Im Sinne des Schöpfers

Mit «The Passion of the Christ» provoziert Regisseur Mel Gibson Vorwürfe wegen Antisemitismus. Die scharfen Proteste dürften sich für ihn an den Kinokassen auszahlen.

Von Peter Hossli

Die Kontroverse brodelt seit bald einem Jahr und begann mit der wohl deftigsten aller möglicher Verfehlungen – einer Holocaust-Lüge. Der altkatholische Vater eines der grossen Stars in Hollywood hatte letzten März in einem Interview die Vernichtung von sechs Millionen Juden während des Zweiten Weltkriegs angezweifelt. Zur selben Zeit stellte sein Sohn, «Mad Max»-Mime und Regisseur Mel Gibson, in Rom einen Film über die letzten zwölf Stunden im Leben Jesu fertig.

Nächsten Mittwoch nun, am Aschermittwoch, läuft «The Passion of the Christ» in 2000 US-Kinos an. Millionen wiedergeborener Christen fiebern der Ode ans Leiden seit Monaten entgegen. Tausende ihrer Pastoren sahen den Film lange im Voraus und haben ihm «als wirkungsvolles Instrument, um viele Ungläubige zu retten» die Absolution erteilt. Wohingegen jüdische Gruppen und die römisch-katholische Kirche befürchten, es werde damit wüster Antisemitismus geschürt.

Der happige Vorwurf schwellt, seit ein «Passion»-Drehbuch zirkuliert. Gibsons Film, so die einheitliche Meinung vieler Rabbiner und katholischer Theologen, bekräftige, was seit Jahrtausenden Antrieb für den globalen Judenhass ist: Dass die Juden als Volk für den Tod von Jesus Christus verantwortlich seien. Ausgesprochen brutal und bildstark zeige Gibson, wie ein jüdischer Mob den opferbereiten Zimmermann aus Nazareth verraten hatte, ihn an die römischen Besatzer auslieferte und den Präfekten Pontius Pilatus dazu aufhetzte, Jesus zu kreuzigen.

Uralte Klischees donnere Gibson neu auf, warnte alsbald das Magazin «Jewish Week». Als «blutrünstig, rachsüchtig und geldgierig» würden Juden dargestellt. Die Anti-Defamation League sorgte sich, «Passion» heize landesweit «Hass, religiöse Intoleranz und Antisemitismus» an.

Die Medien stürzten sich auf die Debatte – und bescherten «Passion» monatelang kostenlose Werbefläche. Am genauesten ging «New York Times»-Kolumnist Frank Rich der Holocaust-Lüge des Vaters und der religiösen Gesinnung des Sohns nach. Rich zitierte etliche kritische Stimmen zu Gibsons Projekt, Monate bevor jemand den Film gesehen hatte. «Passion», kam Rich zum Schluss, könnte den seit dem 11. September 2001 vor allem ausserhalb Amerikas keimenden Judenhass sogar entzünden.

Umgehend schlug Mel Gibson zurück. In einem Interview mit dem «New Yorker» sprach er eine Morddrohung gegen Rich aus. «Ich will ihn töten», sagte er. «Ich will seine Innereien aufgespiesst sehen. Ich will seinen Hund töten.» Rich beruhigte: «Ich habe keinen Hund.»

Jüngst konterte Gibson in «Reader’s Digest» die Anschuldigung gegen seinen Vater: «Gräueltaten geschahen. Krieg ist schrecklich. Im Zweiten Weltkrieg starben Millionen von Menschen. Einige davon waren Juden in Konzentrationslagern.» Empört reagierte der Leiter des Simon Wiesenthal Centers, Rabbi Marvin Hier, in einem öffentlichen Brief. «Es geht uns nicht um einen Wettbewerb des Märtyrertums. Es geht uns um die Wahrheit.» Wer das jüdische Leiden während des Holocausts wie Gibson verharmlose, der spiele «direkt in die Hände von Holocaust-Lügnern und Revisionisten».

Wie Vater Hutton ist Mel Gibson ein andächtiger Altkatholik. In den USA gehören nur 100000 Personen der traditionellen, im 16. Jahrhundert fussenden Glaubensrichtung an. Eigens liess er sich in Malibu, umweit seines Hauses, eine Kirche bauen. Einst zog er sich ein Jahr zurück, um seinen Glauben zu festigen.

Die liberalen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1965 lehnt Gibson ab. Ausdrücklich wies Rom damals den Vorwurf zurück, die Juden trügen die Schuld an der Hinrichtung Jesu.

Begründet wird die Anklage meist mit dem 27. Kapitel des Matthäus-Evangelium, vornehmlich mit einer Passage, dem Vers 25: «Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!» Sie diente oft als biblische Grundlage, Juden zu verfolgen.

Gibson diente sie als Grundlage fürs Drehbuch. Möglichst nahe an den Evangelien – neben Matthäus benutzt er Lukas, Markus und Johannes – wollte er den letzten Leidensweg Jesu zeigen. Nicht Stars, eher unbekannte Schauspieler agieren. Jesus etwa verkörpert Jim Caviezel, selbst ein Evangelist. Der Authentizität zuliebe reden alle Figuren Aramäisch, Hebräisch oder Lateinisch. Die Kosten, 25 Millionen Dollar, beglich Gibson.

Allerdings scheiterte sein Plan, «Passion» kurz vor Weihnachten in die Kinos zu bringen. Alle grossen Verleiher sträubten sich, bisher floppten religiöse Filme meist. Schliesslich kaufte Newmarket «Passion». Die unabhängige Verleihfirma wirbt mit einer so unorthodoxen wie wirksamen Kampagne, in welche die christliche Rechte Amerikas eingespannt ist. So zeigte Gibson seinen Film zahlreichen religiösen und politischen Meinungsmachern. Zudem lud er 10000 Geistliche zu speziellen Vorführungen ein – mit enthusiastischen Reaktionen.

«Es ist der gewaltigste Film, den ich je gesehen habe», schrieb der Theologe Michael Novak im «Weekly Standard», dem Leibmagazin der Neokonservativen. Als «Michaelangelo dieser Generation» feierte der Präsident der National Association of Evangelicals, Reverend Ted Haggard, Mel Gibson. Begriffen hatte Haggard, was «Passion» ist: ein hervorragendes Vehikel um zu missionieren.

Bereits am Startwochenende, prophezeien nun Analysten, werde «Passion» die Kosten einspielen. Denn fast die Hälfte aller Amerikaner bezeichnet sich als wiedergeborne Christen, Gläubige also, die Jesus als ihren Retter akzeptiert haben. Sie leben im Süden und mittleren Westen der USA und gehören zur politischen Basis von George W. Bush. Sie wollen homosexuelle Ehen mit einem Verfassungszusatz verbieten oder kämpfen dafür, dass die Zehn Gebote in Gerichten aufgestellt werden. Jüngst brachte sie Bush dazu, sexuelle Abstinenz staatlich zu fördern.

«The Passion of the Christ» ist ihr Film. Tausende von Kinobilletten haben Pfarrer im Voraus gekauft. Nach der Sonntagspredigt geben sie diese jeweils Gläubigen ab. Jahrzehntelang dürfte überdies die DVD-Version eingesetzt werden, um das Evangelium weiter zu verbreiten. Ablösen soll «The Passion of the Christ» nämlich einen obskuren Film von 1979. «Jesus», bisher in 846 Sprachen übersetzt, wirkt ältlich und scheint ungeeignet, jüngere Menschen zu konvertieren.

Alle zwanzig Säle seines Multiplexes hat ein Kinobesitzer in einem Vorort von Dallas für «Passion» reserviert. Die erste Vorstellung beginnt am Aschermittwoch um 6.30 Uhr morgens, nach einer nächtelangen Prozession vor dem Kino. Eigens auf den Filmstart fabrizierte CD-Roms lehren christlichen Gruppen, wie «Passion» zur Vertiefung des Glaubens eingesetzt werden kann. So wird etwa Eltern erläutert, wie sie ihre Kinder auf die gewalttätigen Bilder vorbereiten können.

Währenddessen versichert Gibson, er habe den Film nicht nur finanziert, ihn zu drehen sei eine «Berufung» gewesen. «Ich hoffe, der Film strahlt genug Kraft aus, um zu evangelisieren», wird er in einer Broschüre zitiert, die an einer Glaubenskonferenz in Florida verteilt wurde.

Den bisherigen Höhepunkt erlebte die Kampagne Anfang Jahr. Gibson schickte eine Kopie des fertigen Films nach Rom. Der Papst sollte ihn sehen. «Es ist wie es war», soll Johannes Paul II nach Filmende gesagt haben, mehr nicht. Wochenlang trompetete die US-Presse die fünf heiligen Worte in die Welt. Einen Monat später erst krebste der Sprecher des Vatikans zurück. Der Papst habe «Passion» zwar gesehen, wie üblich beurteile der Pontifex Maximus Kunstwerke nicht.

Ohnehin bröckelt Gibsons Anspruch auf historische Echtheit. Altgriechisch, nicht Lateinisch hätten etwa die Römer zu jener Zeit in Jerusalem gesprochen, sagen Historiker. Nicht wie von gezeigt durch Handflächen, durch die Gelenke seien beim Kreuzigen jeweils die Nägel getrieben worden. Es ist wohl nicht wie es war. Es ist wie es Mel Gibson sieht.