Die Galerie des Sündenfalls

2004 ist das Jahr der Wallstreet-Prozesse. Aber es ist noch offen, ob alle fehlbaren Manager vor Gericht kommen. Sie haben die Investoren hunderte von Milliarden Dollar gekostet: Jetzt hocken die Manager von Enron, Worldcom und Co. auf der Anklagebank. Die Ankläger wollen die Edelkriminellen hart anfassen. Anlegern nützt das Spektakel aber wenig.

Von Peter Hossli

Es war ein vertrautes Schauspiel. Letzte Woche zerrte ein Beamter des FBI den mit Handschellen gefesselten Richard Causey ins Gerichtsgebäude von Houston. Causey, einst Chefbuchhalter beim Megapleitier Enron, wurde unter Strafklage gestellt. Ihm drohen Jahre im Knast. Das war möglich geworden, weil ein anderer Enron-Manager gesungen hatte. Andrew Fastow, einst Finanzchef beim betrügerisch geführten Stromhändler, bekannte sich Mitte Januar schuldig und willigte ein, gegen eine mildere Strafe auszupacken. Die Ankläger hoffen nun, auch die ganz grossen Enron-Gauner belangen zu können – Chairman Kenneth Lay und den Konzernchef Jeffrey Skilling. Erstaunlich bei der Riesenpleite: Bisher waren die Beweise gegen die beiden zu dünn gewesen.

Fast wöchentlich beginnt derzeit ein Prozess gegen gestrauchelte Manager. Es wird mit einem düsteren Kapitel Wallstreet abgerechnet. Was vor knapp drei Jahren mit Enron begann, gipfelte in einem Erdbeben. Ein Betrugsskandal jagte den anderen. Investoren verloren Milliarden, Angestellte ihre Pensionen. Das Ansehen von Managern und Buchführern sank auf das Niveau von Schwerverbrechern. Das nutzt nun ein vifer Unternehmer, der Pokerkarten mit den «grössten Schurken der Wallstreet» herausgibt. Die Karte des Jokers ziert Staatsanwalt Eliot Spitzer, der resolut gegen die Weisskragen-Kriminellen vorgeht. Herzdame ist Martha Stewart.

Amerikas Betty Bossi und ihr seltsamer Aktiendeal

Denn kein Fall findet in den Medien mehr Beachtung als der Insiderprozess gegen die Haushaltsdiva. Stewart sitzt seit dem 20. Januar vor Gericht. Täglich berichten Klatsch- wie Wirtschaftsblätter etwa darüber, welche Schuhe sie im Gerichtssaal getragen hat. Abends witzeln die Nighttalker über Amerikas Super-Hausfrau. Ihr Name ist eine Marke wie Nike oder Coca-Cola. Kritiker bezeichnen die Prinzessin der Perfektion abwertend als Wahnsinns-, Bewunderer nennen sie euphorisch Superweib. Nun wird ihr vorgeworfen, sie habe knapp 4000 Aktien der Biotechfirma ImClone verkauft – bevor deren Kurs absackte. Ihr Freund heisst zufällig Sam Waksal und war Chef von ImClone. Er soll sie im Voraus gewarnt haben. Waksal ist mittlerweile inhaftiert.

Nächsten Monat beginnt der Strafprozess gegen Scott Sullivan, Ex-Finanzchef des Telecomriesen Worldcom und mitverantwortlich für den grössten Betrugsskandal der US-Geschichte. Die Firma hatte Bücher um elf Milliarden Dollar gefälscht. Im Juli 2002 meldete der Konzern den bisher grössten Bankrott an – 107 Milliarden Dollar, mehr als die Enron-Pleite. Die Investoren verloren schätzungsweise 180 Milliarden Dollar. Sullivan, so die Anklage, spielte eine zentrale Rolle. Sie hofft, mit ihm einen Deal zu tätigen, ähnlich wie mit Andrew Fastow von Enron. Bekennt sich Sullivan schuldig, kann ihm der Staatsanwalt eine mildere Strafe anbieten – falls er gegen seinen ehemaligen Chef Bernard Ebbers aussagt. Es mangelt noch immer an handfesten Beweisen gegen den Ex-Worldcom-Chef.

Der Fall gegen John Rigas scheint klarer zu sein. Er stand fünfzig Jahre lang der Kabelfirma Adelphia vor. Übernächste Woche muss der 80-jährige Firmengründer die vielen Treppenstufen des New Yorker Bezirksgerichts hochgehen. Er und seine Söhne Timothy und Michael sind angeklagt, Firmengelder verprasst zu haben. Sie kauften sich ein Eishockeyteam sowie Ferienhäuser und liessen einen privaten Golfplatz anlegen. Ihre Firma ging währenddessen Pleite. Die Gaunerei brachte den TV-Sender Fox dazu, die Seifenoper «Arrested Development» zu drehen, wo der Patriarch einer Familienfirma im Knast sitzt.

Justizminister Ashcroft fordert harte Strafen

Der Umfang der Prozesswelle ist ungewöhnlich. An der Wall Street wird betrogen, seit im Jahr 1865 erstmals mit Wertpapieren gehandelt worden war. Bisher kamen Weisskragen-Kriminelle jedoch meist mit Verweisen davon. Viele durften den kurzen Hausarrest in ihren Villen absitzen. Angesichts der enormen Verluste und des zerstörten Vertrauens der Anleger ist das Klima deutlich rauer geworden. Heuer ist zudem Wahljahr. Staatsanwälte, die oft vom Volk ins Amt gesetzt werden, greifen resoluter als sonst durch. Nachsichtigkeit kostet Stimmen. Oft fordern sie Strafen von über zehn Jahren für Betrügereien, die zu Milliardenverlusten geführt haben.

Der höchste Ankläger im Land, Justizminister John Ashcroft, hatte die Staatsanwälte aufgefordert, gegen die Fehlbaren hart durchzugreifen. Ashcroft liess durchblicken, dass die Regierung die Betrugswelle mit spektakulär hohen Strafen rasch über die Bühne bringen will. So sollen jene Anklagepunkte erhoben werden, die am einfachsten zu beweisen seien und die schlimmsten Vergehen beinhalten. Allerdings fehlen vielen Klägern die nötigen Mittel für aufwändige Recherchen, um die Schuld eines Managers zweifelsfrei beweisen zu können.

Die Investoren und die um ihre Pensionen betrogenen Angestellten haben wenig davon. Die Konkursgerichte haben Kleinanleger an den Schluss der Gläubigerliste gesetzt. Von den Strafprozessen können sie nichts erwarten. Von langjährigen Zivilklagen profitieren in den meisten Fällen bloss die Anwälte. Das Magazin «Fortune» warnte zudem, ein zu grosses Augenmerk auf den Kriminellen kratze weiter am Image der Wallstreet. Das wiederum hätte einen anderen unerwünschten Nebeneffekt – sinkende Aktienkurse.

Die wichtigsten Prozesse des Jahres

Im Gang
Martha Stewart von Martha Stewart Living Omnimedia: Der Küchen- und Einrichtungskönigen wird ein Insidergeschäft vorgeworfen. Sie hätte Aktien der Biotechfirma ImClone auf Grund eines Tipps ihres Freundes, Ex-ImClone-Chef Sam Waksal, verkauft. Dies ist der Starprozess des Jahres, täglich in den Medien, für die Investoren aber kaum von Bedeutung.

Start 4. Februar
Scott D. Sullivan, Ex-Finanzchef von Worldcom: Um 11 Milliarden Dollar hatte der Telecomriese Worldcom, einst einer der grossen Börsen-Highflyer, seine Bücher gefälscht. Es folgte mit 107 Milliarden Dollar die grösste Pleite der US-Geschichte. Schätzungsweise 180 Milliarden haben Investoren verloren. Sullivan wird vorgeworfen, er hätte öffentliche Bilanzen gefälscht und die US-Börsenaufsicht SEC angelogen.

Start 22. März
Frank Quattrone: Der erste Prozess gegen den einstigen Investment-Banker von Credit Suisse First Boston scheiterte, weil sich die Jury nicht zu einem einstimmigen Urteil durchringen konnte. Der Fall wird nun neu aufgerollt.

Start 9. Februar
John J. Rigas, Gründer der Kabelfirma Adelphia: 1952 gründete Rigas Adelphia. Nach fünfzig Jahren musste er als CEO zurücktreten. Es wird ihm vorgeworfen, die Bilanz gefälscht und widerrechtlich 2,3 Milliarden Dollar aus der Firma genommen zu haben. Auf der Anklagebank sitzen auch zwei von Rigas’ Söhnen.

Start 23. August
Richard Scrushy, ehemaliger Konzernchef der texanischen Spitalkette Health South: Ein grosser Betrugsskandal, bei dem nach wie vor neue Details ans Tageslicht kommen. Bisher haben zwölf Manager gestanden, die Bilanz um drei Milliarden Dollar gefälscht zu haben. Scrushy wird vorgeworfen, er hätte die Fälschung orchestriert. Als wichtigste Investmentbank von Health South amtete die UBS.

Ganzes 2004
Enron-Manager: Der Energiekonzern Enron hatte die Lawine von Bilanzskandalen ins Rollen gebracht. Mit einem fantastischen Konstrukt hatte das Management eine Blase gebildet, die letztlich nur dazu diente, Geld mit Optionen zu verdienen. Die Investoren verloren 60 Milliarden Dollar, die meisten der rund 20 000 Angestellten ihre Pension. Diverse Manager stehen oder kommen noch vor Gericht.