Magischer Apfel

Innovativ in Technik und Design: Apple hat wie kein anderes Hightech-Unternehmen die Popkultur der letzten 20 Jahre geprägt – mit dem Macintosh.

Von Peter Hossli

Eines gleich vorne weg, der journalistischen Integrität zuliebe: Der Mac ist zwanzig Jahr alt – und ich liebe ihn noch immer. Den ersten erhielt ich 1985, geschenkt vom Vater. Diesen Artikel verfasse ich auf meinem sechsten, einem selber gekauften PowerBook. Durchschnittlich verbrachte ich also drei Jahre mit meinen Macs. Intensive Erinnerungen haben sie alle hinterlassen. Vornehmlich positive der besonders robuste Classic, den ich 1990 kaufte, fast nur negative der beige PowerMac 8600, der oft abstürzte. Untreu war ich nie – ich besass nur Macs.

Doch kann man einen Computer lieben, für ihn negative wie positive Gefühle hegen? Man kann – für den Macintosh von Apple. Ein Computer, der wie nichts die Computerei verändert hat. «Der erste Mac war der erste Rechner, der eine Persönlichkeit hatte», sagt Paola Antonelli, die Kuratorin der Design-Abteilung des Museum of Modern Art in New York. «Er war wie ein Freund, den man aufs Pult stellte und sich sofort wohl fühlte.»

Freunde fand er viele, aber weit weniger als ursprünglich erwartet. Der globale Marktanteil hat sich bei rund drei Prozent eingependelt. Den Rest decken Computer der «Wintel»-Welt ab – das Microsoft-Betriebssystem von Windows, den Prozessor von Intel. Wall Street beurteilt Apples Zukunft als durchzogen.

Trotzdem ist der Mac das Vorbild geblieben, dessen Design ist legendär, ebenso die innovative Kraft. Keine Technologiefirma beeinflusst die Popkultur mehr.

Rücken Regisseure Rechner in Szenen, sind es meist Macs. Filmhelden schreiben auf Apple-Computern, Bösewichte auf PCs. Legenden wie Francis Ford Coppola und Charlie Chaplin warben dafür. Carrie Bradshaw verfasst ihre urbanen Kolumnen in der TV-Serie «Sex and the City» auf einem PowerBook. Zwei Nebenprodukte – der Musikplayer iPod und der iTunes Music Store – haben im vergangenen Jahr fast eigenhändig die dümpelnde Musikindustrie belebt. Eben erst wählte das Magazin «AdAge» Apple zum Werber des Jahres 2003. Das Museum of Modern Art sammelt Macs als seien es Kunststücke. Apple Stores sind die architektonischen Juwelen mancher öden amerikanischen Einkaufsstrasse. Etliche Bücher schildern die Mac-Geschichte.

Die ist turbulent und beginnt mit Zerstörung. Vor zwanzig Jahren wuchtete eine zierliche Sportlerin in roten Shorts in einem Werbspot einen Vorschlaghammer auf eine riesige Leinwand. Sie zerstörte den Big Brother. Allein mit einem Knall, so die Botschaft, liesse sich die von IBM beherrschte Welt der PCs bodigen.

«Am 24. Januar wird Apple Computer den Macintosh vorstellen», hiess es am Schluss des von «Alien»-Regisseur Ridley Scott inszenierten Spots in Anspielung an das Orwell-Jahr. «Sie werden sehen, warum 1984 nicht wie ‹1984› sein wird.» Gut versteckt hatte Scott den putzigen Computer. Den sahen bloss aufmerksame Zuschauer. Auf das Tanktop der Zerstörerin hatte er ein Piktogramm mit den Umrissen des Macs gedruckt.

Ausgestrahlt wurde die heute als Werbeklassiker geltende Reklame am 22. Januar 1984, während der Superbowl, dem Finale der Football-Liga. 80 Millionen schauten zu. Am nächsten Tag redeten sie vom Spot, nicht vom Sport. Genau diesen Effekt beabsichtige Steve Jobs, der Mitte siebziger Jahre Apple gegründet hatte und den Mac als seinen grossen Wurf sah. Von Anfang an sollten Produkt, Marke und Message eine Einheit bilden.

Diese Mac-Dreifaltigkeit hat sich in zwanzig Jahren kaum verändert. Noch immer bietet Apple gestylte Objekte mittels smarten Marketings feil. Nicht der Marktanteil, das Marketing und das Design machten Apple zur Ikone. «Jobs legte den Grundstein dazu», sagt MoMA-Kuratorin Antonelli. «Der erste Mac beinhaltete alles, von der Werbung bis zum Produkt. Auch als Jobs ging, hielt das Bestand.»

Der Mac ist anders, lautet die Kernaussage, damals wie heute. Er ist farbig, nicht grau, weiblich und ein bisschen sexy, nicht männlich und konform, ständig innovativ statt stagnierend. Er ist ein Objekt, das man begehrt und nicht mehr hergibt. Gar religiöse Attribute gab ihm der italienische Autor Umberto Eco. «Der Macintosh ist katholisch gegenreformistisch und beeinflusst von der Ratio Studiorum der Jesuiten», schrieb er, «festlich, freundschaftlich, versöhnlich.»

Der Rechner, geboren im Orwell-Jahr, war Orwell und Anti-Orwell zugleich, eine Maschine mit humanen Zügen. Ein Computer, der nicht komplizierten Codes, sondern simplen Mausklicken gehorchte. Dessen grafische Oberfläche hatte Grafikerin Susan Kare entworfen. «Der Mac war eine Maschine, die beim Aufstarten lächelte», sagt sie. «Das nahm den Menschen sofort die Furcht.»

Sie habe die Benutzeroberfläche bewusst mit Bildern und Schriften aus der «realen Welt» versehen, sagt Kare, «mit Symbolen, die verstanden wurden, auch von jenen, die Angst vor Technik haben.» Die Oberfläche erinnerte an ein Büro mit einem Schreibtisch, Ordnern und einem Papierkorb. Stürzte das System ab, leuchtete auf dem schwarzweissen Bildschirm eine kleine Bombe, als ob da einem jemand zuzwinkern und «sorry» sagen würde. «Es sollte ein Cartoon artiger Zugang zum Desaster sein», sagt Kare.

Im Nu hatte man die Programme begriffen, die sich allesamt mit so genannten Pull-down-Menüs steuern liessen. Alltägliche Befehle wie «Ablage», «Bearbeiten» oder «Sichern» ersetzten die kryptischen Wortkombinationen bisheriger Computer. Mit der vielleicht nachhaltigsten Mac-Erfindung, den Befehlen «kopieren» und «einsetzen», liessen sich problemlos Texte und Bilder zwischen Dokumenten hin- und herschieben.

Eine simple Botschaft – «Think Different» – trompetet seither ein Heer vifer Werber in die Welt. Kein anderer als der ehemalige Hippie und heutige Milliardär Steve Jobs betont das eindringlicher. Wie ein Rockstar liess er sich vom Musikmagazin «Rolling Stone» feiern, als der Mac zu Welt kam. Nun tritt er mehrmals jährlich an und stellt die neusten Produkte jubelnden Fans vor, stets im dunklen Rollkragenpulli, blauen Jeans und weissen Turnschuhen. Öfters ziert er die Titelblätter amerikanischer Magazine, die ihn «gescheit», «visionär», «genial» nennen.

Wer einen Mac kauft, trichtert er ein, kaufe etwas Besonderes, ist besonders – und bezahlt deshalb für dieselbe Rechenleistung gerne drauf. Denn, so das Mac-Mantra, Rechenleistung ist für die grauen Betonköpfe nicht die Macianer, die lustvollen Computernutzer. Macs seien Computer «for the rest of us», geht ein Apple-Slogan, «für uns andere».

Die Rechnung geht nur teilweise auf. Zwar war und ist der Mac die Innovationsmaschine per se – die erste Maus hing an ihm, auch das erste Firewire-Kabel, der erste Laptop mit 17-Zoll-Bildschirm war ein Mac. Stetig schrumpft hingegen die globale Reichweite jenes Computers, den Microsoft-Gründer Bill Gates als «einfacher zu bedienen als alles andere, was wir bisher gesehen haben» pries.

Die Preispolitik und das in sich geschlossene System sind dafür verantwortlich. Macs gelten seit jeher als teurer. Dessen Betriebsystem läuft nur auf Macs. Wohingegen Widersacher Gates sein System anderen Computerherstellern lizenziert. Jobs hingegen will mit Hardware Geld verdienen. Wer Software lizenziere, so die stete Furcht, schaffe Konkurrenz.

Das geschah ohnehin. 1985 zeigte Apple das Betriebsystem dem Programmierer Gates. Der war begeistert. Eigens für den Mac entwickelte er Word und versprach, das Mac-System nicht in seine geplante Windows-Version 1.0 einzubauen.

Von Windows 2.0 sagte er nichts. Doch diese Version erinnerte bereits an den Macintosh. Es entbrannte ein jahrelanger Rechtsstreit zwischen Apple und Microsoft, den Apple 1995 vor dem Supreme Court verlor. Kurz darauf stellte Gates Windows 95 vor, ein Mac-Klon.

Apple hingegen darbte und schrieb Verluste. Jobs, 1985 nach einem Machtkampf mit dem CEO abgetreten, leitete ein obskures Unternehmen namens NeXT. Apple mangelte es an Identität. Im Sortiment waren Modelle mit Namen, die an graue Computer nicht Macs erinnerten – IIcx, Quadra, Performa, LC.

Die Firma hatte Mühe, Rechner zu bauen. Oft dauerte es Monate, bis die nach wie vor lauthals angekündigten Maschinen im Regal standen. Bestellungen im Wert von einer Milliarde Dollar waren 1995 offen. Die Maschinen galten als hässlich und unzuverlässig. «Macs always crash», Macs stürzen immer ab, sagte mir 1996 ein Informatikstudent der New York University. Das hatte sich in den Köpfen der professionellen Kunden festgekrallt. Sie wandten sich Windows zu. Gates hatte das Mac-System nicht nur kopiert, seine Version war stabiler.

Apples Schulden wuchsen auf über 700 Millionen Dollar pro Quartal. Die Firma schien zu kollabieren. 1997 kam Jobs zurück – und vieles wurde gut. Eigenhändig habe er Apple gerettet, sind sich die Analysten einig. Zuerst als Mitglied des Verwaltungsrates ohne Lohn, später als CEO brachte er die nötigen Impulse.

So erkannte er das Potenzial des World Wide Web, der benutzerfreundlichen Oberfläche des Internets. Eigens dafür entwickelte Jobs 1998 den iMac, den Internet-Mac. Der wirkte ähnlich nachhaltig wie der Ur-Mac, war anders, bunt, hatte einen bauchigen Hintern aus lichtdurchlässigem Plastik. Eine elegante Maschine zum gern haben, die den Zugang ins Internet rasch schaffte. Fotografen lichteten sie neben fragilen Models ab. Schuhdesigner imitierten deren Plastikhülle oder Honda für einen Roller.

Der grelle Computer war zudem günstig und erfolgreich. Dank dessen rutschte die Firma in die Gewinnzone, die Aktie erlebte einen Höhenflug. 1999 erwirtschaftete Apple 601 Millionen Dollar, ein Jahr später 786 Millionen. 2003 waren es trotz High-Tech-Krise 70 Millionen.

Die Zukunft scheint rosig. Neben Dell ist Apple die einzige profitable Computerfirma. Jobs brachte nicht nur den innovativen Schub. Er lenkt die Firma in eine neue Richtung. So wandelt sich Apple derzeit zu einem Konzern für Unterhaltungselektronik, gekoppelt mit Marketingabkommen mit Pepsi oder McDonald’s. Jobs erklärte den Mac zum «digitalen Hub» zahlreicher Anwendungen wie der Bearbeitung von Videos, digitalen Fotos und Musik. Der Musikplayer iPod ist so wichtig für die Firma geworden wie der erste Mac oder der iMac. Zumal er höhere Margen als ein Mac verspricht.

Der neue G5-Rechner gilt als leistungsstark und erntet Lob bei den Profis im grafischen Gewerbe. Zudem hat Jobs das in die Jahre geratene Betriebsystem durch OS X ersetzt, einer stabilen, auf Unix basierenden Lösung. Viele Grosskunden wenden sich trotzdem ab, in der Schweiz etwa das Verlagshaus Ringier. Der magere Marktanteil des Macs erschwere den problemlosen Fluss von Daten mit Windows, wird oft moniert.

Allein von der innovativen Kraft hänge daher die Zukunft Apples ab, so ein Analyse-Bericht der UBS. Nur wenn es gelinge, ständig neue und erfolgreiche Produkte auf den Markt zu bringen, bleibe die Firma flott. Das berge Risiken. «Apple ist der führende Erfinder», entkräftigt der UBS-Analyst die Gefahren. Zudem verfüge die Firma über 4,6 Milliarden Dollar Reserven. Damit liessen sich Entwicklungen finanzieren.

Das freut die treusten Fans, die zuweilen Anhängern religiöser Sekten ähneln. Sie kaufen alles, was der hohe Priester präsentiert – und erwarten ständig neues. Auf Dutzenden von Websites spekulieren und prophezeien sie, was Jobs plant. Anfang Januar pilgern sie nach San Francisco, im Juli nach New York an die Mac-Messe. Dort spricht Jobs. Sie hoffen stets, er präsentiere am Schluss seiner Rede «one more thing», etwas, ganz Neues.

Das wird gut aussehen. Apple ist die einzige High-Tech-Firma, die so viel ins Äussere der Produkte investiert wie ins Innere. «Phänomenal» sei die Wirkung des Macs aufs Design, sagt Kuratorin Antonelli. Tausende Produkte hätte er beeinflusst, viele ausserhalb der Computerwelt. So gemahnt der neue VW-Käfer an den iMac, ebenso Alessis Küchenhilfen.

Zwar sei gutes Design teuer, sagt Antonelli. Wirtschaftlich mache es Sinn. «Viele kaufen Apple-Geräte, weil sie schön sind.» Zudem lasse sich gutes Design nicht kopieren. Eine Ansicht, die der New Yorker Künstler Yury Gitman teilt, der Projekte mit drahtlosen Internet-Verbindungen durchführt. «Alle versuchen, den Mac zu kopieren. Gelungen ist es niemandem. Es gibt keinen besseren Mac als der Mac.»