Die Klagewut lässt Apples Kasse klingen

Die Internet-Piraterie kostet die Musikindustrie jährlich zig Milliarden von Dollar. Nun schiebt die Branche einen Riegel vor und klagt die Piraten an – meist junge Studenten und Schülerinnen, die Musik tauschen. Das freut die Anbieter der neuen benutzerfreundlichen legalen Dienste.

Von Peter Hossli

Haben Sie ein Kind im Teenager-Alter? Benutzt es einen Computer mit Internet-Abschluss? Dann besteht die Gefahr, dass Ihre Familie demnächst in die Fänge der US-Justiz gerät.

Wie unlängst die 12-jährige Brianna LaHara aus New York. Sie ist eine von 261 Amerikanern, die letzte Woche böse erwachten und von der Recording Industry Association of America (RIAA), dem Branchenverband der Musikindustrie, verklagt worden ist.

Unter dem Namen «touchofcream» hatte Brianna auf ihrer Festplatte kostenlos gespeicherte Songs feilgeboten. Damit hätte das Mädchen hiesige Urheberrechtsgesetze verletzt, so die RIAA-Klage.

Umgehend bezahlte dessen Mutter eine Busse von 2000 Dollar und liess ausrichten, «sie können sicher sein, Brianna wird nie mehr Musik übers Internet tauschen».

Die 261 Klagen stehen am Anfang einer gross angelegten Kampagne der Angst. RIAA hat angekündigt, Tausende von Klagen nachzuschieben. Den Verklagten wird angekreidet, von Internet-Tauschbörsen aus massenhaft umsonst MP3-Dateien herunter zuladen, diese dort anzubieten und damit die Rechte der Urheber zu verletzen. Theoretisch sind Klagen auch gegen ausländische Nutzer möglich.

Es drohen deftige Strafen. So sieht die US-Rechtssprechung Bussen zwischen 750 und 150000 Dollar vor – pro illegal vertriebenes Lied. Angesichts der Fülle der digitalen Archive könnten selbst aussergerichtliche Vergleiche den Musikliebhabern lebenslange Schuldenberge bescheren. Zumal es in den USA nicht möglich ist, bei Urheberrechtsvergehen die Strafe mit einem persönlichen Bankrott zu umgehen.

Die Klagen sind der jüngste Versuch der Musikindustrie, der Internet-Piraterie Einhalt zu gebieten. Seit im Mai 1999 die Musiktauschbörse Napster geradezu explodierte, schmilzt den Plattenlabels die Kundschaft weg. Napster konnte zwar gestoppt werden. Auf Dutzenden von Nachfolgesites wie Kazaa oder Gnutella werden aber mehr Titel denn je getauscht. Der jährliche Verlust wird auf 5 Milliarden Dollar geschätzt.

Deshalb hat sich RIAA entschieden, direkt auf die so genannten Swapper los zu gehen. Die Branche agiert mit Zuckerbrot und Peitsche. Wer eine eidesstattliche Erklärung unterzeichnet, illegal erworbenen Dateien zu löschen und künftig vom Tausch abzulassen, wird in Ruhe gelassen.

Auf alle anderen setzt der Branchenverband elektronische Schnüffler an. Mit ausgeklügelten Programmen, die die Identität der Tauscher ermitteln, spürt die RIAA den Täter nach. Zudem hat ein Gerichtsentscheid jüngst die Suche nach illegalen Händlern erleichtert. Internet-Provider können angehalten werden, die Namen von Tauschhändlern herauszurücken.

Das aggressive Auftreten zeigt Wirkung. Gemäss einer Studie der NPD Group seien im Juni nur noch 10,4 Millionen Songs illegal übers Internet vertrieben worden. Im April waren es noch 14,5 Millionen gewesen. Dies bereits als durchschlagenden Erfolg zu werten, scheint verfrüht. Etliche Tüftler entwickeln fleissig Software, welche die Identität der Nutzer wieder verschleiert.

Die Klagewelle freut einen besonders – Steve Jobs, der CEO von Apple. Die kleine Computerfirma aus Kalifornien hatte Ende April den iTunes Music Store eingeführt, eine handliche und einfache Methode, im Internet Songs oder ganze Alben legal zu erwerben.

Damit revolutionierte Apple das Musikgeschäft. Von Beginn weg betonte Jobs, er behandle seine Klientel nicht wie Kriminelle. Bei ihm könne man für 99 amerikanische Cents ein Lied kaufen und damit fast alles machen. Eine Woche nach der Einführung waren bereits eine Million Songs verkauft. Alle waren verblüfft. Eigenhändig hatte Jobs eine darbende Branche gerettet. Ihm gelang, woran die Musikindustrie trotz Milliardeninvestitionen kläglich scheiterte. Mittlerweile gilt der Music Store trotz ersten Nachahmern als Paradebeispiel für ein geglücktes E-Business.

Bisher hat Apple über 10 Millionen Songs verkauft. Ein bescheidenes Ergebnis im Vergleich zum CD-Umsatz im Jahr 2002 von 12,6 Milliarden Dollar. Angesichts des geringen Marktanteils von Apple – er liegt unter vier Prozent – ist das Resultat jedoch phänomenal. Noch in diesem Jahr, voraussichtlich Ende Oktober, will Apple den Service auf Windows-Computer erweitern.

Das Wachstumspotenzial ist daher riesig, die Gewinnaussichten rosig. Zumal Apple nicht auf den Verkauf von Musik sondern von Peripheriegeräten abzielt. Gemäss Brancheninsidern bleiben pro Song rund 10 Cents bei Apple. Der Music Store kurbelt aber den Verkauf des MP3-Players von Apple an, den so genannten iPod. Eine Million hat Apple davon verkauft – mit enormen Margen. iTunes für Windows dürfte Microsoft-Nutzer ermuntern, weitere iPods zu erwerben. Gemäss einer Apple-Sprecherin machen sie bereits jetzt die Hälfte aller iPod-Kunden aus.

Bleibt das internationale Geschäft. Noch kann bei Apple erst Songs kaufen, wer eine US-Kreditkarte besitzt. Anfang Woche hat Jobs in Paris angekündigt, er plane den europäischen Music Store im nächsten Jahr zu starten.

Nur etwas trübt die musikalische Stimmung bei Apple – die Beatles. Das Plattenlabel der vier Pilzköpfe aus Liverpool heisst Apple Corps Ltd. – und existiert länger als die Computerfirma. Zu Beginn der achtziger Jahre hatte Apple den Beatles vertraglich zugesichert, nie ins Musikgeschäft einzusteigen. Das Versprechen ist jetzt gebrochen. Deshalb klagen die Anwälte der Beatles in London.

Internet-Filme

Täglich werden weltweit rund 400000 Spielfilme illegal auf Festplatten geladen. In einer Studie von Forrester Research gaben 20 Prozent der 12 – 20-Jährigen an, sie hätten schon einmal einen Film kostenlos aus dem Internet geholt. Allerdings weisen diese illegal besorgten Dateien meist eine schlechte Ton- und Bildqualität auf. Es dauerte oft Tage, bis ein ganzer Film auf der Festplatte liegt. Wer Filme wirklich geniessen will, muss nach wie vor ins Kino gehen oder sie am Fernsehen anschauen. Gleichwohl sorgt die Filmindustrie vor. Sie möchte aus den Fehlern der Musikbranche lernen. Derzeit werden in Hollywood Strategien entwickelt. Das Vorbild ist der Music Store von Apple. Nicht Tauschbörsen, Filme on demand sollen zum lukrativen Geschäft werden. Es wird bereits gemunkelt, dass Apple selbst eine Site für die Filmbranche entwickelt. Wie stets kommentiert die Firma das Gerücht nicht.