70 000 Jahre Strafkolonie

Hanspeter Walder erleichterte als UBS-Bankier in den USA seine Kunden um 75 Millionen Dollar. Das Geld investierte er in sein Schlosshotel. Nun sitzt er im Knast. Kein Schloss mehr, aber viele Riegel.

Von Peter Hossli

walderheadshot.jpgDie Verhaftung war auf Dienstag angesetzt – ohne grosses Aufsehen. Freiwillig würde sich Hanspeter Walder in seinem Büro an der Park Avenue in New York dem FBI stellen. Am Donnerstag zuvor hatte er gestanden, seinem Arbeitgeber, der Schweizer Grossbank UBS, über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren Dutzende Millionen Dollar gestohlen zu haben. Mit dem Geld, führte er beim Geständnis trocken aus, habe er sich im New-Yorker Vorort Tarrytown ein Schloss gekauft. Dieses baute er in eines der luxuriösesten Hotels der USA um. Jahrelang spielte er den Schlossherrn.

Zur angekündigten diskreten Inhaftnahme kam es nicht. Am Montag, dem 24. September 2001, abends platzte ein Dorfpolizist zusammen mit zwei Beamten des FBI in die Feier zum 30. Hochzeitstag von Walder und dessen Frau Steffi im Schloss. Die Gendarmen baten den Gastgeber ins Nebenzimmer. Als der angetrunkene Mann Widerstand leistete, zückten sie Handschellen und führten ihn ab – vor den Augen seiner Familie. Schockiert sah sie, wie er auf den Hintersitz des Streifenwagens sank.

Am gleichen Abend noch ging Gattin Steffi ins Gefängnis in Tarrytown und brachte ihrem Mann eine Zahnbürste. Vorschriftsgemäss hielt sie zwei Meter Abstand zur Zelle. Reden durfte sie nur Englisch. «Did you do, what they accuse you of?», fragte sie ihn. «Yes», antwortete Walder. «I don’t believe you.» Zu Hause brach Steffi heulend zusammen.

«Die Erniedrigung dieser öffentlichen Verhaftung werde ich der UBS nie verzeihen», sagt Walder zwei Jahre später. Aber er verstehe sie: «Ich habe die Bank gedemütigt, jetzt demütigt die Bank mich.»

Der gross gewachsene Einundsechzigjährige mit dem vollen, krausen, grau durchzogenen schwarzen Haar sitzt an einem einfachen Metalltisch. Er trägt ein dunkelgrünes Hemd, dazu olivgrüne Hosen. Auf der linken Brust klebt ein weisses, an den Ecken abgerundetes Kunststoffschild. «Walder» steht drauf, dazu die Nummer 509 13-054. Wenn er sich ordentlich verhält, wird er am 8. April 2008 entlassen – nach 97 Monaten Haft.

Grell dringt die Spätsommersonne durch das Fenster des kargen Raums, den das Gefängnis, die Federal Correctional Institution von Elkton in Ohio, für das Treffen mit dem Reporter zur Verfügung stellt. Erstmals seit seiner Verhaftung spricht Walder mit der Presse. Allerdings erlaubt der Gefängnisdirektor nur ein einstündiges Gespräch. Walder und der Reporter einigen sich darauf, den Grossteil des Interviews schriftlich zu führen. Dutzende von Briefen werden hin und her geschickt. Ende November folgt eine zweite Begegnung, erneut in Elkton. Der Reporter trifft Walder als Besucher. Papier und Bleistift sind verboten, dafür sind Diskussionen während zweier Tage möglich.

Treffen wie Briefe helfen, die Geschichte einer der bizarrsten Gaunereien bei einer Schweizer Bank nachzuzeichnen. Ein langjähriger, beliebter und erfolgreicher Mitarbeiter ergaunert gemäss Geständnis 75 Millionen Dollar. Das Geld verprasst er nicht, er kauft sich damit ein altes Schloss und baut es in ein Luxushotel um. Dieses lässt er von seiner Frau einrichten und dekorieren, von der ältesten Tochter und deren Mann ab August 1999 führen. Er selbst gibt den Schlossherrn.

Nur: Niemand ausser ihm weiss, dass der Hotelier das nötige Geld fortwährend klaut und es nicht – wie vorgegeben – von einem reichen Ägypter stammt. Weder die Kollegen der UBS noch die Bauarbeiter fragten, wie ein Bankier im mittleren Kader ein Schlosshotel mit 100 Angestellten und Zimmerpreisen von bis zu 800 Dollar die Nacht finanzieren kann.

Am Schluss verhält sich der Schweizer mit zwanzig Jahren Erfahrung in Amerika schweizerisch. Er gesteht alles, hofft auf Vergebung – und unterschätzt die erbarmungslose US-Justiz. Das Geständnis bringt ihm die maximale Strafe ein und veranlasst die Bank, ihm, seiner Frau und seiner Tochter und deren Gatten je eine Zivilklage in Millionenhöhe anzudrehen. Zudem verlangt die UBS das gesamte Salär von Walder zurück. Die Walders sind inzwischen geschieden, die Familie ist pleite.

Frustriert wirkt Walder nicht. Seine Augen glänzen. Der Händedruck ist kräftig. Er ist ein Strahlemann geblieben. «Willkommen in meinem neuen Zuhause», sagt er. Besuch hat er selten im Knast. Sein ehemaliger Chef in der UBS-Privatkunden-Abteilung in New York, Chris R., sei bei ihm gewesen, zusammen mit William Courtney, einem Vertreter der Treuhandfirma PricewaterhouseCoopers, die den Fall untersucht. «Sie fragten, ob noch irgendwelches Geld da sei. Ich musste sie enttäuschen. Alles steckt im Schloss.»

Walder hatte eine lupenreine Bankkarriere hinter sich mit Stationen in Zürich, Genf und Kairo. 1982 kam er als Prokurist im Sektor Private Banking nach New York. Seine Frau erwartete das zweite Kind. Die junge Familie liess sich in Tarrytown nieder, eine Stunde nördlich der Stadt. Von hier konnte der Vater bequem nach New York pendeln, die Kinder lernten an der deutschen Schule.

Dann das böse Erwachen. Alles war teuer: das Wohnen, die Lebensmittel, das Auto. Walders bescheidener Anfangslohn – 47 139 Dollar im Jahr – reichte nicht, den von Ägypten her gewohnten Lebensstil zu halten. «Hanspeter genoss es, auf grossem Fuss zu leben», sagt Steffi, die mittlerweile wieder ihren ledigen Namen verwendet. «Er ging gerne aus, lud Leute ein, wollte geliebt werden. Die Liebe, dachte er, könne er sich kaufen.»

Dafür reichte der Lohn nicht. Geldnot gibt Walder heute als Motiv an. «So haben meine ‹Probleme› angefangen», schreibt er auf eine Fotokopie eines Briefes vom 17. Januar 1983. Darin verlangt der Steuerberater von Walder 9500 Dollar, um eine Schuld beim Fiskus zu tilgen. Ein happiger Betrag für den Familienvater, der lieber gut essen ging, als Steuern zu zahlen.

Walder suchte eine Lösung. Und fand sie in der Kundenkartei. Jahrelang war das mit rund 700 000 Dollar dotierte Festgeldkonto des iranischen Geschäftsmanns Ibrahim F.* unangetastet geblieben. Ein vergessenes Konto, dachte er damals. «Unbemerkt habe ich es geleert.» Er schmunzelt. Nicht aus Schadenfreude gegenüber F., sondern weil es so einfach war, dessen Geld zu klauen.

Das Raubgut überwies er in regelmässigen Tranchen auf sein Zürcher Konto bei der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA). Er wählte die SKA, weil er in New York von diesem Konto Barbezüge vornehmen konnte. Damit bezahlte er Familienferien und gönnte sich «Pläsierchen» wie Theater- und Restaurantbesuche.

Jahre später tauchte F. plötzlich auf und verlangte sein Geld. Walder geriet in Panik. Er flog nach Los Angeles und riet F., ein neues Konto in Kalifornien zu eröffnen, wo sein Sohn lebte. F. erachtete das als gute Idee. Dorthin würde Walder die 700 000 Dollar überweisen, mitsamt den Zinsen. Das nötige Kapital stahl er anderen Kunden.

Walder betreute vermögende Menschen, denen zwei Dinge wichtig waren: eine schöne Rendite und absolute Diskretion. «Manche schauten ihre Konten jahrelang nicht an», sagt er. Ungehindert nutzte er die Milliarden, die er verwaltete.

Das ging so: Er beantragte Kredite für seine Kunden, ohne es ihnen zu sagen. Als Sicherheit dienten deren hinterlegte Anlagen, beispielsweise Häuser, Aktien oder Gold. Da Anlagen und Kredite auf unterschiedlichen Konten geführt werden, merkten selbst jene nichts, die ihre Post regelmässig lasen.

Doch warum merkte die Bank nichts? «Sie handelte fahrlässig», sagt Walder. Es bestünden zwar Sicherheitsvorschriften, sie seien aber nie beachtet worden. «Die UBS hat nicht fahrlässig gehandelt», entgegnet Firmensprecherin Christine Walton. «Die Bank ist angewiesen aufs Vertrauen in ihre Mitarbeiter. Wenn jemand wie Walder während Jahren mit einem ausgeklügelten und betrügerischen System Geld veruntreut, ist es schwierig, ihn zu entdecken. Wir haben ihn aber entdeckt und gestoppt.»

Kreditanträge, die er gefälscht hatte, seien nie geprüft worden – man habe ihnen stets stattgegeben, sagt Walder. Auf der Schreibmaschine fertigte er sie an. Dann fälschte er die Unterschrift des Kunden und setzte seine hinzu. Vorschriftsgemäss unterbreitete er das Papier einem Kollegen. Der unterschrieb, ohne zu zögern und ohne nachzuprüfen, ob das Geld tatsächlich beansprucht wird. «Das Compliance Manual hält klar fest, dass die zweite Unterschrift dieselbe Verantwortung trägt wie die erste», sagt Walder. Mindestens ein Bankier hätte telefonisch oder schriftlich nachfragen müssen. «Das tat niemand», betont er in jedem Gespräch. «Es war ein Kinderspiel, bei uns Geld zu klauen.»

«Unser Geschäftsmodell basiert auf dem Verhältnis zwischen dem Kunden und dem Berater», kontert die UBS in einem schriftlichen Statement. Da Walder die Anträge der Kunden gefälscht und stets alleine gehandelt habe, sei es anderen Angestellten nicht möglich gewesen, die Zahlen «aufrichtig zu prüfen», so die Stellungsnahme. «Angestellte, welche die Transaktionen unterschrieben hatten, taten dies im Glauben, die Informationen seien akkurat und echt.»

Zumindest erstaunt, dass Walder die meisten Transfers auf ein und dasselbe Konto bei der Bank of New York tätigte. Das fiel niemandem auf, obwohl es rund 50 illegale Überweisungen gewesen waren. Fast jeder Kredit ging auf ein Konto der Bank of New York an eine Firma mit dem Namen 400 Benedict Corporation. 400 Benedict? Das ist die Adresse des Schlosses in Tarrytown. Ein Schloss, das alle kannten, in dem etliche UBS-Banker regelmässig verkehrten, als Gäste, Partybesucher, als Teilnehmer von Sitzungen und Konferenzen. Einige heirateten gar auf dem Schloss. Es gehörte ihrem Kollegen Hanspeter Walder, was jeder wusste. «Auch Marcel Ospel», sagt Walder. Der heutige UBS-Präsident sei mindestens einmal persönlich im Schloss gewesen.

Zwar stieg Walders Lohn stetig, von 47 139 Dollar im Jahr 1982 bis auf 365 918 Dollar im Jahr 2001. Das war aber zu wenig, um ein Schloss zu kaufen und es mit luxuriösesten Gegenständen einzurichten. «Das Schloss war uns bekannt», sagt UBS-Sprecherin Walton. «Wir überprüfen die Privatvermögen unserer Angestellten allerdings nicht.»

Einige Kunden immerhin bemerkten Unregelmässigkeiten. So reklamierte gemäss Walder der UN-Botschafter eines europäischen Landes, warum er Zinsen für einen Kredit bezahlen müsse, den er gar nicht beantragt habe. Eigentlich hätte die Rechtsstelle sofort informiert werden und mit dem Kunden in Kontakt treten müssen. «Das passierte in keinem Fall», schreibt Walder. Stattdessen wurde er, der Kundenberater, informiert. «Fahrlässiger hätte die Bank nicht handeln können», sagt Walder.

Viele Bankiers in höheren Positionen seien bereits nach zwei oder drei Jahren zum nächsten Job gezogen. «Es hat mir geholfen, dass bei uns die ‹big shots› stets ersetzt wurden.» Walder hingegen blieb und kannte das System. Die Kunden, bei denen er stahl, mochten ihn, ebenso die Kollegen. Ihm eilte der Ruf voraus, mit Wissen und Flair unangenehme Probleme zu lösen. Wurde es brenzlig, sprang HP – so sein Kürzel – ein. Er wurde unentbehrlich. Seine Anrufe liess er auf sein Mobiltelefon umleiten, selbst in den Ferien.

Einst jonglierte er auf die Karibikinsel St. Barthes einen Kredit. Der Financier des Actionfilmes «Swordfish» mit Halle Berry und John Travolta benötigte dringend Geld, eine Million Dollar, um das Projekt fertig zu stellen. Walder hatte dessen Limite aber bereits für sich beansprucht. «Es ist alles in Ordnung», beruhigte er vom Jachthafen in St. Barthes aus seinen Chef. «Da ist ein Fehler passiert. Sobald ich zurückkomme, behebe ich das. Stell ihm in der Zwischenzeit den Kredit aus.»

Walder galt als King der Kundenberater. Er war so gut, dass ihn die UBS-Führung im Juni 2001 nach London einlud und in den so genannten Chairman’s Club aufnahm, den exklusiven Verein erfolgreicher UBS-Bankiers.

Das war kurz vor dem Geständnis. Walder schlief unruhig, trank viel – und hatte «ein schlechtes Gewissen, Tag und Nacht». Bis jetzt war ihm nämlich der Befreiungsschlag mit einem Gewinn bringenden Projekt nicht gelungen.

Den vermeintlichen Rettungsring hatte er 1992 erspäht: Das 100-jährige Castle von Tarrytown stand zum Verkauf. «Ich hatte die Idee, es in ein Boutique-Hotel umzubauen und mit Profit zu verkaufen.» Anfänglich ging es gut. Für zwei statt fünf Millionen Dollar kaufte er die Liegenschaft 1994. Das Geld, gab er an, stamme von einem ägyptischen Augenarzt. In Kairo hatte er vor Jahren den Augenspezialisten Abdul Z.* als Kunden des Bankvereins kennen gelernt. Er hatte der saudi-arabischen Königs familie als Vertrauensarzt gedient. Diese dankte es ihm fürstlich. Ein Teil des Vermögens gab der Arzt in Walders Obhut.

Als Walder das Schloss kaufte, gab er Z. als Hauptinvestor an, ohne dessen Wissen. Walder wählte K. als Deckblatt, «weil es jemand sein musste, der reich ist und auch ein bisschen mysteriös». Niemand zweifelte an der Geschichte, auch seine Frau nicht, die Z. persönlich kannte. Nie hatte sie mit ihm darüber gesprochen. «In Kairo habe ich gelernt, dass Frauen sich im Mittleren Osten nicht um die Finanzen kümmern, sondern es den Männern überlassen», sagt Steffi.

Kaum war das Schloss gekauft, setzte der Schneeballeffekt ein. Die Bausubstanz war schlecht. Die Kosten stiegen ins Unermessliche. Die Machbarkeitsstudie entpuppte sich als Schönfärberei. Nicht 10, sondern mindestens 25 Millionen Dollar würde alles kosten. Rasch war ihm klar, dass das Projekt scheitern musste. «Nun hiess es für mich, nicht nur weiterzumachen, sondern das Projekt um jeden Preis so luxuriös wie möglich fertig zu stellen.»

Unaufhörlich lagerte er Millionen um: «Ich fuhr auf der Autobahn, frontal auf eine Wand zu», sagt er bildhaft. «Da ich nicht umdrehen konnte, raste ich noch schneller, besuchte noch bessere Restaurants, investierte noch mehr ins Castle.» Retten habe er sich nicht mehr können. «Ich wollte das Schloss und das daraus gewonnene Ansehen so lange wie möglich geniessen.»

Gegen Ende sei ihm alles egal gewesen. Er klotzte nur noch. In die Küche stellte er Öfen der Luxusmarken Bonet und Viking. In den Garten kam einer der teuersten Swimmingpools der USA. Ein Maler musste die Decke mit dem Daumen anmalen, damit keiner Pinselstriche sah. Mit einem beigefarbenen Bentley, Jahrgang 1948, liess er die Gäste abholen. Die Möbel waren Topqualität, die Betten die besten auf dem Markt, dasselbe galt für die Bettwäsche. «Ich wollte das beste Hotel, das beste Restaurant, den besten Koch, den grössten Weinkeller.»

Walder traf die wichtigsten finanziellen Entscheide. Ins Tagesgeschäft des Hotels mischte er sich nicht ein, konnte es gar nicht: Er arbeitete zu 100 Prozent für die UBS. «Ich spielte nur Hotelbesitzer.»

Und das machte er gerne. Er begrüsste, wer Rang und Namen hatte. Der Gouverneur von New York, George Pataki, stieg zusammen mit seiner Frau im Castle ab. US-Aussenminister Colin Powell war Gast, ebenso die Popdiva Jennifer Lopez. Zehn Tage Ferien verbrachte der ehemalige Chef von UBS Private Banking Worldwide, Georges Gagnebin, auf dem Schloss. Die Walders veranstalteten Kundenanlässe vieler «Fortune»-500-Firmen. Henry Kissinger kam vorbei oder der Schauspieler Matt Dillon. Der deutsche Finanzminister empfing Journalisten und erklärte ihnen die Finanzlage Deutschlands. Heiratete jemand aus der New-Yorker Prominenz, war das Schloss von Tarrytown oft erste Wahl für die Party.

«Ich wollte zeigen, dass man mit einem erstklassigen Produkt erfolgreich sein kann», sagt Walder. Wenn die Qualität stimme, dachte er naiv, würde ihm die Bank dereinst eventuell verzeihen. Dann schweigt er. «Wahrscheinlich litt ich unter Grössenwahn», sagt er.

Sonst bekundet er Mühe, Gründe für die Tat zu beschreiben oder zumindest fassbar zu machen. Ein Verhalten, das auch den zuständigen Richter irritiert hatte, der Gier als einzige Triebfeder sah. «Ich habe versucht, meine Aktionen zu erklären, aber Gier war es bestimmt nicht», sagt Walder. Bei der Festsetzung der Strafe sagte der Richter, Weisskragenkriminelle müssten ebenso hart angefasst werden wie sonstige Kriminelle.

Oft betont Walder in Gesprächen und Briefen, er habe für die Bank weit mehr getan als die Bank für ihn. Zuweilen sieht er sich als gefallenen Helden, dem der Aufstieg bis ganz nach oben verwehrt blieb. «Ich gebe zu, meine Verfehlungen waren falsch, ja kriminell», führt er aus. «Aber mein Beitrag zum Erfolg der Privatkunden-Abteilung war hundertmal grösser.»

Vergebens suchte die Bank nach Millionen, die er versteckt haben soll. Als er verhaftet wurde, besass er Aktien im Wert von 120 000 Dollar sowie 150 000 Dollar Bargeld. Seine Pension betrug 400 000 Dollar, ebenso die dritte Säule. Das alles beschlagnahmte die UBS.

Kurz nach der Verhaftung fragte ihn seine ältere Tochter, wie er denn habe schlafen können. «Schlecht», antwortete er. Die Schlaflosigkeit erdrückte ihn. Den Stress bekämpfte er mit Alkohol. Oft ging er abends ins Schloss, trank, rauchte eine Zigarre, blickte ins Leere, «um abzuschalten», sagt Walder, ein lebenslanger Verdrängungskünstler. Selbst im engsten Familienkreis, sagt er, habe er nie Probleme angesprochen.

Steffi Walder ist gross, das braune Haar kurz geschnitten, eine elegante Erscheinung. «Danke vielmals, die Familie», habe sie gedacht, als sie das Ausmass der Verfehlungen ihres Mannes realisiert hatte. Binnen Sekundenbruchteilen gefriert ihr Lächeln. «Am Tag der Verurteilung stürzte der Boden unter mir weg», sagt sie. «Ich hatte stets gehofft, es gebe irgendwo noch Komplizen, Leute, die ihn missbraucht hatten.» Die gibt es nicht. Ihr Mann handelte allein. Das kann sie bis heute nicht begreifen. «Er hat mich zwanzig Jahre lang angelogen.»

Ein «Mischler und Spieler» sei ihr Mann gewesen, einer, der gerne Geschichten erzählte, auf Festen die langen Reden hielt und mit seinem Charme alle bezirzte. Rückblickend, sagt Steffi, habe sie Anzeichen übersehen. So trank ihr Mann. Oft kam er zornig nach Hause. «Erst der Bourbon beruhigte ihn.»

Walder gab auf, nachdem sein grösster Coup misslungen war. Jahrelang hatte Walder einen Teil des Vermögens der amerikanischen Familie G.* betreut, die unter anderem die Mehrheit an einem amerikanischen Versicherungsriesen hält. Um sich eine Kreditlimite von 30 Millionen Dollar zu sichern, hinterlegte die Familie G. vor Jahren Aktien in diesem Gegenwert. Allerdings beanspruchten sie den Kredit nicht mehr. Im Februar 2001 stellte Walder gegen diese Limite in gewohnter Manier einen Kredit für sich aus – in Rekordhöhe. Mit den 30 Millionen Dollar zahlte er Schulden zurück und beglich Rechnungen des Hotels.

Überraschend ersetzten die Kunden im Sommer 2001 ihren Finanzchef. Der neue entdeckte die Aktien und forderte sie zurück. Walder schickte sie ihm, obwohl er damit einen krassen Verstoss beging. Das fiel der Kreditabteilung sofort auf. Zur gleichen Zeit attackierten Terroristen das World Trade Center in New York. Walder gab an, die Familie werde die alten Aktien durch neue ersetzen, diese seien bereits auf dem Rückweg. Wegen 9/11 habe FedEx Lieferschwierigkeiten. Die Aktien kamen nie bei der UBS an.

Am 20. September 2001, einem Donnerstag, bat Walder das Management in den Konferenzsaal: «Ich habe etwas Wichtiges zu sagen.» Alle sassen, er stand und gestand, viele Millionen Dollar unterschlagen zu haben. Chris R., sein Chef, «wurde schlagartig um zehn Jahre älter», sagt Walder. «Sie waren total schockiert und hatten Mühe, mir zu glauben.» Anhand der Liste der Kreditkunden legte er den sprachlosen Managern die Fälschungen offen. «Das Schloss gehört jetzt euch», sagte er.

Gleichentags händigte er der UBS das Passwort des Computers, seinen Palm Pilot und anderntags auch den Reisepass aus. «Ich wollte so meine Position verbessern, denn ich glaubte, ein vollständiges Geständnis sei das Beste für mich.» Es war ein einsamer Entscheid. Weder der Familie noch einem Anwalt hatte er seine Verfehlungen gestanden. Eine Strategie für seine Verteidigung konnte er sich nicht mehr zurechtlegen.

Am Freitag traf er sich erneut mit den Anwälten der UBS. Zugegen waren Anwalt Andrew Kaizer sowie eine Vertreterin von PricewaterhouseCoopers, die später das Verbrechen analysierte. Walder wurde gefragt, warum er keinen Juristen dabeihabe. Aufrichtigkeit sei die beste Lösung, sagte er. Ausserdem kannte er keinen Verteidiger und konnte sich keinen leisten. Detailliert schilderte er der UBS, was er getan hatte. «Sie waren schockiert und sehr überrascht», sagt Walder.

Die UBS widerspricht dieser Darstellung und gibt in einer schriftlichen Stellungnahme an, die Bank habe das Fehlverhalten Walders selbst enthüllt. «Die UBS entdeckte Unregelmässigkeiten in den Konten während einer Abwesenheit Walders. Das führte zu weiteren Untersuchungen, in denen die betrügerischen Aktivitäten zu Tage kamen.» Walder besteht auf seiner Darstellung. «Wenn sie es gewusst hätten, warum haben sie nichts unternommen?»

Umsonst hoffte er auf Vergebung. Er bot der UBS noch an, die Schwachstellen des Systems aufzuzeigen. Die Bank lehnte ab. Dann ergriff UBS-Anwalt Kaizer das Wort. «Er sagte zu mir: ‹Herr Walder, was Sie getan haben, ist abscheulich. Ich werde das Leben von Ihnen und Ihrer Familie zur Hölle machen. Die Bank hat unbeschränkte Mittel, um gegen Sie vorzugehen. Ich betrachte diesen Fall als meine Altersvorsorge›», erinnert sich Walder. Kaizer wollte gegenüber BILANZ dazu nicht Stellung nehmen.

Als «grössten Fehler» seines Lebens betrachtet Walder heute sein Geständnis. «Ehrlichkeit in der amerikanischen Justiz ist kontraproduktiv», sagt er. «Wenn ich früher realisiert hätte, wie das Justizsystem funktioniert, hätte ich eine oder zwei Millionen Dollar auf die Seite gelegt, um mir den besten Anwalt leisten zu können.» Er hätte am Abend des Geständnisses in eine Swissair-Maschine sitzen, nach Zürich fliegen und sich dort stellen sollen, sagt er, im Besucherraum der Haftanstalt von Elkton sitzend. «Hätte ich das Geld für einen guten Anwalt gehabt, hätte ich die Geschichte zu einer Verschwörung der Bank drehen können. Auf allen gefälschten Anträgen und Überweisungsanweisungen befindet sich die Signatur eines zweiten Bankiers.» Viele davon seien Vorgesetzte von ihm gewesen.

Vor zwei Jahren fragte er den Pflichtverteidiger, was denn mit den Zivilklagen gegen Frau und Tochter geschähe, wenn er tot wäre. Er habe sich umbringen wollen.

Nun gibt er sich kämpferischer. Nicht 75, sondern nur 56 Millionen Dollar habe er gestohlen. Das könne er belegen, sobald die Bank ihm die angeforderten Dokumente aushändige. «Die 75 Millionen beinhalten alle Zinsen und Gebühren», schreibt die UBS. «Es ist die Summe, die er gestanden hat.»

Rechtlich trügen die Unterschriften auf den Kreditanträgen dieselbe Verantwortung wie seine, sagt Walder. Deshalb hege er den Gedanken, einzelne UBS-Bankiers einzuklagen. Weil, so Walder, «jeder der Verantwortlichen heute noch in der gleichen Position arbeitet wie zu meiner Zeit». So habe etwa sein Chef Chris R. «mindestens einen gefälschten Kreditantrag im Jahr 2001 mitunterschrieben», schreibt er.

Im Gefängnis sind alle Tage gleich. Das Mittagessen wird um 10 Uhr 45 eingenommen. Von 11 Uhr 30 bis 15 Uhr 30 wird weitergearbeitet. Nach dem Vesper um 17 Uhr haben die Häftlinge frei. Um halb neun müssen sie im Schlafsaal sein, um halb zehn löschen die Lichter.

Der Häftling macht sich nützlich. Walder, der fliessend Deutsch, Französisch und Englisch spricht und Spanisch und Arabisch versteht, übersetzt Briefe für Mitinsassen und hilft beim Verfassen von Antworten. Zudem erteilt er Savoir-vivre-Lektionen. Er zeige, wie man einen Tisch deckt. Oder wie man die Königin von England begrüsst.

Was erwartet er noch vom Leben? «Versöhnung mit meiner Familie und inneren Frieden», sagt der Häftling. Er verspüre Bedauern, Resignation – und ein bisschen Stolz: «Ich habe eine Schlossruine zum Leben erweckt.»

Jeden Morgen steht Walder um halb sechs auf. Eine halbe Stunde bleibt ihm für die Morgentoilette. Um sechs gibt es Frühstück. Er schläft in einem durch dünne Wände unterteilten Schlafsaal, zusammen mit 165 Häftlingen. Es hat zwölf Duschen und fünf Toiletten. Kurz vor halb acht beginnt er mit der Arbeit. Anfänglich war er in der Bibliothek, dann wechselte er in der Küche. Später setzte er alte Computer zusammen und flickte Drucker. Nun entsorgt er den Müll. Pro Stunde verdient er 23 Cent. Die Hälfte geht alle drei Monate an die UBS, um die Schulden abzutragen.

Walder hat ausgerechnet, wie lange er arbeiten müsste, bis alles bezahlt wäre: 70 000 Jahre.

* Namen geändert.