf Tagen 125 Millionen Dollar ein – mehr als der letzte Teil der «Lord of the Rings»-Trilogie in derselben Zeitspanne. «Passion» werde allein in Amerika mindestens 300 Millionen Dollar einbringen, glauben Hollywoods Prognostiker.

Daran ändert nichts, dass Bürgerrechtler Gibson offen des Antisemitismus bezichtigen – im Gegenteil. Eine monatelang anhaltende Kontroverse um «Passion» hatte dem Film viel kostenlose Werbung beschert. Abgesehen von 1956, als Charlton Heston als Moses die Zehn Gebote verlesen hatte, floppten religiöse Filme meist. Gleichwohl überrascht der «Passion»-Erfolg kaum. Produzent und Regisseur Gibson reitet auf einer Welle, die seit Mitte der Achtzigerjahre in den USA immer grössere Wogen wirft: die inbrünstige Jesus-Verehrung so genannter wiedergeborener Christen. Gemäss einer neuen Gallup-Umfrage bezeichnen sich mittlerweile 43 Prozent aller Amerikaner als Evangelisten, als freikirchliche Christen, die Jesus als ihren Retter sehen.

Sie bekräftigen ihren Glauben mit dem Geldbeutel. «Der Bedarf an christlicher Popkultur ist enorm», sagt C. Britt Beemer, der Chairman der America’s Research Group. Im letzten Jahr wurden in den USA religiöse Konsumgüter im Wert von 7,5 Milliarden Dollar umgesetzt, 1980 war es noch knapp eine Milliarde gewesen. In den letzten drei Jahren sei der Umsatz mit Jesus-Produkten trotz Rezession jährlich um zehn Prozent gestiegen, sagt Beemer, dessen Firma wöchentlich 15 000 Personen über deren Konsumverhalten befragt.

Das Angebot ist mannigfaltig. Zum «Passion»-Start gibts T-Shirts, auf denen ein Herz zusammen mit dem blutigen Dornenkranz Jesu abgebildet ist. Wer dessen Leiden besonders nahe sein möchte, bindet sich einen der 75 000 eigens produzierten, 6,5 Zentimeter langen «Passion»-Silberstifte um den Hals, angeblich eine verkleinerte Nachahmung jener Rostnägel, die die Römer durch die Hand- und Fussgelenke des Nazareners getrieben haben. Es gibt Unterhosen mit aufgedrucktem Glaubens- und Keuschheitsbekenntnis, den Kelch vom Abendmahl, Petrus-Action-Figuren und Comic-Versionen der Bibel-Geschichte.

Aus der Asche des Pornos entstieg ein geläuterter Christ

Analyst Beemer begründet die gestiegene Nachfrage nach dem Jesus-Zeugs mit den Terrorattacken vom 11. September 2001. «Die Tragödie hat den Konsumenten ihre Sterblichkeit vorgeführt», sagt er. «Nun strömen sie in die Kirchen und kaufen fleissig Bibeln.» Zehn Prozent aller Amerikaner, hat Beemer eruiert, langen mindestens einmal monatlich in einem christlichen Buchladen zu. Viele Eltern überlegten sich genauer denn je, welche Filme, Bücher oder Magazine sie ihren Kindern vorlegen. Gar zu nationalem Ruhm brachte es ein Sexladenbetreiber in Kentucky, der im Herbst 2002 nach einer Erleuchtung Dildos und Pornovideos im Wert von 10 000 Dollar abfackeln liess und im selben Lokal ein Christengeschäft einrichtete.

Eine Radiosendung des Chefs der christlichen Antiabtreibungsorganisation «Focus on the Family» wird von 3000 Radiostationen ausgestrahlt. Der anzügliche Radiostar Howard Stern ist hingegen bloss auf 46 Stationen zu hören. 1850 der 13 700 US-Radiosender strahlen ausschliesslich christliche Inhalte aus. Seit 55 Wochen steht «The Purpose-Driven Life» von Pastor Rick Warren auf den vordersten Plätzen der Bestseller-Liste der Sachbücher.

Die Sponsoren der christlichen Festivals sind globale Konzerne

Publiziert hat das Buch Zondervan, der grösste christliche Buchdrucker Amerikas. Unlängst hat ihn Rupert Murdochs Verlag Harper Collins übernommen. Die Nachfrage wird nämlich zunehmend von den Medienkonglomeraten befriedigt. Bei allen fünf grossen Musiklabels stehen christliche Rocker unter Vertrag. Christlicher Hip-Hop schafft es regelmässig in die Topten. Der Christenrock sei das heisseste Genre der Musikindustrie, schrieb das Magazin «Newsweek». Knapp 50 Millionen Tonträger mit christlichen Inhalten wurden letztes Jahr abgesetzt.

Nicht glückselige Melodien, sondern harter Jesus-Rock und Heavy Metal verkaufen sich in Plattenläden oder elektronischen Musikläden wie Napster und iTunes bestens. In den Songs wird die legale Abtreibung als «amerikanischer Holocaust» verteufelt.

Jeweils im Sommer pilgern junge Gläubige an obskure Orte in Illinois oder in Iowa an christliche Openair-Festivals. Dort sind Sex und Drogen tabu, nicht aber Rock ‘n’ Roll. Solche Festivals verzeichneten im letzten Jahr 800 000 Eintritte. Sponsoren dieser Festivals sind globale Konzerne wie Coca-Cola, Disney oder Nestlé.

Bei Wal-mart ist Gott eine Cashcow

Niemand setzt aggressiver auf christliche Produkte als Wal-Mart, mit einem Umsatz von 240 Milliarden Dollar die weltweit grösste Supermarktkette. Seit etwa einem Jahr überklebt Wal-Mart die Titel von Magazinen mit anzüglichen Bildern. Stattdessen liegen nun religiöse Artikel in den Auslagen neben der Kasse. Wal-Mart verkauft 550 verschiedene CD von christlichen Rockern, dazu 1200 christliche Bücher, sagt Pressesprecherin Karen Burk. Die Firma setzt damit rund eine Milliarde Dollar um und verzeichnet steile Wachstumsraten. Analysten schätzen, dass der Riese bald 30 Prozent des Marktes mit christlichen Produkten kontrolliert.

Ein Loblied auf christliche Musik

Während die Umsätze mit «konventioneller» Pop- und Rockmusik auf CD oder Kassette dramatisch sinken, stagnieren die Verkäufe von christlicher Musik auf hohem Niveau. Nicht eingerechnet sind die Downloads von Internet-Musikläden wie iTunes von Apple oder Napster.