Von Peter Hossli
Wen kümmert schon eine Unterschrift, wenn die Freude riesig ist? Das wird sich der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Jacques Rogge, gedacht haben. Stolz verkündete er Anfang Juli den Erwerb der beiden Olympia-Filme von Leni Riefenstahl. «Damit haben wir uns eine Perle für das Olympische Museum in Lausanne gesichert», sagte Rogge der IOK-Vollversammlung in Prag.
Vier Monate später tauchen die Perlensucher tiefer denn je. «Es gab zwar eine Vereinbarung», bestätigt Julia Robinson vom Fernseharchiv des IOK, «diese hat Frau Riefenstahl aber nie unterzeichnet.» Am 8. September verstarb die Regisseurin 101-jährig.
Weiter geht nun ein fast sechzig Jahre dauernder Streit darüber, wem Riefenstahls fraglos monumentales Schaffen gehört und wer es nutzen darf. «Die Angelegenheit ist noch nicht geklärt», sagte Riefenstahl noch im Juli 2002 gegenüber FACTS.
Ihre propagandistischen Meisterwerke waren allesamt zur Zeit der Naziherrschaft entstanden. Jahrzehntelang beharrte Hitlers Filmerin darauf, sie hätte die Dokumentarfilme «Olympia» von 1936 sowie «Triumph des Willens» über den «Reichsparteitag» von 1934 selbst produziert. Also gehörten ihr sämtliche Rechte. Dem widersprach die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin der Nazipartei. Weil die NSDAP die Aufträge erteilt hätte – so der offizielle Standpunkt -, blieben gewisse Rechte beim Staat.
Etliche Prozesse später einigten sich Riefenstahl und die Bundesrepublik darauf, die Autorenrechte bei der Regisseurin zu belassen, die Nutzungsrechte aber der Transit GmbH zu übertragen, einer Verwertungsgesellschaft der Regierung. Ausschliesslich «im Rahmen der Didaktik und zur demokratischen Willensbildung» werden die Propagandafilme seither vorgeführt, sagt eine Pressesprecherin des Kulturministeriums. Das soll so bleiben. Ein Verkauf des Parteitags-Films «Triumph des Willens» sei «überhaupt nicht vorgesehen», sagt sie.
«Millionen von Euros» aufwerfen will hingegen das IOK für die Nutzungsrechte an «Olympia», sagt Julia Robinson. Viel Geld, das unter Riefenstahls Erben und Deutschland aufgeteilt werde. «Die Filme sollen in die olympische Familie zurückkehren.» Ob das gelingt, ist fraglich. Dem müssten erst die Erben zustimmen. «Persönlich gehe ich davon aus, dass sie das nach wie vor tun wollen», sagt Robinson.
«Riefenstahls Tod hat aber vieles erschwert.» Zur Makulatur wurde dadurch ein unterschriftsreifer Vertrag zwischen dem IOK, Riefenstahl und Transit. «Nur der Anwalt der Erben weiss nun, wie es weitergeht.» Dieser Anwalt will derzeit nicht einmal bestätigen, wer im Testament berücksichtigt ist: «Zuerst muss das Nachlassgericht in München den letzten Willen akzeptieren», sagt Mathias Schwarz. Haupterbe scheint Horst Kettner zu sein. Seit 1968 war er Lebens- und Geschäftspartner Riefenstahls. Der Kameramann hatte sie auf Reisen nach Afrika und auf Tauchgängen begleitet. «Wir erwarten, mit ihm zu verhandeln», sagt Robinson.
Nicht nur das Werk, auch das Recht an der Lebensgeschichte von Riefenstahl dürfte Horst Kettner zufallen. In Hollywood wie Europa sind einige Biografiefilme über Hitlers Regisseurin in Planung. «Sobald der Nachlass geregelt ist, fällt ein Entscheid», sagt der Anwalt der Erben. Am meisten fortgeschritten sei das Projekt von Schauspielerin Jodie Foster, sagt er. Es sei «in Vorbereitung», bestätigt Fosters Sprecherin, Jennifer Allen: «Riefenstahls Tod ändert daran nichts.» Jodie Foster sei eine «grossartige Schauspielerin», urteilte Riefenstahl. Und: «Über das Filmprojekt selbst möchte ich nicht sprechen, weil es sich erst in der Vorbereitung befindet.»
Fest steht demnach nur: Selbst tot bewegt eine der kontroversesten Figuren der Filmgeschichte die Gemüter weiter.