Protektionierte Schweinehälften

Die deutsch-schweizerische Terminbörse Eurex will nach Chicago. Das passt den Alteingesessenen überhaupt nicht. Die deutsch-schweizerische Terminbörse Eurex will in Chicago einen vollständig elektronischen Handelsplatz für Termingeschäfte eröffnen. Doch die einheimische Konkurrenz kämpft mit allen Mitteln um ihre Pfründen. Nun wehrt sich die Eurex mit US-Methoden - und klagt.

Von Peter Hossli

Ist von Chicago die Rede, sind Schweinebäuche und Korruption selten weit. Diese Klischees stehen ebenfalls im Zentrum eines erbittert geführten Streites, bei dem auch Schweizer mitmischen. Er tobt zwischen den zwei lokalen Terminbörsen und der Eurex, der von der Deutschen und der Schweizer Börse gegründeten elektronischen Handelsplattform für so genannte Futures, wie Termingeschäfte in der Fachsprache heissen. Mit lebenden Säuen hatte Terry Duffy einst gehandelt.

Jetzt steht er dem Chicago Mercantile Exchange (CME) vor – und wehrt sich gemeinsam mit dem Chicago Board of Trade (CBOT) gegen das Ansinnen der Europäer, in Chicago Fuss zu fassen. Nicht zuletzt mit korrupten Methoden, sagen die Eurex-Vertreter.

Ein Vorwurf, der jetzt aktenkundig ist. In Washington reichte die amerikanische Eurex-Tochter, die U. S. Futures Exchange LLC, letzte Woche eine Klage mit deftigen Anschuldigungen ein. So würden CME und CBOT das Kartellrecht mit «einem illegalen System» verletzen und externe Anbieter gezielt fern halten. Seit Monaten beeinflussten die beiden Terminbörsen in Washington Parlamentarier, damit diese die Zulassungsschranken für ausländische Börsen erhöhen. Damit wollten die Angeklagten den Eurex-Plan, am 1. Februar 2004 die erste vollständig elektronische Terminbörse in den USA zu eröffnen, durchkreuzen.

Besonders eklatant ist die Beschuldigung, CME und CBOT hätten einen künftigen Partner von Eurex mit direkten Zahlungen geschmiert. Über 100 Millionen Dollar, steht in der Klage, seien an die Aktienbesitzer der Clearing Corporation (TCC) überwiesen worden.

Die Eurex beabsichtigt, die Termingeschäfte vorschriftsgemäss über eine US-Firma – die TCC – abwickeln zu lassen. Um dies zu ermöglichen, müssen die Teilhaber von TCC am Donnerstag dieser Woche einer Strukturanpassung zustimmen. Das angebliche Schmiergeld, so die Klage, veranlasse die Aktionäre dazu, sich gegen die Schweizer und die Deutschen auszusprechen. Dabei unterstellt die Eurex den US-Handelsplätzen böswillige Absichten. Es gehe ihnen einzig darum, die lukrative «Monopolstellung» beizubehalten.

Die Eurex will eine modernere Infrastruktur bieten

Das mag nicht legitim sein, ist aber verständlich. Dürften die Europäer in Chicago erst einmal handeln, würde sich die Situation auf einem der ältesten und grössten amerikanischen Handelsplätze schlagartig ändern. Die Eurex wird dieselbe umfangreiche Produktpalette anbieten wie CBOT und CME: Futures auf landwirtschaftliche Güter und diverse Finanzprodukte, und zwar günstiger und ohne Zugangsbeschränkungen. Die Folge wäre das Ende einer nostalgisch gehegten Tradition, über die bereits Bert Brecht geschrieben hatte – das «open outcry»-Handeln im «pit». In einem Art-déco-Gebäude bieten Händler in bunten Jacketts Futures auf Schweine, Weizenbüschel oder Staatsanleihen nach wie vor persönlich an. Ein wildes Treiben, das seit 1848 zwar modernisiert wurde, aber noch weit entfernt ist vom vollständig elektronischen Handel.

Genau dies möchte die Eurex in die «Windy City» bringen, so Chicagos Kosename. «Sind wir mal da», sagt Eurex-Sprecher Uwe Velten, «wird sich Chicago zu einem rein elektronischen Handelsplatz wandeln.» Profitieren würden davon alle, so das Eurex-Argument. «Unser Marktmodell ist demokratisch», sagt Velten, «jeder hat die gleichen Informationen zur selben Zeit.» Es sei unfair, wenn die Pit-Trader bessere Preise erhalten, nur weil ihre Informationen aktueller seien.

Am Chicago Board of Trade zugelassen sind nämlich bloss CBOT-Mitglieder. Alle anderen zahlen höhere Kommissionen und dürfen nicht in den Pit. Die Eurex hingegen behandelt alle gleich und verlangt keine Mitgliederbeiträge. «Das ist unsere Stärke», so Velten, der das Wachstumsmodell der Eurex als «unschlagbar» bezeichnet.

Zuerst braucht die Eurex allerdings ein «clearing house» – vor allem aber die Zulassung der U. S. Commodity Futures Trading Commission. Damit dies den Schweizern und Deutschen verwehrt bleibt, haben die Lokalfürsten in Washington lobbyiert, vor allem mit dem protektionistischen Argument, eine Börse könne nicht vom Ausland aus reguliert werden. Ob das in Europa oder in Afghanistan geschehe, mache keinen Unterschied.

Obwohl die Eurex-Tochter U. S. Futures amerikanischen Kontrollinstanzen unterstehen wird und die Aussage demnach falsch ist, zog das Argument. Am Mittwoch letzter Woche hatte die Eurex ihre Klage eingereicht, am Tag danach stoppte die Zulassungsbehörde das rasche, für 60 Tage vorgesehene Zulassungsverfahren für die Europäer. Trotz dieses Rückschlags fange man am 1. Februar mit Handeln an, sagt Eurex-Sprecher Velten. Der Markt, so Velten, «signalisiert einen grossen Wunsch, dass wir kommen». Es dauere halt länger. Zwar sei der Druck enorm hoch, «aber die wirtschaftlichen Überlegungen obsiegen».

Eine Ansicht, die der Präsident der Futures Industry Association, John M. Damgard, teilt. «Die Eurex wird rechtzeitig nach Chicago kommen. Garantiert», sagt der Chef des neutralen Branchenverbandes der Termingeschäfte-Händler. «Wettbewerb ist gesund, und Wettbewerb verbessert das Produkt.»

Damgard vermutet eine gezielte Lobbyaktion hinter der Verschiebung der Zulassung. «Solange in Chicago der Wettbewerb ausbleibt, können hohe Gebühren verlangt werden.» Er vergleicht die Situation mit der Einführung des Autos. «Die Pferde- und Wagenhändler hatten damals ebenfalls versucht, mit Gesetzen ihren Niedergang aufzuhalten.» Anfänglich hätten sie Erfolge verbucht. «Heute sehe ich kaum mehr Pferdegespanne auf der Strasse.»

Die Parteien

Eurex / U. S. Futures Exchange

Eurex ist die weltweit grösste Terminbörse. Sie wird betrieben von der Deutschen Börse AG und SWX Swiss Exchange. Die Firma U. S. Futures Exchange LLC ist eine Eurex-Tochter, die in Chicago den Handel mit Derivaten betreiben soll. Die Firma untersteht der US-Börsenaufsichtskommission und US-Gesetzen. «Seit über 150 Jahren hat Chicago die grösste Erfahrung im Derivatehandel», sagt Eurex-Sprecher Uwe Velten.

Chicago Board of Trade

Das 1848 gegründete Chicago Board of Trade ist der weltweit grösste Handelsplatz für landwirtschaftliche und Finanz-Futures.

Chicago Mercantile Exchange

Der 105 Jahre alte Futures-Markt gilt als Geburtsstätte für Finanzderivate. Vor über 30 Jahren wurden hier die ersten Finanz-Futures gehandelt.