Der neue JFK setzt auf Bill

John Kerry wird auf das Thema Wirtschaft setzen, um US-Präsident George W. Bush aus dem Amt zu drängen. John Kerry ist als Herausforderer von George W. Bush gesetzt. Wie einst Bill Clinton fährt der Senator einen wirtschaftspolitischen Kurs der Mitte und steht der Wirtschaft nahe. Er will die Steuern für die Reichen erhöhen, die Mittelklasse stärken und Wallstreet-Betrüger hart anfassen.

Von Peter Hossli

John Kerry gewinnt – das titelten amerikanische Zeitungen über zwanzig Mal seit dem Auftakt der demokratischen Vorwahlen. Von Sieg zu Sieg eilt der zu Beginn des Jahres noch als chancenlos geltende Senator von Massachusetts. Am Dienstag, als die bevölkerungsreichen Staaten New York und Kalifornien gewählt hatten, sicherte sich der Politiker mit den JFK-Initialen – John Forbes Kerry – die Nomination. Er hat in 28 Staaten gewonnen

Noch mangelt es ihm an Profil – und auch an einem übergreifenden Thema, an das sich die Wähler klammern. Genau das braucht aber, wer Präsident werden will.

Der gross gewachsene Vietnamveteran Kerry dürfte dort ansetzen, wo Bush verletzlich ist: bei der Glaubwürdigkeit rund um den Irak-Krieg und bei der Wirtschaft. Da US-Wahlen meist mit innenpolitischen Themen gewonnen werden, hat die Wirtschaftspolitik klar Priorität. Zumal Kerry als Mann der Mitte etliche Positionen vertritt, die auch Republikanern gefallen.

Etwa die fiskalische Disziplin, auf die er als Senator stets pochte. Hingegen hatten die enormen Steuerkürzungen von Bush nicht den gewünschten – und versprochenen – Effekt erzielt. 35 Millionen Menschen leben unter der Armutsgrenze. Drei Millionen Stellen sind verloren gegangen, seit Bush regiert, die meisten davon in so genannten Swing States – Gliedstaaten, die wahlentscheidend sind und in denen je nach wirtschaftlicher Stimmung Demokraten oder Republikaner gewinnen.

Bushs Defizite sind enorm, im Staatshaushalt wie im Aussenhandel. 230 Milliarden Dollar im Plus stand das Budget, als Bush das Amt im Januar 2001 übernahm. Seither schnellte das Defizit auf über eine halbe Billion Dollar. Trotz historisch tiefem Dollar importierte Amerika im vergangenen Jahr weit mehr Güter, als es exportierte. Der Unterschied war um 17 Prozent höher als im Jahr zuvor: minus 490 Milliarden Dollar. Betrugen die Schulden des US-amerikanischen Staates bei Bushs Amtsantritt 5,7 Billionen Dollar, sind es heute weit über 7 Billionen.

Kein Wunder, erwähnt Kerry in seinen Reden stets drei Dinge: Das Defizit, Jobs und Steuern. «Bring America back to work», lautet sein Slogan. Kerry gilt als Aristokrat aus dem Nordosten, wurde ausgebildet an einer Schweizer Privatschule, ist verheiratet mit der Erbin des Ketchup-Imperiums Heinz. Das Ehepaar verfügt über ein Vermögen von 550 Millionen Dollar. Kerry nimmt auch mal Spenden von Tabak- oder Pharmafirmen.

Kaufkräftige Mittelklasse soll die Wirtschaft ankurbeln

Clinton kam aus dem Süden, wuchs mausarm und ohne Vater auf. In ihren wirtschaftspolitischen Ansichten gleichen sich die beiden trotz unterschiedlichem Hintergrund. Wie einst Clinton will Kerry die Mittelklasse stärken. Keineswegs rückgängig zu machen, sondern auszubauen gedenkt er deren Steuererleichterung. Eine kaufkräftigere Mittelklasse soll die Wirtschaft ankurbeln – das war einst das Kernstück von Clintons Reformpaket.

Die Reichen, die ohnehin weniger konsumieren, sollen stärker besteuert werden. Das zusätzliche Geld, so Kerry in seinem wirtschaftlichen Strategiepapier, soll die Altersvorsorge sichern und das marode Gesundheitswesen stärken. Überhaupt will er die Kosten für Medikamente und Spitäler drastisch verringern – was die Pharmaindustrie nervös macht. Das sei aber Grundvoraussetzung, um die USA wettbewerbsfähig zu belassen. Da US-Arbeitgeber oft die Krankenkasse bezahlen, verursachten hohe Pillenpreise bei jedem in den USA hergestellten Auto Mehrkosten von 1000 Dollar, sagt Kerry. Das gefährde Jobs.

Solche verspricht Kerry zu schaffen. Steuerkürzungen erhielten unter seiner Regentschaft jene Fabrikanten, die ihre Güter in den USA herstellen. Wer Fabrikstellen kreiert, wird während zweier Jahre steuerlich begünstigt. Damit will Kerry die Abwanderung von Arbeit in Billiglohnländer stoppen.

Bereits bläst er zur Jagd auf Steuerflüchtlinge. Er werde sich nicht scheuen, gegen US-Firmen vorzugehen, die ihren Geschäftssitz in die Karibik verlegt haben und keine Steuern entrichten.

Erneuerbare Energien könnten zum zentralen Thema werden

Eigens reiste der New Yorker Staatsanwalt Eliot Spitzer Anfang Februar nach New Mexico, um ein Bekenntnis zu Kerry in dessen Beisein abzugeben. Es war ein klares Zeichen an die Wallstreet und an die geprellten Kleinanleger. Wie Spitzer will Kerry rigoros gegen Gesetzesbrecher an der Börse, Bilanzfälscher und betrügerische Firmenchefs vorgehen. «Spitzer setzt den Standard für unser Land», bedankte sich der Kandidat für die Unterstützung.

Um etwa weitere Gebührenskandale bei Anlagefonds zu verhindern, beabsichtigt Kerry per Gesetz den nachbörslichen Handel zu verbieten, eine unabhängige Kontrollinstanz einzusetzen sowie Geldbussen massiv zu erhöhen. Jeder Fonds müsse alle Gebühren offen legen.

Wie einst Clinton plant er mit der Mär aufzuräumen, demokratische Präsidenten würden den Staat aufblähen. Innert zweier Jahre soll das Budgetdefizit halbiert sein, mit höheren Steuern, vor allem aber geringeren Ausgaben. Etwas, das Bush versprach, aber nicht einhielt.

Ohnehin wird es der Präsident im Wahlkampf schwer haben, dem Liberalen aus Massachusetts das negative Label «Liberaler aus Massachusetts» aufzudrücken. Lange vor Bush hatte Kerry etwa Steuerkürzungen auf Kapitalgewinne und Dividenden vorgeschlagen – und indirekt den Schweizer Bankenplatz angegriffen. Das Internet möchte er zur steuerfreien Zone erklären. Kerry unterstützt das Freihandelsabkommen Nafta, verlangt aber, was Gewerkschaften fordern: Dass striktere Gesetze zum Umwelt- und Arbeiterschutz bei den Handelspartnern eingefordert werden.

Ausserdem beabsichtigt Kerry, erneuerbare Energien zu begünstigen. Das, liess er am Dienstagabend in seiner Siegesrede erahnen, könnte sein zentrales Wahlkampfthema werden. Übernehmen die USA die Führung im viel versprechenden Sektor, würden etliche Jobs geschaffen. Zudem würde die Abhängigkeit von den Ölquellen im Mittleren Osten verringert werden. Womit er das neben der Wirtschaft zweite brisante Thema elegant angeht: Die innere wie äussere Sicherheit.